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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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verfolgte, ist ebenso natürlich. Schumann verließ das Panier der Romantik, als
er dnrch eifriges Studium zu der Ansicht sich erhoben hatte, daß neues Gute nur
der schaffen kann, welcher das alte Gute verstanden hat und zu würdigen versteht.

Die zweite größere Periode von Schumann's künstlerischer Thätigkeit umfaßt
Opus 25 bis 60. Es ist erstaunlich, in welcher kurzen Zeit sie geschaffen wurden,
(1840 -- 1846). Ueberhaupt ist Schumann der prodnctivstc Komponist unsers
Jahrhunderts. Es kann hier nicht die Rede sein von Czerny und ähnlichen
Fabrikarbeitern. Schumann, obwohl seine materiellen Verhältnisse in diesen Jahren
uicht für die glänzendsten gelten konnten, hat sich dennoch keinen Augenblick an der
heiligen Kunst versündigt. Gerade von dieser Periode an tragen seine Werke
den Stempel des höchsten Nachdenkens. Tag und Nacht schafft und felle er; er
würde es für eine Sünde halten, wenn er nicht über die kleinste Note Rechenschaft
geben könnte. In den letztvergangenen Jahren hat er das viel übertrieben, in
der jetzt vor uns liegenden Zeit sprudelt aber der Quell seiner Phantasie so lustig,
so hell und so frisch, daß es gut erscheint, wenn er dem Uebermuthe Zügel an¬
legt, daß es sogar besser gewesen wäre, er hätte in manchen Fällen noch mehr
Strenge gegen sich ausgeübt. Alle diese Werke send im edlern Sinne des
Wortes originell. Die frühern dürfen theilweise auch auf diese Bezeichnung An¬
spruch macheu, doch liegt in ihnen mehr die Originalität eines trotzigen Kindes;
hier erblicken wir geistige Freiheit, sichere Erkenntniß der vorliegenden Aufgaben,
Gewandtheit und Fertigkeit in der Behandlung des Stoffes. Und sicher sind nach
Beethoven und Weber aus keines Componisten Feder so neue, glänzende un¬
widerstehliche Melodien geflossen. Keiner unter uns versteht, wie er, die Kunst,
seine Melodien durch die lebendigsten contrapunktischcn Gebilde zu umkleiden. Es
dürfen des Beispiels wegen hier nur zuerst seine Liedersammlungen angedeutet
werden. Welche Innigkeit, welche Tiefe und Wahrheit der Melodie, und das
vortreffliche Beiwerk in der Begleitung, die treffendste Zeichnung zu dem Cha¬
rakter des Gedichtes! Der Vorwurf, die Begleitung des Pianoforte sei zu schwer
geschrieben, fällt jetzt von selbst weg, wo die neuere Technik des Clcwierspiels so
weite Verbreitung gefunden hat. Noch weniger ist der Einwand zu beachten, die
Singstimme sei unsiugbar geschrieben: er ist meist ausgegangen von Sängern von
Profession, denen diese neue ernste Weise uicht behagte, weil sie nicht in't den
Gurgelcien übereinstimmte, welche sie aus der so gesunkenen Opernmusik der letzten
Jahrzehnte gelernt hatten. Spätere Werke Schumann's trifft dieser Tadel allerdings
mit Recht. Von einer Schuld aber ist er in diesen Liedern nicht frei zu sprechen:
die theilweise unüberlegte Auswahl der Gedichte. Besonders sind hier zu er¬
wähnen: die Myrthen top. 25, 4 Hft.) und der Liederkreis von Heine (op. 48,
2 Hft.). Es finden sich da, und so auch in einzelnen andern Heften, spröde, un¬
musikalische Verse genug, denen der Componist die Musik aufgezwungen hat; es
mußte biegen oder brechen. Innerhalb der Grenze dieser Periode finden sich 17


verfolgte, ist ebenso natürlich. Schumann verließ das Panier der Romantik, als
er dnrch eifriges Studium zu der Ansicht sich erhoben hatte, daß neues Gute nur
der schaffen kann, welcher das alte Gute verstanden hat und zu würdigen versteht.

Die zweite größere Periode von Schumann's künstlerischer Thätigkeit umfaßt
Opus 25 bis 60. Es ist erstaunlich, in welcher kurzen Zeit sie geschaffen wurden,
(1840 — 1846). Ueberhaupt ist Schumann der prodnctivstc Komponist unsers
Jahrhunderts. Es kann hier nicht die Rede sein von Czerny und ähnlichen
Fabrikarbeitern. Schumann, obwohl seine materiellen Verhältnisse in diesen Jahren
uicht für die glänzendsten gelten konnten, hat sich dennoch keinen Augenblick an der
heiligen Kunst versündigt. Gerade von dieser Periode an tragen seine Werke
den Stempel des höchsten Nachdenkens. Tag und Nacht schafft und felle er; er
würde es für eine Sünde halten, wenn er nicht über die kleinste Note Rechenschaft
geben könnte. In den letztvergangenen Jahren hat er das viel übertrieben, in
der jetzt vor uns liegenden Zeit sprudelt aber der Quell seiner Phantasie so lustig,
so hell und so frisch, daß es gut erscheint, wenn er dem Uebermuthe Zügel an¬
legt, daß es sogar besser gewesen wäre, er hätte in manchen Fällen noch mehr
Strenge gegen sich ausgeübt. Alle diese Werke send im edlern Sinne des
Wortes originell. Die frühern dürfen theilweise auch auf diese Bezeichnung An¬
spruch macheu, doch liegt in ihnen mehr die Originalität eines trotzigen Kindes;
hier erblicken wir geistige Freiheit, sichere Erkenntniß der vorliegenden Aufgaben,
Gewandtheit und Fertigkeit in der Behandlung des Stoffes. Und sicher sind nach
Beethoven und Weber aus keines Componisten Feder so neue, glänzende un¬
widerstehliche Melodien geflossen. Keiner unter uns versteht, wie er, die Kunst,
seine Melodien durch die lebendigsten contrapunktischcn Gebilde zu umkleiden. Es
dürfen des Beispiels wegen hier nur zuerst seine Liedersammlungen angedeutet
werden. Welche Innigkeit, welche Tiefe und Wahrheit der Melodie, und das
vortreffliche Beiwerk in der Begleitung, die treffendste Zeichnung zu dem Cha¬
rakter des Gedichtes! Der Vorwurf, die Begleitung des Pianoforte sei zu schwer
geschrieben, fällt jetzt von selbst weg, wo die neuere Technik des Clcwierspiels so
weite Verbreitung gefunden hat. Noch weniger ist der Einwand zu beachten, die
Singstimme sei unsiugbar geschrieben: er ist meist ausgegangen von Sängern von
Profession, denen diese neue ernste Weise uicht behagte, weil sie nicht in't den
Gurgelcien übereinstimmte, welche sie aus der so gesunkenen Opernmusik der letzten
Jahrzehnte gelernt hatten. Spätere Werke Schumann's trifft dieser Tadel allerdings
mit Recht. Von einer Schuld aber ist er in diesen Liedern nicht frei zu sprechen:
die theilweise unüberlegte Auswahl der Gedichte. Besonders sind hier zu er¬
wähnen: die Myrthen top. 25, 4 Hft.) und der Liederkreis von Heine (op. 48,
2 Hft.). Es finden sich da, und so auch in einzelnen andern Heften, spröde, un¬
musikalische Verse genug, denen der Componist die Musik aufgezwungen hat; es
mußte biegen oder brechen. Innerhalb der Grenze dieser Periode finden sich 17


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/503>, abgerufen am 01.09.2024.