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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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-- ich weiß nicht mehr, ob Taillandier oder irgend ein Aehnlicher - mit jenem
suffisanten Lächeln, das die Einfalt so gut anzunehmen weiß, darauf zurück. Die
Franzosen haben sich erzählen lassen, daß Ludwig Feuerbach den alten Gott ab¬
geschafft und an dessen Stelle einen neuen gesetzt habe, die Menschheit. -- Das
ist noch nicht weit genug gegangen, meint Taillandier, die Menschheit ist ein
Abstractum, das kann man nicht anbeten, jeder Einzelne muß vielmehr sich selber
anbeten, wie es der einzige Philosoph der reinen Consequenz, Max Stirner, ganz
richtig gelehrt hat. -- Ich mochte wissen, wie der Einzelne es machen soll,
vor sich selber auf die Knie zu fallen. Er konnte es höchstens vor dem Spiegel,
und auch das würde nicht gehen, denu das Spiegelbild folgt in allen Bewegungen
seinein Original.

Nicht ersticken will die neue Philosophie das Gefühl der Anbetung des
Göttlichen; sie will ihm nur einen Inhalt geben. Der Gott der bleichen Furcht,
des abstracten Schreckens ist nicht für den freien Menschen; vor dem unbe¬
kannten Gott wirft nur der Wilde, nur der Barbar sich in den Staub. Nur
was wir ehren und lieben, können wir anbeten; nur was wir kennen, ist Gegen¬
stand unserer Liebe und Verehrung.

Vergebens hat man den Inhalt des Göttlichen in der Natur gesucht --
Natur im Gegensatz zum Geist, d. h. zum Meuschen gebraucht. Von dem Na¬
turgesetz, wie von der Fülle der Naturerscheinungen müssen wir sagen, wie Faust
vom Makrokosmus: "Welch Schauspiel! -- aber ach, ein Schauspiel nur!" --
Das Erhabene der Natur liegt nicht in der Summe von Steinen, Gasen, Pflan¬
zen, Infusionsthieren, uicht im Gesetz, denu dieses ist nichts für sich, es ist nur
eine Abstraction, ebenso wie die Unendlichkeit des Raums und die Unendlichkeit
der Bewegung; es liegt im Geiste, den diese Unendlichkeit als Einheit, dieses
Gesetz als Leben, dieses Chaos als Totalität anschaut. Die Verehrung vor der
Natur gilt der Wissenschaft, die sie erkannt hat, der menschlichen Natur, die diese
Erkenntniß in jedem Augenblicke in sich wieder empfindet.

Ueberfliegen wir diese große EntWickelung der Menschheit, die ohne Allwis¬
senheit das Universum Schritt für Schritt durchmißt; ohne Allmacht die sträubende
Natur in Fesseln schlägt; die sich selbst gewinnt, indem sie der Gegenstände Herr
wird; vereinigen wir diese Macht der Leidenschaft, diese Kraft des Guten und
der Liebe, die nicht allein in der Geschichte gewaltet, die noch immer lebendig
wirkt und webt, denn in jedem menschlichen Herzen zittert sie nach, in jedem
Auge erweckt sie den Strahl der Begeisterung -- fassen wir diese, in den Genien
der Geschichte fich ausbreitende, aber in der menschlichen Natur allgegenwärtige
Kraft des Guten, Wahren und Schönen zu Einem Bilde zusammen --


— ich weiß nicht mehr, ob Taillandier oder irgend ein Aehnlicher - mit jenem
suffisanten Lächeln, das die Einfalt so gut anzunehmen weiß, darauf zurück. Die
Franzosen haben sich erzählen lassen, daß Ludwig Feuerbach den alten Gott ab¬
geschafft und an dessen Stelle einen neuen gesetzt habe, die Menschheit. — Das
ist noch nicht weit genug gegangen, meint Taillandier, die Menschheit ist ein
Abstractum, das kann man nicht anbeten, jeder Einzelne muß vielmehr sich selber
anbeten, wie es der einzige Philosoph der reinen Consequenz, Max Stirner, ganz
richtig gelehrt hat. — Ich mochte wissen, wie der Einzelne es machen soll,
vor sich selber auf die Knie zu fallen. Er konnte es höchstens vor dem Spiegel,
und auch das würde nicht gehen, denu das Spiegelbild folgt in allen Bewegungen
seinein Original.

Nicht ersticken will die neue Philosophie das Gefühl der Anbetung des
Göttlichen; sie will ihm nur einen Inhalt geben. Der Gott der bleichen Furcht,
des abstracten Schreckens ist nicht für den freien Menschen; vor dem unbe¬
kannten Gott wirft nur der Wilde, nur der Barbar sich in den Staub. Nur
was wir ehren und lieben, können wir anbeten; nur was wir kennen, ist Gegen¬
stand unserer Liebe und Verehrung.

Vergebens hat man den Inhalt des Göttlichen in der Natur gesucht —
Natur im Gegensatz zum Geist, d. h. zum Meuschen gebraucht. Von dem Na¬
turgesetz, wie von der Fülle der Naturerscheinungen müssen wir sagen, wie Faust
vom Makrokosmus: „Welch Schauspiel! — aber ach, ein Schauspiel nur!" —
Das Erhabene der Natur liegt nicht in der Summe von Steinen, Gasen, Pflan¬
zen, Infusionsthieren, uicht im Gesetz, denu dieses ist nichts für sich, es ist nur
eine Abstraction, ebenso wie die Unendlichkeit des Raums und die Unendlichkeit
der Bewegung; es liegt im Geiste, den diese Unendlichkeit als Einheit, dieses
Gesetz als Leben, dieses Chaos als Totalität anschaut. Die Verehrung vor der
Natur gilt der Wissenschaft, die sie erkannt hat, der menschlichen Natur, die diese
Erkenntniß in jedem Augenblicke in sich wieder empfindet.

Ueberfliegen wir diese große EntWickelung der Menschheit, die ohne Allwis¬
senheit das Universum Schritt für Schritt durchmißt; ohne Allmacht die sträubende
Natur in Fesseln schlägt; die sich selbst gewinnt, indem sie der Gegenstände Herr
wird; vereinigen wir diese Macht der Leidenschaft, diese Kraft des Guten und
der Liebe, die nicht allein in der Geschichte gewaltet, die noch immer lebendig
wirkt und webt, denn in jedem menschlichen Herzen zittert sie nach, in jedem
Auge erweckt sie den Strahl der Begeisterung — fassen wir diese, in den Genien
der Geschichte fich ausbreitende, aber in der menschlichen Natur allgegenwärtige
Kraft des Guten, Wahren und Schönen zu Einem Bilde zusammen —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/478>, abgerufen am 27.07.2024.