Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dichtung ; eine wcitausgcsponncnc Geschichte, die weiter nichts ist als eine Mosaikarbeit
aus fertigen Zuständen, wird zuletzt unerträglich, wenn das Einzelne auch noch so gut
ausgeführt ist. Nur ein unmittelbarer pädagogischer Zweck, wie es bei Jeremias Gott-
helf der Fall ist, kann sie rechtfertigen. -- Cornelius van schälet ist 1808 zu Amster¬
dam im Bürgerstande geboren, hat eine streng protestantische Erziehung gehabt, und ist
seit 1832 Prediger. Er hat früher nnr einige theologisch-belletristische Producte geliefert,
bis er 1847 mit einem größer" Volksbuche "Gcert" hervortrat, einer vlämischen Be¬
arbeitung von Gotthelf's: Ali, der Knecht. Noch in demselben Jahre erschienen:
>s>'>Lo>), von vorlaut uit Iiol, t,i,j>.>v!>Il der ^pvslolvu und: l!o<! xorgl, ol no Il.mit-
"vkcxüiiiüilivi' uit alö !>et>l.ort"iurlvn vim ^.mslvillsm. Seinen eigentlichen Nus hat er
1848 durch daS oben angeführte Werk: Lvlen uit IivI, Dioiiisel, doipslodon
(Bilder aus dem Drcnthschen Dorfleben) erworben. -- Auch als Kanzelredner soll er
von Bedeutung sein.

Der kleine Roman von Conscicnce ist schwach. Der Anlage nach ein satyrisches
Charakterbild von reichgcwvrdcnen Bauer", die in lächerlichem Dünkel über ihren Stand
hinausstreben, springt er plötzlich, über alles Erwarten und ohne alle Berechtigung, in's
Tragische über, und endet mit Mord und Todtschlag, mit Schwindsucht aus Liebe u. tgi.
DaS paßt sich nicht; zu allen Dingen gehört eine gewisse Stimmung, und wenn uns
Jemand mitten unter herzlichem Gelächter in alle Greuel einer Criminalgcschichte schleu¬
dert, so werden wir mit Recht verdrießlich. -- Was Hendrik Conscicnec's literarische
Gcsammtthätigkcit betrifft, so verweisen wir auf eine frühere Abhandlung in diesen
Blättern, bei Gelegenheit seines Romans: Jakob von Artcvcldt. (1850 Heft 10.)

Neue lustige Komödien. Von Adolph Glaßbrenncr. Hamburg, Verlags-
Comptoir. I. Kaspar der Mensch. "Hier," sagt der Verfasser:


Herrscht Nichts als Willkür und Verrücktheit. Hier
Hört so zu sagen wirklich Allens auf,
Was Form und Inhalt edele. Ruh' und Ordnung
Der Poesie, wie jegliches Gesetz
Der Ethik und Aesthetik sind von ihm,
Dem schlechtgcstnnt-unritterlichen Autor
Aufs Aeußerste verletzt. Vernunft wird Unsinn,
Wahrheit zum Trug und Möglichkeit zur Hexe,
Und scheint auch Manches schlicht aus eurem Leben,
Schaut es nur näher an: es ist verrückt!
Stoff und Behandlung kämpfen um den Preis
Der Liederlichkeit, ihrer Dirne, die
Auf hohem Weinfaß sitzt und buhlerisch-
Verliebte Blicke auf den Ritter wirft u, f. w.

Dieser vollkommen richtigen Selbstkritik hätten wir wenig hinzuzufügen, wenn wir
nicht zwei allgemeine Betrachtungen daran knüpfen wollten: eine politische und eine
ästhetische. ,

Die Berliner Demokratie ist in vielen Dingen zurückgegangen, aber Eines hat sie


Dichtung ; eine wcitausgcsponncnc Geschichte, die weiter nichts ist als eine Mosaikarbeit
aus fertigen Zuständen, wird zuletzt unerträglich, wenn das Einzelne auch noch so gut
ausgeführt ist. Nur ein unmittelbarer pädagogischer Zweck, wie es bei Jeremias Gott-
helf der Fall ist, kann sie rechtfertigen. — Cornelius van schälet ist 1808 zu Amster¬
dam im Bürgerstande geboren, hat eine streng protestantische Erziehung gehabt, und ist
seit 1832 Prediger. Er hat früher nnr einige theologisch-belletristische Producte geliefert,
bis er 1847 mit einem größer» Volksbuche „Gcert" hervortrat, einer vlämischen Be¬
arbeitung von Gotthelf's: Ali, der Knecht. Noch in demselben Jahre erschienen:
>s>'>Lo>), von vorlaut uit Iiol, t,i,j>.>v!>Il der ^pvslolvu und: l!o<! xorgl, ol no Il.mit-
«vkcxüiiiüilivi' uit alö !>et>l.ort»iurlvn vim ^.mslvillsm. Seinen eigentlichen Nus hat er
1848 durch daS oben angeführte Werk: Lvlen uit IivI, Dioiiisel, doipslodon
(Bilder aus dem Drcnthschen Dorfleben) erworben. — Auch als Kanzelredner soll er
von Bedeutung sein.

Der kleine Roman von Conscicnce ist schwach. Der Anlage nach ein satyrisches
Charakterbild von reichgcwvrdcnen Bauer», die in lächerlichem Dünkel über ihren Stand
hinausstreben, springt er plötzlich, über alles Erwarten und ohne alle Berechtigung, in's
Tragische über, und endet mit Mord und Todtschlag, mit Schwindsucht aus Liebe u. tgi.
DaS paßt sich nicht; zu allen Dingen gehört eine gewisse Stimmung, und wenn uns
Jemand mitten unter herzlichem Gelächter in alle Greuel einer Criminalgcschichte schleu¬
dert, so werden wir mit Recht verdrießlich. — Was Hendrik Conscicnec's literarische
Gcsammtthätigkcit betrifft, so verweisen wir auf eine frühere Abhandlung in diesen
Blättern, bei Gelegenheit seines Romans: Jakob von Artcvcldt. (1850 Heft 10.)

Neue lustige Komödien. Von Adolph Glaßbrenncr. Hamburg, Verlags-
Comptoir. I. Kaspar der Mensch. „Hier," sagt der Verfasser:


Herrscht Nichts als Willkür und Verrücktheit. Hier
Hört so zu sagen wirklich Allens auf,
Was Form und Inhalt edele. Ruh' und Ordnung
Der Poesie, wie jegliches Gesetz
Der Ethik und Aesthetik sind von ihm,
Dem schlechtgcstnnt-unritterlichen Autor
Aufs Aeußerste verletzt. Vernunft wird Unsinn,
Wahrheit zum Trug und Möglichkeit zur Hexe,
Und scheint auch Manches schlicht aus eurem Leben,
Schaut es nur näher an: es ist verrückt!
Stoff und Behandlung kämpfen um den Preis
Der Liederlichkeit, ihrer Dirne, die
Auf hohem Weinfaß sitzt und buhlerisch-
Verliebte Blicke auf den Ritter wirft u, f. w.

Dieser vollkommen richtigen Selbstkritik hätten wir wenig hinzuzufügen, wenn wir
nicht zwei allgemeine Betrachtungen daran knüpfen wollten: eine politische und eine
ästhetische. ,

Die Berliner Demokratie ist in vielen Dingen zurückgegangen, aber Eines hat sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86110"/>
          <p xml:id="ID_1818" prev="#ID_1817"> Dichtung ; eine wcitausgcsponncnc Geschichte, die weiter nichts ist als eine Mosaikarbeit<lb/>
aus fertigen Zuständen, wird zuletzt unerträglich, wenn das Einzelne auch noch so gut<lb/>
ausgeführt ist. Nur ein unmittelbarer pädagogischer Zweck, wie es bei Jeremias Gott-<lb/>
helf der Fall ist, kann sie rechtfertigen. &#x2014; Cornelius van schälet ist 1808 zu Amster¬<lb/>
dam im Bürgerstande geboren, hat eine streng protestantische Erziehung gehabt, und ist<lb/>
seit 1832 Prediger. Er hat früher nnr einige theologisch-belletristische Producte geliefert,<lb/>
bis er 1847 mit einem größer» Volksbuche &#x201E;Gcert" hervortrat, einer vlämischen Be¬<lb/>
arbeitung von Gotthelf's: Ali, der Knecht. Noch in demselben Jahre erschienen:<lb/>
&gt;s&gt;'&gt;Lo&gt;), von vorlaut uit Iiol, t,i,j&gt;.&gt;v!&gt;Il der ^pvslolvu und: l!o&lt;! xorgl, ol no Il.mit-<lb/>
«vkcxüiiiüilivi' uit alö !&gt;et&gt;l.ort»iurlvn vim ^.mslvillsm. Seinen eigentlichen Nus hat er<lb/>
1848 durch daS oben angeführte Werk: Lvlen uit IivI, Dioiiisel, doipslodon<lb/>
(Bilder aus dem Drcnthschen Dorfleben) erworben. &#x2014; Auch als Kanzelredner soll er<lb/>
von Bedeutung sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1819"> Der kleine Roman von Conscicnce ist schwach. Der Anlage nach ein satyrisches<lb/>
Charakterbild von reichgcwvrdcnen Bauer», die in lächerlichem Dünkel über ihren Stand<lb/>
hinausstreben, springt er plötzlich, über alles Erwarten und ohne alle Berechtigung, in's<lb/>
Tragische über, und endet mit Mord und Todtschlag, mit Schwindsucht aus Liebe u. tgi.<lb/>
DaS paßt sich nicht; zu allen Dingen gehört eine gewisse Stimmung, und wenn uns<lb/>
Jemand mitten unter herzlichem Gelächter in alle Greuel einer Criminalgcschichte schleu¬<lb/>
dert, so werden wir mit Recht verdrießlich. &#x2014; Was Hendrik Conscicnec's literarische<lb/>
Gcsammtthätigkcit betrifft, so verweisen wir auf eine frühere Abhandlung in diesen<lb/>
Blättern, bei Gelegenheit seines Romans: Jakob von Artcvcldt.  (1850 Heft 10.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1820"> Neue lustige Komödien. Von Adolph Glaßbrenncr. Hamburg, Verlags-<lb/>
Comptoir.  I. Kaspar der Mensch.  &#x201E;Hier," sagt der Verfasser:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_28" type="poem">
              <l> Herrscht Nichts als Willkür und Verrücktheit. Hier<lb/>
Hört so zu sagen wirklich Allens auf,<lb/>
Was Form und Inhalt edele.  Ruh' und Ordnung<lb/>
Der Poesie, wie jegliches Gesetz<lb/>
Der Ethik und Aesthetik sind von ihm,<lb/>
Dem schlechtgcstnnt-unritterlichen Autor<lb/>
Aufs Aeußerste verletzt.  Vernunft wird Unsinn,<lb/>
Wahrheit zum Trug und Möglichkeit zur Hexe,<lb/>
Und scheint auch Manches schlicht aus eurem Leben,<lb/>
Schaut es nur näher an: es ist verrückt!<lb/>
Stoff und Behandlung kämpfen um den Preis<lb/>
Der Liederlichkeit, ihrer Dirne, die<lb/>
Auf hohem Weinfaß sitzt und buhlerisch-<lb/>
Verliebte Blicke auf den Ritter wirft u, f. w.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1821"> Dieser vollkommen richtigen Selbstkritik hätten wir wenig hinzuzufügen, wenn wir<lb/>
nicht zwei allgemeine Betrachtungen daran knüpfen wollten: eine politische und eine<lb/>
ästhetische. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1822" next="#ID_1823"> Die Berliner Demokratie ist in vielen Dingen zurückgegangen, aber Eines hat sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] Dichtung ; eine wcitausgcsponncnc Geschichte, die weiter nichts ist als eine Mosaikarbeit aus fertigen Zuständen, wird zuletzt unerträglich, wenn das Einzelne auch noch so gut ausgeführt ist. Nur ein unmittelbarer pädagogischer Zweck, wie es bei Jeremias Gott- helf der Fall ist, kann sie rechtfertigen. — Cornelius van schälet ist 1808 zu Amster¬ dam im Bürgerstande geboren, hat eine streng protestantische Erziehung gehabt, und ist seit 1832 Prediger. Er hat früher nnr einige theologisch-belletristische Producte geliefert, bis er 1847 mit einem größer» Volksbuche „Gcert" hervortrat, einer vlämischen Be¬ arbeitung von Gotthelf's: Ali, der Knecht. Noch in demselben Jahre erschienen: >s>'>Lo>), von vorlaut uit Iiol, t,i,j>.>v!>Il der ^pvslolvu und: l!o<! xorgl, ol no Il.mit- «vkcxüiiiüilivi' uit alö !>et>l.ort»iurlvn vim ^.mslvillsm. Seinen eigentlichen Nus hat er 1848 durch daS oben angeführte Werk: Lvlen uit IivI, Dioiiisel, doipslodon (Bilder aus dem Drcnthschen Dorfleben) erworben. — Auch als Kanzelredner soll er von Bedeutung sein. Der kleine Roman von Conscicnce ist schwach. Der Anlage nach ein satyrisches Charakterbild von reichgcwvrdcnen Bauer», die in lächerlichem Dünkel über ihren Stand hinausstreben, springt er plötzlich, über alles Erwarten und ohne alle Berechtigung, in's Tragische über, und endet mit Mord und Todtschlag, mit Schwindsucht aus Liebe u. tgi. DaS paßt sich nicht; zu allen Dingen gehört eine gewisse Stimmung, und wenn uns Jemand mitten unter herzlichem Gelächter in alle Greuel einer Criminalgcschichte schleu¬ dert, so werden wir mit Recht verdrießlich. — Was Hendrik Conscicnec's literarische Gcsammtthätigkcit betrifft, so verweisen wir auf eine frühere Abhandlung in diesen Blättern, bei Gelegenheit seines Romans: Jakob von Artcvcldt. (1850 Heft 10.) Neue lustige Komödien. Von Adolph Glaßbrenncr. Hamburg, Verlags- Comptoir. I. Kaspar der Mensch. „Hier," sagt der Verfasser: Herrscht Nichts als Willkür und Verrücktheit. Hier Hört so zu sagen wirklich Allens auf, Was Form und Inhalt edele. Ruh' und Ordnung Der Poesie, wie jegliches Gesetz Der Ethik und Aesthetik sind von ihm, Dem schlechtgcstnnt-unritterlichen Autor Aufs Aeußerste verletzt. Vernunft wird Unsinn, Wahrheit zum Trug und Möglichkeit zur Hexe, Und scheint auch Manches schlicht aus eurem Leben, Schaut es nur näher an: es ist verrückt! Stoff und Behandlung kämpfen um den Preis Der Liederlichkeit, ihrer Dirne, die Auf hohem Weinfaß sitzt und buhlerisch- Verliebte Blicke auf den Ritter wirft u, f. w. Dieser vollkommen richtigen Selbstkritik hätten wir wenig hinzuzufügen, wenn wir nicht zwei allgemeine Betrachtungen daran knüpfen wollten: eine politische und eine ästhetische. , Die Berliner Demokratie ist in vielen Dingen zurückgegangen, aber Eines hat sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/527>, abgerufen am 27.07.2024.