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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Herren tanzen, unter ihnen natürlich Florestan und Eusebius, oftmals auf zu aus¬
gewählte und außerordentliche Weise, daß man die Absicht deutlich sieht, sie wollen
sich auszeichnen und den Alten etwas Neues vortanzen. Eine zweite Gruppe bil¬
den die Werke: Phantasiestücke (op. 12), Stückes g^mpkon. top. 13), Loneert
"ans oreK(Z8l.l'<z top. 1-5), Kiudcrsceneu (op. 15), Kreisleriana, (op. 16),
woran sich noch die Novelletten (op. 21) und die Nachtstücke (op. 23) fügen las¬
sen. Alle diese Werke liegen noch auf rein romantischer Basis; es sind in ihnen
meist kurze, abgerissene Salze enthalten, welche mehr durch die Originalität und
Tiefe der Motive befriedigen, als durch die formale Darstellung. Alle diese Werke
sind gewiß mit dem größten geistigen Kampfe geboren: der Schöpfer ringt mit
dein Stoffe, er ist noch nicht stark genug', ihn in edlere Formen zu zwingen.
Den Uebergang zu der folgenden Periode der künstlerischen Thätigkeit Schumann'ö
bilden die Werke: Arabeske (vo. 18), Blumenstück (o". 19), Humoreske (ol>. 20)
und Sonate in (! moll (op. 22). Es zeigt sich in diesen Werken schon jene
Klarheit und Durchsichtigkeit, die deu Werken der Mittlern Periode eigenthümlich
ist. Besonders hervorzuheben ist die Sonate, aus welcher das erstemal hervor¬
geht, daß der Componist im Stande sein wird, die längere und höhere Kunst-
form mit Leichtigkeit zu beherrschen.

Es war nöthig, diese erste Periode der Thätigkeit Schumann's näher in's
Auge zu fassen, weil in ihr der Schlüssel zur Erkenntniß seiner Kunstrichtung
liegt. Ihn führte sein Unterricht und seine Umgebung nicht nach einer bestimmten
Kunstrichtung, wie dies bei Mendelssohn der Fall war, der als junges Reis schon
dnrch geschickte Gärtner aus deu Baum der alten Classicität gcprvpft wurde. Men-
delssohn verfiel nicht in die Jrrthümer, mit denen Schumann lauge Jahre zu
kämpfen hatte. Der Kampf war schwer, aber er drang durch.

Von Jugend an auf sich selbst gewiesen und durch keine bestimmte musikalische
Zucht geleitet, mußte er deu Weg für seiue Thätigkeit sich selbst vorzeichnen.
Auch seine Freunde und Anhänger waren ihm nicht geistig so weit überlegen, um
irgend einen nachhaltigen Einfluß auf ihn auszuüben. Diese künstlerische Autonomie
ist es, die man andeutet, wenn man ihn eiuen Romantiker nennt. Die Anwen¬
dung dieses Begriffs auf die Musik kauu mir bildlich und uneigentlich verstanden
werdeu. ES liegt darin die Bedeutung einer Emancipation von gewissen, dnrch
logische und ästhetische Gesetze befestigten Wahrheiten; es liegt darin ein geflissent¬
liches Negiren des Anerkannten und durch den Gebrauch Geheiligten, ein Streben,
die Fesseln -der sogenannten Classicität abzuschütteln, die "vorsätzliche Ungeschick¬
lichkeit", von der früher die Rede war, das geflissentliche Verachten anerkannter
Kunstformen und die willkürliche Verwendung der Knnstmitcl. Daß jugendliche,
begabte Geister in dem stürmischen Verlangen, sich auszuzeichnen, leicht in solche
Romantik sich verirren, ist in dem Wesen der menschlichen Natur begründet; daß
Schumann diesen Weg betrat und ihn längere Zeit mit allen seinen Konsequenzen


Herren tanzen, unter ihnen natürlich Florestan und Eusebius, oftmals auf zu aus¬
gewählte und außerordentliche Weise, daß man die Absicht deutlich sieht, sie wollen
sich auszeichnen und den Alten etwas Neues vortanzen. Eine zweite Gruppe bil¬
den die Werke: Phantasiestücke (op. 12), Stückes g^mpkon. top. 13), Loneert
«ans oreK(Z8l.l'<z top. 1-5), Kiudcrsceneu (op. 15), Kreisleriana, (op. 16),
woran sich noch die Novelletten (op. 21) und die Nachtstücke (op. 23) fügen las¬
sen. Alle diese Werke liegen noch auf rein romantischer Basis; es sind in ihnen
meist kurze, abgerissene Salze enthalten, welche mehr durch die Originalität und
Tiefe der Motive befriedigen, als durch die formale Darstellung. Alle diese Werke
sind gewiß mit dem größten geistigen Kampfe geboren: der Schöpfer ringt mit
dein Stoffe, er ist noch nicht stark genug', ihn in edlere Formen zu zwingen.
Den Uebergang zu der folgenden Periode der künstlerischen Thätigkeit Schumann'ö
bilden die Werke: Arabeske (vo. 18), Blumenstück (o». 19), Humoreske (ol>. 20)
und Sonate in (! moll (op. 22). Es zeigt sich in diesen Werken schon jene
Klarheit und Durchsichtigkeit, die deu Werken der Mittlern Periode eigenthümlich
ist. Besonders hervorzuheben ist die Sonate, aus welcher das erstemal hervor¬
geht, daß der Componist im Stande sein wird, die längere und höhere Kunst-
form mit Leichtigkeit zu beherrschen.

Es war nöthig, diese erste Periode der Thätigkeit Schumann's näher in's
Auge zu fassen, weil in ihr der Schlüssel zur Erkenntniß seiner Kunstrichtung
liegt. Ihn führte sein Unterricht und seine Umgebung nicht nach einer bestimmten
Kunstrichtung, wie dies bei Mendelssohn der Fall war, der als junges Reis schon
dnrch geschickte Gärtner aus deu Baum der alten Classicität gcprvpft wurde. Men-
delssohn verfiel nicht in die Jrrthümer, mit denen Schumann lauge Jahre zu
kämpfen hatte. Der Kampf war schwer, aber er drang durch.

Von Jugend an auf sich selbst gewiesen und durch keine bestimmte musikalische
Zucht geleitet, mußte er deu Weg für seiue Thätigkeit sich selbst vorzeichnen.
Auch seine Freunde und Anhänger waren ihm nicht geistig so weit überlegen, um
irgend einen nachhaltigen Einfluß auf ihn auszuüben. Diese künstlerische Autonomie
ist es, die man andeutet, wenn man ihn eiuen Romantiker nennt. Die Anwen¬
dung dieses Begriffs auf die Musik kauu mir bildlich und uneigentlich verstanden
werdeu. ES liegt darin die Bedeutung einer Emancipation von gewissen, dnrch
logische und ästhetische Gesetze befestigten Wahrheiten; es liegt darin ein geflissent¬
liches Negiren des Anerkannten und durch den Gebrauch Geheiligten, ein Streben,
die Fesseln -der sogenannten Classicität abzuschütteln, die „vorsätzliche Ungeschick¬
lichkeit", von der früher die Rede war, das geflissentliche Verachten anerkannter
Kunstformen und die willkürliche Verwendung der Knnstmitcl. Daß jugendliche,
begabte Geister in dem stürmischen Verlangen, sich auszuzeichnen, leicht in solche
Romantik sich verirren, ist in dem Wesen der menschlichen Natur begründet; daß
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/502>, abgerufen am 01.09.2024.