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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Die Hoffnungen wie die Schuld jener Zeit knüpfen sich für uns vorzugs¬
weise an zwei verehrte Namen, Camp Hansen und Gagern. Wenn wir uns
über die Ursachen jenes merkwürdigen Falles klar werden wollen, so können wir
es nicht umgehen, alle Pietät bei Seite zu stellen, und diese Namen vor Gericht
zu ziehen.

Die kurze Zeit, welche Camphausen die Regierung des preußischen Staats
in der Hand hatte, war die entscheidende nicht uur für Preußen, souderu für
Deutschland. -- Um unser Urtheil über seine Thätigkeit voranszunehmen: seine
Ansicht von der vernünftigen Entwickelung der deutschen und preußischen Ver¬
hältnisse ist immer die richtige gewesen -- auf Einzelheiten ist kein Gewicht zu
legen, wo das Princip im Großen und Ganzen gewahrt wird -- und sein Grund¬
irrthum hat darin gelegen, daß er geglaubt hat, mit dieser vernünftigen Ein¬
sicht habe der Staatsmann seine Pflicht gethan. Er ist überall darauf ausgegangen,
eine elegante Formel für die jedesmalige Phase des vernünftigen Verlaufs zu finden,
und wenn die brutale Wirklichkeit diese Formel der Vernunft überschüttete, hat er sich
schmollend zurückgezogen.

Ich beginne mit seiner Thätigkeit als Chef der vormärzlichen Opposition.
Der Hauptgesichtspunkt seiner Politik war dieser: Preußen muß seine verschiede¬
nen Bestandtheile durch die constitutionelle Staatsform centralisiren, und es muß
seine natürliche, welthistorische Berechtigung dadurch finden, daß es sich von dem
unnatürlichen System der heiligen Allianz und dem unmittelbaren Ausdruck der¬
selben, dem deutschen Bunde in heikler historischen Form, losreißt. Den letzteren
Punkt hat er auf eine meisterhafte Weise in den letzten Sitzungen der Aus¬
schüsse, im Februar 1848, allsgeführt, wo es sich um ein neues, im preußischen
Codex noch nicht vorgesehenes Verbrechen, den Hochverrath gegen den deutschen
Bund, handelte.

Ich hebe diese beiden Pnnkte, in denen sich Camphausen während seiner
ganzen politischen Laufbahn treu geblieben ist, darum hervor, weil sie die strei¬
tigen sind, und diejenigen, worauf es bei der Entwickelung Deutschlands vor¬
züglich ankommt. Während die Deutschthtuuler in der Existenz Preußens ein Attentat
gegen die Einheit Deutschlands sahen, während sie jede constitutionelle Centralisa¬
tion dieses Staats schon vor dem März als ein neues Hindernis; gegen die einstige
Erfüllung ihres ersehnten Ziels mit argwöhnischen Blicken verfolgten, und viel
lieber Preußen in eitlen Föderatiooerbaud selbstständiger Provinzen aufgelöst hät¬
ten (einer der eifrigsten Großdentschen, Herr Wuttke, hat das schon zur Zeit
des CentrallandtageS in einer Broschüre auseinandergesetzt), während ihr Hauptbe¬
streben vom März bis zum December, ja selbst noch später bei eitlem Theil der
Weidenbnschpartei, darauf gerichtet war, Preußen zu Gunsten des Reichs zu
mediatisiren, wenn auch zum Ersatz dem mediatisirten König die Kaiserkrone ge¬
boten werden sollte, während die Conseqnentern der Partei, nachdem der Traum


Die Hoffnungen wie die Schuld jener Zeit knüpfen sich für uns vorzugs¬
weise an zwei verehrte Namen, Camp Hansen und Gagern. Wenn wir uns
über die Ursachen jenes merkwürdigen Falles klar werden wollen, so können wir
es nicht umgehen, alle Pietät bei Seite zu stellen, und diese Namen vor Gericht
zu ziehen.

Die kurze Zeit, welche Camphausen die Regierung des preußischen Staats
in der Hand hatte, war die entscheidende nicht uur für Preußen, souderu für
Deutschland. — Um unser Urtheil über seine Thätigkeit voranszunehmen: seine
Ansicht von der vernünftigen Entwickelung der deutschen und preußischen Ver¬
hältnisse ist immer die richtige gewesen — auf Einzelheiten ist kein Gewicht zu
legen, wo das Princip im Großen und Ganzen gewahrt wird — und sein Grund¬
irrthum hat darin gelegen, daß er geglaubt hat, mit dieser vernünftigen Ein¬
sicht habe der Staatsmann seine Pflicht gethan. Er ist überall darauf ausgegangen,
eine elegante Formel für die jedesmalige Phase des vernünftigen Verlaufs zu finden,
und wenn die brutale Wirklichkeit diese Formel der Vernunft überschüttete, hat er sich
schmollend zurückgezogen.

Ich beginne mit seiner Thätigkeit als Chef der vormärzlichen Opposition.
Der Hauptgesichtspunkt seiner Politik war dieser: Preußen muß seine verschiede¬
nen Bestandtheile durch die constitutionelle Staatsform centralisiren, und es muß
seine natürliche, welthistorische Berechtigung dadurch finden, daß es sich von dem
unnatürlichen System der heiligen Allianz und dem unmittelbaren Ausdruck der¬
selben, dem deutschen Bunde in heikler historischen Form, losreißt. Den letzteren
Punkt hat er auf eine meisterhafte Weise in den letzten Sitzungen der Aus¬
schüsse, im Februar 1848, allsgeführt, wo es sich um ein neues, im preußischen
Codex noch nicht vorgesehenes Verbrechen, den Hochverrath gegen den deutschen
Bund, handelte.

Ich hebe diese beiden Pnnkte, in denen sich Camphausen während seiner
ganzen politischen Laufbahn treu geblieben ist, darum hervor, weil sie die strei¬
tigen sind, und diejenigen, worauf es bei der Entwickelung Deutschlands vor¬
züglich ankommt. Während die Deutschthtuuler in der Existenz Preußens ein Attentat
gegen die Einheit Deutschlands sahen, während sie jede constitutionelle Centralisa¬
tion dieses Staats schon vor dem März als ein neues Hindernis; gegen die einstige
Erfüllung ihres ersehnten Ziels mit argwöhnischen Blicken verfolgten, und viel
lieber Preußen in eitlen Föderatiooerbaud selbstständiger Provinzen aufgelöst hät¬
ten (einer der eifrigsten Großdentschen, Herr Wuttke, hat das schon zur Zeit
des CentrallandtageS in einer Broschüre auseinandergesetzt), während ihr Hauptbe¬
streben vom März bis zum December, ja selbst noch später bei eitlem Theil der
Weidenbnschpartei, darauf gerichtet war, Preußen zu Gunsten des Reichs zu
mediatisiren, wenn auch zum Ersatz dem mediatisirten König die Kaiserkrone ge¬
boten werden sollte, während die Conseqnentern der Partei, nachdem der Traum


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[0104] Die Hoffnungen wie die Schuld jener Zeit knüpfen sich für uns vorzugs¬ weise an zwei verehrte Namen, Camp Hansen und Gagern. Wenn wir uns über die Ursachen jenes merkwürdigen Falles klar werden wollen, so können wir es nicht umgehen, alle Pietät bei Seite zu stellen, und diese Namen vor Gericht zu ziehen. Die kurze Zeit, welche Camphausen die Regierung des preußischen Staats in der Hand hatte, war die entscheidende nicht uur für Preußen, souderu für Deutschland. — Um unser Urtheil über seine Thätigkeit voranszunehmen: seine Ansicht von der vernünftigen Entwickelung der deutschen und preußischen Ver¬ hältnisse ist immer die richtige gewesen — auf Einzelheiten ist kein Gewicht zu legen, wo das Princip im Großen und Ganzen gewahrt wird — und sein Grund¬ irrthum hat darin gelegen, daß er geglaubt hat, mit dieser vernünftigen Ein¬ sicht habe der Staatsmann seine Pflicht gethan. Er ist überall darauf ausgegangen, eine elegante Formel für die jedesmalige Phase des vernünftigen Verlaufs zu finden, und wenn die brutale Wirklichkeit diese Formel der Vernunft überschüttete, hat er sich schmollend zurückgezogen. Ich beginne mit seiner Thätigkeit als Chef der vormärzlichen Opposition. Der Hauptgesichtspunkt seiner Politik war dieser: Preußen muß seine verschiede¬ nen Bestandtheile durch die constitutionelle Staatsform centralisiren, und es muß seine natürliche, welthistorische Berechtigung dadurch finden, daß es sich von dem unnatürlichen System der heiligen Allianz und dem unmittelbaren Ausdruck der¬ selben, dem deutschen Bunde in heikler historischen Form, losreißt. Den letzteren Punkt hat er auf eine meisterhafte Weise in den letzten Sitzungen der Aus¬ schüsse, im Februar 1848, allsgeführt, wo es sich um ein neues, im preußischen Codex noch nicht vorgesehenes Verbrechen, den Hochverrath gegen den deutschen Bund, handelte. Ich hebe diese beiden Pnnkte, in denen sich Camphausen während seiner ganzen politischen Laufbahn treu geblieben ist, darum hervor, weil sie die strei¬ tigen sind, und diejenigen, worauf es bei der Entwickelung Deutschlands vor¬ züglich ankommt. Während die Deutschthtuuler in der Existenz Preußens ein Attentat gegen die Einheit Deutschlands sahen, während sie jede constitutionelle Centralisa¬ tion dieses Staats schon vor dem März als ein neues Hindernis; gegen die einstige Erfüllung ihres ersehnten Ziels mit argwöhnischen Blicken verfolgten, und viel lieber Preußen in eitlen Föderatiooerbaud selbstständiger Provinzen aufgelöst hät¬ ten (einer der eifrigsten Großdentschen, Herr Wuttke, hat das schon zur Zeit des CentrallandtageS in einer Broschüre auseinandergesetzt), während ihr Hauptbe¬ streben vom März bis zum December, ja selbst noch später bei eitlem Theil der Weidenbnschpartei, darauf gerichtet war, Preußen zu Gunsten des Reichs zu mediatisiren, wenn auch zum Ersatz dem mediatisirten König die Kaiserkrone ge¬ boten werden sollte, während die Conseqnentern der Partei, nachdem der Traum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/104>, abgerufen am 24.08.2024.