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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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noch wenig "poetische" Gerechtigkeit; wir finden noch sowenig von unserem mensch¬
lichen Wesen in den einzelnen Masken, daß wir geringe sittliche Anforderungen
an sie machen. Jndeß einige doch schon, wir wollen den hohlen Prahler, den
schleichenden Aufpasser geprügelt sehen, ja wir wünschen, daß Pantalon zuletzt eine,
wenn auch gezwungene Einwilligung zu Colombiucus Verbindung mit Harlekin
gebe u. s. w. -- Auch in der Posse, wo einzelne Lächerlichkeiten, Verkehrtheiten
die Grundlage bilden, auf welchen der Schein eines menschlichen Lebens flüchtig
aufgebaut wird, ist für die komische Wirkung der Action bereits Bedingung, daß
die Schelmenstreiche der mvderuisirtcn Masten einen gewissen ethischen Fond als
Gegengewicht haben, der entweder in der Persönlichkeit dieser Maske selbst liegt,
oder in den Folgen ihrer Thaten, d. h. in der Handlung des Stückes. Ein
pfiffiger und gewandter Betrüger z. B. wird uns als Hauptheld der Posse auch
dann noch verstimmen, wenn er mit größtem Witz und bester Laune seine Gauner¬
streiche glücklich zu Ende führt, so fern nicht in ihm selbst Momente zu
Tage kommen, aus denen wir das Verkehrte und Beschränkte seiner Hand-
lungsweise so schlagend hervortreten sehen, daß wir mit superiorer Ruhe und
Heiterkeit seinen Lauf dnrch das Stück "erfolgen können. Da aber, wo künstlerisch
geschlossene Bilder wirklicher Menschen auftreten, wie in den erwähnten beiden
Stücken von Malß, verletzt uns ihre sittliche Verkehrtheit, weil sie kein genügendes
Gegenwinde in der Idee des Stückes findet, welche wenigstens am Schlüsse hervor¬
treten sollte. Zwei Bauern, Freier eines kaltblütig cälcnlirendeu Baucrnmädchcns
gerathen in Händel um ein Stück Feld, das sie gemeinschaftlich dnrch allmäliges
Abpflügeu dem Gutsherr" gestohlen habe", das aber durch deu Gutsherrn dem
Mädchen als Aussteuer geschenkt wird. Der eine Schelm, den das Mädchen
wählt, ängstigt und straft den andern. Er selbst geht frei aus. Zu solcher leichten
Auffassung einer unsittlichen That paßt nicht gut die Portraitansführnng, welche
die Bauern zumeist durch deu Dialekt erhalten. Im zweiten Stück treiben nichts¬
nutzige Dienstboten eines Hanfes ihr Wesen, machen einen Küchenpnnsch und
werden von der Herrschaft überrascht, die eine Magd bringt heimlich die andere
ans dem Dienst n. s. w. Auch hier Schilderung einer gemeinen Wirklichkeit,
welche mit unserem sittlichen Empfinden nicht versöhnt wird. Die Vorwürfe,
welche die Frankfurter Hausfrauen dem letzten Stück machten, daß es keine Freude
sei, das Misörc ihres Haushalts so nackt aus den Brettern zu sehen, war ganz
begründet. Das Stück erhält gerade durch die -- an sich gute Charakteristik
eine unangenehme Rohheit, die es in dem französischen Original, welchem die
Situationen entnommen sind, nicht hat.

Der Nest des Buches, eine Posse und einige Puppenspiele, zuletzt der lite¬
rarische Nachlaß, darunter einige scherzhafte Briefe im Ton unserer "fliegenden
Blätter", sind für uns nicht von großer Wichtigkeit.

Mit der einfachen Handlung, auf welche Malß seine Figuren gründet, nimmt


noch wenig „poetische" Gerechtigkeit; wir finden noch sowenig von unserem mensch¬
lichen Wesen in den einzelnen Masken, daß wir geringe sittliche Anforderungen
an sie machen. Jndeß einige doch schon, wir wollen den hohlen Prahler, den
schleichenden Aufpasser geprügelt sehen, ja wir wünschen, daß Pantalon zuletzt eine,
wenn auch gezwungene Einwilligung zu Colombiucus Verbindung mit Harlekin
gebe u. s. w. — Auch in der Posse, wo einzelne Lächerlichkeiten, Verkehrtheiten
die Grundlage bilden, auf welchen der Schein eines menschlichen Lebens flüchtig
aufgebaut wird, ist für die komische Wirkung der Action bereits Bedingung, daß
die Schelmenstreiche der mvderuisirtcn Masten einen gewissen ethischen Fond als
Gegengewicht haben, der entweder in der Persönlichkeit dieser Maske selbst liegt,
oder in den Folgen ihrer Thaten, d. h. in der Handlung des Stückes. Ein
pfiffiger und gewandter Betrüger z. B. wird uns als Hauptheld der Posse auch
dann noch verstimmen, wenn er mit größtem Witz und bester Laune seine Gauner¬
streiche glücklich zu Ende führt, so fern nicht in ihm selbst Momente zu
Tage kommen, aus denen wir das Verkehrte und Beschränkte seiner Hand-
lungsweise so schlagend hervortreten sehen, daß wir mit superiorer Ruhe und
Heiterkeit seinen Lauf dnrch das Stück »erfolgen können. Da aber, wo künstlerisch
geschlossene Bilder wirklicher Menschen auftreten, wie in den erwähnten beiden
Stücken von Malß, verletzt uns ihre sittliche Verkehrtheit, weil sie kein genügendes
Gegenwinde in der Idee des Stückes findet, welche wenigstens am Schlüsse hervor¬
treten sollte. Zwei Bauern, Freier eines kaltblütig cälcnlirendeu Baucrnmädchcns
gerathen in Händel um ein Stück Feld, das sie gemeinschaftlich dnrch allmäliges
Abpflügeu dem Gutsherr» gestohlen habe», das aber durch deu Gutsherrn dem
Mädchen als Aussteuer geschenkt wird. Der eine Schelm, den das Mädchen
wählt, ängstigt und straft den andern. Er selbst geht frei aus. Zu solcher leichten
Auffassung einer unsittlichen That paßt nicht gut die Portraitansführnng, welche
die Bauern zumeist durch deu Dialekt erhalten. Im zweiten Stück treiben nichts¬
nutzige Dienstboten eines Hanfes ihr Wesen, machen einen Küchenpnnsch und
werden von der Herrschaft überrascht, die eine Magd bringt heimlich die andere
ans dem Dienst n. s. w. Auch hier Schilderung einer gemeinen Wirklichkeit,
welche mit unserem sittlichen Empfinden nicht versöhnt wird. Die Vorwürfe,
welche die Frankfurter Hausfrauen dem letzten Stück machten, daß es keine Freude
sei, das Misörc ihres Haushalts so nackt aus den Brettern zu sehen, war ganz
begründet. Das Stück erhält gerade durch die — an sich gute Charakteristik
eine unangenehme Rohheit, die es in dem französischen Original, welchem die
Situationen entnommen sind, nicht hat.

Der Nest des Buches, eine Posse und einige Puppenspiele, zuletzt der lite¬
rarische Nachlaß, darunter einige scherzhafte Briefe im Ton unserer „fliegenden
Blätter", sind für uns nicht von großer Wichtigkeit.

Mit der einfachen Handlung, auf welche Malß seine Figuren gründet, nimmt


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[0052] noch wenig „poetische" Gerechtigkeit; wir finden noch sowenig von unserem mensch¬ lichen Wesen in den einzelnen Masken, daß wir geringe sittliche Anforderungen an sie machen. Jndeß einige doch schon, wir wollen den hohlen Prahler, den schleichenden Aufpasser geprügelt sehen, ja wir wünschen, daß Pantalon zuletzt eine, wenn auch gezwungene Einwilligung zu Colombiucus Verbindung mit Harlekin gebe u. s. w. — Auch in der Posse, wo einzelne Lächerlichkeiten, Verkehrtheiten die Grundlage bilden, auf welchen der Schein eines menschlichen Lebens flüchtig aufgebaut wird, ist für die komische Wirkung der Action bereits Bedingung, daß die Schelmenstreiche der mvderuisirtcn Masten einen gewissen ethischen Fond als Gegengewicht haben, der entweder in der Persönlichkeit dieser Maske selbst liegt, oder in den Folgen ihrer Thaten, d. h. in der Handlung des Stückes. Ein pfiffiger und gewandter Betrüger z. B. wird uns als Hauptheld der Posse auch dann noch verstimmen, wenn er mit größtem Witz und bester Laune seine Gauner¬ streiche glücklich zu Ende führt, so fern nicht in ihm selbst Momente zu Tage kommen, aus denen wir das Verkehrte und Beschränkte seiner Hand- lungsweise so schlagend hervortreten sehen, daß wir mit superiorer Ruhe und Heiterkeit seinen Lauf dnrch das Stück »erfolgen können. Da aber, wo künstlerisch geschlossene Bilder wirklicher Menschen auftreten, wie in den erwähnten beiden Stücken von Malß, verletzt uns ihre sittliche Verkehrtheit, weil sie kein genügendes Gegenwinde in der Idee des Stückes findet, welche wenigstens am Schlüsse hervor¬ treten sollte. Zwei Bauern, Freier eines kaltblütig cälcnlirendeu Baucrnmädchcns gerathen in Händel um ein Stück Feld, das sie gemeinschaftlich dnrch allmäliges Abpflügeu dem Gutsherr» gestohlen habe», das aber durch deu Gutsherrn dem Mädchen als Aussteuer geschenkt wird. Der eine Schelm, den das Mädchen wählt, ängstigt und straft den andern. Er selbst geht frei aus. Zu solcher leichten Auffassung einer unsittlichen That paßt nicht gut die Portraitansführnng, welche die Bauern zumeist durch deu Dialekt erhalten. Im zweiten Stück treiben nichts¬ nutzige Dienstboten eines Hanfes ihr Wesen, machen einen Küchenpnnsch und werden von der Herrschaft überrascht, die eine Magd bringt heimlich die andere ans dem Dienst n. s. w. Auch hier Schilderung einer gemeinen Wirklichkeit, welche mit unserem sittlichen Empfinden nicht versöhnt wird. Die Vorwürfe, welche die Frankfurter Hausfrauen dem letzten Stück machten, daß es keine Freude sei, das Misörc ihres Haushalts so nackt aus den Brettern zu sehen, war ganz begründet. Das Stück erhält gerade durch die — an sich gute Charakteristik eine unangenehme Rohheit, die es in dem französischen Original, welchem die Situationen entnommen sind, nicht hat. Der Nest des Buches, eine Posse und einige Puppenspiele, zuletzt der lite¬ rarische Nachlaß, darunter einige scherzhafte Briefe im Ton unserer „fliegenden Blätter", sind für uns nicht von großer Wichtigkeit. Mit der einfachen Handlung, auf welche Malß seine Figuren gründet, nimmt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/52>, abgerufen am 01.09.2024.