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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Pastor den gesammten Liberalismus, und um seiner frommen Gemeinde ein Bild
von der Ruchlosigkeit dieser Partei zu geben, excerpirt er einige von den wahnsin¬
nigen Pamphleten des durch und durch verrückten KarlHeinzcn und einiger ähnlicher
Tollhauscandidaten, bis er zu dem glücklichen Resultat kommt, der Zeitgeist sei
entschlossen, die Guillotine und den Dolch zur Tagesordnung zu machen, und die
Welt müsse in den nächsten Tagen untergehen, wenn die Kirche nicht mit einem
Radicalmittel eingriffe. Dieses Mittel sei gefunden in der innern Mission.

Wir lassen damit den Pastor Braune, der offenbar von Allem, was er be¬
hauptet, selbst herzinniglich überzeugt ist, bei Seite. Der Inhalt seines Buchs
enthält nichts anders, als was wir von dem Diakvnus Merz lernen können, der
zwar die allgemeinen charakteristischen Eigenschaften eines geistlichen Schrifstellers
mit ihm theilt, an Verstand und Bildung ihm aber bei weitem überlegen ist.

Was ist nnn eigentlich jene innere Misston? die vollständig auszudrücken die
Bilder vom Niagarafall und dem Rauschen in des Waldes Wipfeln unzureichend
sind. -- Nichts mehr und nichts weniger als die Privatwohlthätigkeit; das Neue
daran ist nur, daß sie jetzt für den Staat und das gesellschaftliche Leben die
Hauptsache ausmachen soll. Daß die Privatwohlthätigkeit, namentlich in katholi¬
schen Ländern, wo die Bettelei von einem nicht geringen Theil des heiligen Stan¬
des geradezu als Tugendpflicht ausgestellt ist, durch die christliche Gesinnung sehr
gefordert wird, liegt auf der Hand; sie geradezu ans dem Christenthum herzulei¬
ten, würde schon gewagter sein, da der Islam sie noch in höherem Grade aus¬
übt, allein auch dafür ließe sich Manches sagen, wenn man unter christlicher Ge¬
sinnung nur den Gegensatz der heidnischen versteht; aber zu arg ist es, wenn
man sie in unserer Zeit, wo jener gute, uuheiduische Geist des Christenthums die
Substanz des Zeitgeistes überhaupt ausmacht, auf die sy ccisisch christliche Ge¬
sinnung, d. h. auf das rechtgläubige Bekenntnis) beschränken will. Die Verächt¬
lichkeit jenes Almosengebens nach dem alten Legcndenzuschnitt, wo eine christliche
Gräfin mit ciueiu Gefolge Körbe tragender Mädchen nnter einen Haufen knieen-
der Bettler tritt, und nnn rechts und links Geldstiicke und Brode austheilt, fühlt
jetzt jedes Kind; daß aber jene Hülfe, die sich nicht auf eine augenblickliche
Gabe beschränkt, sondern in das Innere der Verhältnisse eindringt und das Uebel
an der Wurzel angreift, nicht blos von den Stammgästen der Bethäuser und Con-
vertit'el ausgeübt wird, davon kann sich Jeder überzeugen, der einmal z. B. das
innige, liebevolle Verhältnis) in einem Institut, wie dem Berliner Johannes-
Verein mit angesehen hat. Die aufopfernde Thätigkeit jener Männer, die wahr¬
haftig von keiner kirchlichen Gesinnung getragen wurden, um ihre Mitmenschen
auf eine höhere Stufe der Cultur und des Glückes zu erheben, hatte etwas Er¬
hebendes. Es soll der Kirche an ihrem Ruhm, im Mittelalter der vornehmste
Träger der Humanität gegen die Barbarei der deutschen Eroberer gewesen zu
sein, nichts entzogen werden; es ist aber eine Thorheit, diesen Ruhm auf die


Pastor den gesammten Liberalismus, und um seiner frommen Gemeinde ein Bild
von der Ruchlosigkeit dieser Partei zu geben, excerpirt er einige von den wahnsin¬
nigen Pamphleten des durch und durch verrückten KarlHeinzcn und einiger ähnlicher
Tollhauscandidaten, bis er zu dem glücklichen Resultat kommt, der Zeitgeist sei
entschlossen, die Guillotine und den Dolch zur Tagesordnung zu machen, und die
Welt müsse in den nächsten Tagen untergehen, wenn die Kirche nicht mit einem
Radicalmittel eingriffe. Dieses Mittel sei gefunden in der innern Mission.

Wir lassen damit den Pastor Braune, der offenbar von Allem, was er be¬
hauptet, selbst herzinniglich überzeugt ist, bei Seite. Der Inhalt seines Buchs
enthält nichts anders, als was wir von dem Diakvnus Merz lernen können, der
zwar die allgemeinen charakteristischen Eigenschaften eines geistlichen Schrifstellers
mit ihm theilt, an Verstand und Bildung ihm aber bei weitem überlegen ist.

Was ist nnn eigentlich jene innere Misston? die vollständig auszudrücken die
Bilder vom Niagarafall und dem Rauschen in des Waldes Wipfeln unzureichend
sind. — Nichts mehr und nichts weniger als die Privatwohlthätigkeit; das Neue
daran ist nur, daß sie jetzt für den Staat und das gesellschaftliche Leben die
Hauptsache ausmachen soll. Daß die Privatwohlthätigkeit, namentlich in katholi¬
schen Ländern, wo die Bettelei von einem nicht geringen Theil des heiligen Stan¬
des geradezu als Tugendpflicht ausgestellt ist, durch die christliche Gesinnung sehr
gefordert wird, liegt auf der Hand; sie geradezu ans dem Christenthum herzulei¬
ten, würde schon gewagter sein, da der Islam sie noch in höherem Grade aus¬
übt, allein auch dafür ließe sich Manches sagen, wenn man unter christlicher Ge¬
sinnung nur den Gegensatz der heidnischen versteht; aber zu arg ist es, wenn
man sie in unserer Zeit, wo jener gute, uuheiduische Geist des Christenthums die
Substanz des Zeitgeistes überhaupt ausmacht, auf die sy ccisisch christliche Ge¬
sinnung, d. h. auf das rechtgläubige Bekenntnis) beschränken will. Die Verächt¬
lichkeit jenes Almosengebens nach dem alten Legcndenzuschnitt, wo eine christliche
Gräfin mit ciueiu Gefolge Körbe tragender Mädchen nnter einen Haufen knieen-
der Bettler tritt, und nnn rechts und links Geldstiicke und Brode austheilt, fühlt
jetzt jedes Kind; daß aber jene Hülfe, die sich nicht auf eine augenblickliche
Gabe beschränkt, sondern in das Innere der Verhältnisse eindringt und das Uebel
an der Wurzel angreift, nicht blos von den Stammgästen der Bethäuser und Con-
vertit'el ausgeübt wird, davon kann sich Jeder überzeugen, der einmal z. B. das
innige, liebevolle Verhältnis) in einem Institut, wie dem Berliner Johannes-
Verein mit angesehen hat. Die aufopfernde Thätigkeit jener Männer, die wahr¬
haftig von keiner kirchlichen Gesinnung getragen wurden, um ihre Mitmenschen
auf eine höhere Stufe der Cultur und des Glückes zu erheben, hatte etwas Er¬
hebendes. Es soll der Kirche an ihrem Ruhm, im Mittelalter der vornehmste
Träger der Humanität gegen die Barbarei der deutschen Eroberer gewesen zu
sein, nichts entzogen werden; es ist aber eine Thorheit, diesen Ruhm auf die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/474>, abgerufen am 01.09.2024.