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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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der ganzen Zuversicht der Wahrheit geflissentlicher Schwindeleien gegenüber; er
redete Deutsch; ans Kieler Briefen konnte er nachweisen, daß Nichts von allem
Diesem vorgefallen war; er forderte, daß man die Beschlußfassung vertage, bis
die Deputation der Herzogthümer gekommen sei und gehört werdeu könne. Wohl
machte dies stolze und muthige Austreten Eindruck. Aber " wahr oder nicht wahr,
was der Redner vor mir gesagt hat," begann Orla Lehmann seine Gegenrede,
und mit gewohnter Begeisterung und Berechnung sprechend, verwischte er jeden
Eindruck des Vernommenen: "wenn die Revolution in den Herzogtümern noch
nicht ausgebrochen sei, so werde sie ausbrechen." Er erklärte, "der König --
und er werde sich nicht scheuen, ihm das ins Gesicht zu sagen -- sei seiner
Aufgabe nicht gewachsen; die Minister hätten weder die Einsicht, noch den
Willen, noch die Kraft für ihr Amt; es sei auch schwer, Münster zu siudeu, und
es seien in Dänemark nicht gerade Viele, aber Einige, Wenige" -- "und er halte,
schrieb ein Mitanwcsender, uicht nöthig hinzuzufügen, die Bescheidenheit verbiete
ihm ihren Namen zu nennen, so aufdringlich war sein Patriotismus." Aber er
riß die Versammlung hin zu unermeßlichen Beifall.

Daun trat Capitän Tscherning ans: "es frage sich, was demnach zu machen
sei? ein neues Ministerium natürlich; und wann?" "Noch heut Abend," rief
die Versammlung; umsonst widersprach Tscherning; "bewaffnet müsse man zum
Schloß ziehen," ward gerufen. "Zeigen wir," sagte der Capitän, "daß unser
Wille fest genug ist, um darauf schlafen zu können!" Also Morgen! stimmte die
ganze Versammlung ein. "Aber man müsse dein Könige," fuhr Capitän Tscher¬
ning fort, "doch auch Bedenkzeit lasse"," und schlug vor "bis zum Mittwoch
früh, ehe noch die Deputation komme," zu warten. So ward beliebt.

Auch Professor Madvig, Verfasser einer glänzenden Flugschrift gegen das
Patent vom 28. Januar, noch jetzt Minister, sprach: "da nach den ungeheuren
Concessionen des Patents vom 28. Januar, nach denen Dänemarks Hauptstadt
nicht mehr Hauptstadt sein, seine Reichsstände vagabondirn sollten, die Schleswig-
Holsteiner jetzt so antworteten, wie da vorher berichtet sei, so bleibe nichts übrig,
als Schleswig zu incorponren."

Man hatte sich zugleich verständigt, die Deputation der Bürgerrepräscntanicn,
die andern Tages zu Mittag mit ihrer Adresse auf das Schloß ziehen wollte, im
großen Zuge zu begleiten. Diese Adresse besagte, daß das jetzige Ministerium
nicht das Zutrauen des Volkes habe, den Umständen nicht gewachsen sei, entlassen
werden müsse: "wir rufen Ew. Majestät an, die Nation nicht zur
Selbsthülfe der Verzweiflung zu treiben." (ille at drive Nationen til
Fortvivelsens Selvhjelp.)

Vorübergehend erinnern wir, daß denselben Montag Abend auch Massen
Arbeiter im Hippodrom versammelt waren, daß die Studenten, die bereits am
18. eine Versammlung gehalten und Offiziere hinzugezogen hatten, um ihre Be-


der ganzen Zuversicht der Wahrheit geflissentlicher Schwindeleien gegenüber; er
redete Deutsch; ans Kieler Briefen konnte er nachweisen, daß Nichts von allem
Diesem vorgefallen war; er forderte, daß man die Beschlußfassung vertage, bis
die Deputation der Herzogthümer gekommen sei und gehört werdeu könne. Wohl
machte dies stolze und muthige Austreten Eindruck. Aber „ wahr oder nicht wahr,
was der Redner vor mir gesagt hat," begann Orla Lehmann seine Gegenrede,
und mit gewohnter Begeisterung und Berechnung sprechend, verwischte er jeden
Eindruck des Vernommenen: „wenn die Revolution in den Herzogtümern noch
nicht ausgebrochen sei, so werde sie ausbrechen." Er erklärte, „der König —
und er werde sich nicht scheuen, ihm das ins Gesicht zu sagen — sei seiner
Aufgabe nicht gewachsen; die Minister hätten weder die Einsicht, noch den
Willen, noch die Kraft für ihr Amt; es sei auch schwer, Münster zu siudeu, und
es seien in Dänemark nicht gerade Viele, aber Einige, Wenige" — „und er halte,
schrieb ein Mitanwcsender, uicht nöthig hinzuzufügen, die Bescheidenheit verbiete
ihm ihren Namen zu nennen, so aufdringlich war sein Patriotismus." Aber er
riß die Versammlung hin zu unermeßlichen Beifall.

Daun trat Capitän Tscherning ans: „es frage sich, was demnach zu machen
sei? ein neues Ministerium natürlich; und wann?" „Noch heut Abend," rief
die Versammlung; umsonst widersprach Tscherning; „bewaffnet müsse man zum
Schloß ziehen," ward gerufen. „Zeigen wir," sagte der Capitän, „daß unser
Wille fest genug ist, um darauf schlafen zu können!" Also Morgen! stimmte die
ganze Versammlung ein. „Aber man müsse dein Könige," fuhr Capitän Tscher¬
ning fort, „doch auch Bedenkzeit lasse»," und schlug vor „bis zum Mittwoch
früh, ehe noch die Deputation komme," zu warten. So ward beliebt.

Auch Professor Madvig, Verfasser einer glänzenden Flugschrift gegen das
Patent vom 28. Januar, noch jetzt Minister, sprach: „da nach den ungeheuren
Concessionen des Patents vom 28. Januar, nach denen Dänemarks Hauptstadt
nicht mehr Hauptstadt sein, seine Reichsstände vagabondirn sollten, die Schleswig-
Holsteiner jetzt so antworteten, wie da vorher berichtet sei, so bleibe nichts übrig,
als Schleswig zu incorponren."

Man hatte sich zugleich verständigt, die Deputation der Bürgerrepräscntanicn,
die andern Tages zu Mittag mit ihrer Adresse auf das Schloß ziehen wollte, im
großen Zuge zu begleiten. Diese Adresse besagte, daß das jetzige Ministerium
nicht das Zutrauen des Volkes habe, den Umständen nicht gewachsen sei, entlassen
werden müsse: „wir rufen Ew. Majestät an, die Nation nicht zur
Selbsthülfe der Verzweiflung zu treiben." (ille at drive Nationen til
Fortvivelsens Selvhjelp.)

Vorübergehend erinnern wir, daß denselben Montag Abend auch Massen
Arbeiter im Hippodrom versammelt waren, daß die Studenten, die bereits am
18. eine Versammlung gehalten und Offiziere hinzugezogen hatten, um ihre Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/64>, abgerufen am 01.09.2024.