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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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er's nicht eben genau. Es ist französischer Einfluß bei ihm nicht zu verkennen,
war er doch in seiner Jugend in einem Geschäft zu Lyon gewesen. Sein Name
klingt gewiß fremd in vielen Ohren, welche seine Stücke doch gehört haben.
Sie erschienen anonym, der wunderliche Mann behielt sein Incognito noch bei,
als es längst ein öffentliches Geheimniß war. In der letzten Zeit seines Lebens
machte ihm das Theater viele Sorge, zumal seitdem er auch das Geldrisiko dafür
übernommen hatte. Seiner Bildung nach war er ein Vielwisser, er las leiden¬
schaftlich und ohne Prinzip; am liebsten alte Drucke, Chroniken und seltsame
Originalwerke. Das Gelesene speicherte er ordnungsliebend und mit gutem Ge-
dächtniß in seinem Kopf auf und überraschte seine Freunde oft durch ungewöhn¬
liche Gedankenverbindungen und historische und antiquarische Notizen. Uebrigens
scheint er nichts weniger, als leicht zugänglich und von leichtem Anschluß gewesen
zu sein, denn sein Biograph wundert sich, woher ihm die genaue Kenntniß der
Dialekte gekommen sei. Es ist auch hierbei einige künstlerische Täuschung; denn
bei der Benutzung eines Dialekts für die Poesie ist gar uicht nöthig, ja nicht
einmal wünschenswerth, daß alle Abweichungen von der Schriftsprache treu copirt
sind. Sondern die Wirkung hängt beim Autor, wie beim Darsteller davon ab,
daß einzelnes besonders Charakteristische in Enduugcu, oft wiederkehrenden Wör¬
tern und Redensarten geschickt angebracht und ausgedruckt werde. Es gibt
Schauspieler, welche bei nur oberflächlicher Kenntniß viele Dialekte auf der Bühne
gut zu sprechen wissen, weil sie die ihrer Kunst eigenthümliche Fähigkeit in aus¬
gezeichnetem Grade besitzen, nach einem innern Bilde, das sie vom Charakteristischen
ihrer Rolle haben, schnell das Detail der äußern Erscheinung ausdrücke" zu können;
so nehmen sie anch das Charakteristische im Klange eines Dialekts in schnellem Ver¬
ständnis; auf, die Sprechwerkzeuge fügen sich gehorsam dem schaffenden Triebe, und
Ausdruck des Gesichtes und Geberde unterstützen die Nachahmung so glücklich, daß
der Hörer gar nicht die Freiheit behält, auf einzelne Unregelmäßigkeiten zu achten
und das zu erkennen, was dem Spielenden zur genügenden Kenntniß des Dia¬
lekts fehlt. Auch hierin ist die Kunst des Schauspielers die Kunst des schönen
Scheins.

In Berlin und Wien hat die Localkomödie größere Ausdehnung und eine --
freilich im Ganzen nicht sehr erfreuliche -- Geschichte erhalten. In mehrern an¬
dern größern Städten, z. B. Hamburg, gibt, oder gab es einzelne Local-
possen, welche eine feste Stelle auf dem Repertoir ihrer Theater haben. Wie
das Gedeihen der gesammten Komödie unter anderm abhängig ist von dem Grade
des Selbstgefühls, mit welchem die Nation sich und ihre Zustände betrachtet, so
ist auch dies Dialektlnstspiel je nach dem Grade des Behagens, womit eine Ge¬
gend ihre charakteristischen Eigentümlichkeiten genießt, nrehr oder weniger culti-
virt worden. Städte, deren Einwohner geringe Freude an ihrer Nationalität
haben, z. B. Dresden und Leipzig, haben gar keine erwähnenswerthen Local-


er's nicht eben genau. Es ist französischer Einfluß bei ihm nicht zu verkennen,
war er doch in seiner Jugend in einem Geschäft zu Lyon gewesen. Sein Name
klingt gewiß fremd in vielen Ohren, welche seine Stücke doch gehört haben.
Sie erschienen anonym, der wunderliche Mann behielt sein Incognito noch bei,
als es längst ein öffentliches Geheimniß war. In der letzten Zeit seines Lebens
machte ihm das Theater viele Sorge, zumal seitdem er auch das Geldrisiko dafür
übernommen hatte. Seiner Bildung nach war er ein Vielwisser, er las leiden¬
schaftlich und ohne Prinzip; am liebsten alte Drucke, Chroniken und seltsame
Originalwerke. Das Gelesene speicherte er ordnungsliebend und mit gutem Ge-
dächtniß in seinem Kopf auf und überraschte seine Freunde oft durch ungewöhn¬
liche Gedankenverbindungen und historische und antiquarische Notizen. Uebrigens
scheint er nichts weniger, als leicht zugänglich und von leichtem Anschluß gewesen
zu sein, denn sein Biograph wundert sich, woher ihm die genaue Kenntniß der
Dialekte gekommen sei. Es ist auch hierbei einige künstlerische Täuschung; denn
bei der Benutzung eines Dialekts für die Poesie ist gar uicht nöthig, ja nicht
einmal wünschenswerth, daß alle Abweichungen von der Schriftsprache treu copirt
sind. Sondern die Wirkung hängt beim Autor, wie beim Darsteller davon ab,
daß einzelnes besonders Charakteristische in Enduugcu, oft wiederkehrenden Wör¬
tern und Redensarten geschickt angebracht und ausgedruckt werde. Es gibt
Schauspieler, welche bei nur oberflächlicher Kenntniß viele Dialekte auf der Bühne
gut zu sprechen wissen, weil sie die ihrer Kunst eigenthümliche Fähigkeit in aus¬
gezeichnetem Grade besitzen, nach einem innern Bilde, das sie vom Charakteristischen
ihrer Rolle haben, schnell das Detail der äußern Erscheinung ausdrücke» zu können;
so nehmen sie anch das Charakteristische im Klange eines Dialekts in schnellem Ver¬
ständnis; auf, die Sprechwerkzeuge fügen sich gehorsam dem schaffenden Triebe, und
Ausdruck des Gesichtes und Geberde unterstützen die Nachahmung so glücklich, daß
der Hörer gar nicht die Freiheit behält, auf einzelne Unregelmäßigkeiten zu achten
und das zu erkennen, was dem Spielenden zur genügenden Kenntniß des Dia¬
lekts fehlt. Auch hierin ist die Kunst des Schauspielers die Kunst des schönen
Scheins.

In Berlin und Wien hat die Localkomödie größere Ausdehnung und eine —
freilich im Ganzen nicht sehr erfreuliche — Geschichte erhalten. In mehrern an¬
dern größern Städten, z. B. Hamburg, gibt, oder gab es einzelne Local-
possen, welche eine feste Stelle auf dem Repertoir ihrer Theater haben. Wie
das Gedeihen der gesammten Komödie unter anderm abhängig ist von dem Grade
des Selbstgefühls, mit welchem die Nation sich und ihre Zustände betrachtet, so
ist auch dies Dialektlnstspiel je nach dem Grade des Behagens, womit eine Ge¬
gend ihre charakteristischen Eigentümlichkeiten genießt, nrehr oder weniger culti-
virt worden. Städte, deren Einwohner geringe Freude an ihrer Nationalität
haben, z. B. Dresden und Leipzig, haben gar keine erwähnenswerthen Local-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/53>, abgerufen am 01.09.2024.