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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Beruf auf Redefiguren gewiesen, sie können die einfachsten Dinge nicht ohne eine
gewisse Salbung, Begeisterung und ein wenig Deklamation aussprechen, und was
wir Dialektik nennen, ist ihnen völlig fremd, denn dem Prediger darf man nicht
widersprechen. Ihre Dialektik beschränkt sich ans das Einüben des Katechis¬
mus, und sie sind nur zu geneigt, das gesammte Publicum für unerfahrene Kinder
anzusehen, die katechisirt werden müssen. Es geht ihnen dabei häufig wie den
Damen, die sich mit der Literatur abgeben, und die bei dem Mangel einer schul-
mäßigen Bildung, was ihnen neu ist, für etwas überhaupt Neues halten. Ein
beständiges Abspringen von einem Gedanken auf den andern, Bilder und Gleich¬
nisse, wo man eine Definition, Erbaulichkeit, wo man eine bestimmte Auseinander-
setzung erwartet, fragmentarische Kenntniß, wo nur ein gründliches Studium
ausreicht, und dabei eine beständige Coquetterie mit seinem eignen Geist, den man
nnr aus Demuth versteckt -- das alles macht einen sehr peinlichen Eindruck.

Was soll man z. B. dazu sagen, wenn Pastor Braune sich folgendermaßen
über seiue Ausgabe ausspricht: "Fragen Sie nicht: Rum was ist die innere
Mission? Ans Erklärungen, Beschreibungen, Auseinandersetzungen, und diese
müßten, wenn sie durchsichtig sein sollten, weiläufig, lang gezogen sein, kann ich
mich nicht einlassen; ich würde Sie nnr ermüden. Ich will nicht einmal von der
innern Mission über sie sprechen. Darum werde ich nicht, selbst wenn ich es ver¬
möchte, die Donner des brausenden Niagarafalls und das liebliche Rauschen in
des Waldes Wipfeln aM schwülen Sommertage in meiner Rede in einander
arbeiten, oder zuckende Blitze aus der Feuersäule eines Vulcans mit den zer¬
brochenen Strahlen des Mondenlichtes im zitternden See zusammcnwcben, die Einen
zu schrecken, Andere zu locken. Der allereinfachsten Rede will ich mich beflei¬
ßigen" n. f. w. -- Später: "Sollte ich sagen, was innere Mission sei? so müßte
ich von der Herrlichkeit des Menschen, vom Reichthum menschlicher Kräfte, von der
Schönheit der -- mich schmerzt'S, daß wir ein fremdes Wort dafür in unsere
Sprache aufgenommen haben; es wäre nicht nöthig gewesen; aber es ist nun
einmal so -- von der Schönheit der Humanität reden, und dann sagen: innere
Mission vertritt mit großer Treue Mutterstelle an der Menschheit." -- Wissen wir
nun, was innere Mission ist? -- Nein, aber wir empfinden, daß Pastor Braune
sehr poetisch und geistvoll sein könnte, wenn er es nnr wollte, wenn er nicht aus
Demuth einfach wäre. Leider kann diese Einfachheit keinen Augenblick die Poesie
der Niagarafälle und der schwülen Sonnnertage vergessen -- naturam expellas
la-og,, tamen us<in<z reourrlt -- und leider ist das angeblich Thatsächliche, die
"einfachen Zahlen" noch von viel geringerem Werth, als diese Kanzel-Dithyram¬
ben. Pastor Braune kommt es nämlich daraus an, nachzuweisen, daß die Welt
wenigstens im gegenwärtigen Augenblick ein vollständiger Höllenpfuhl ist, aus
Diebsherbergen, Borbellen, Mordspelunken und, was schlimmer ist als alles das,
aus demokratischen Kneipen zusammengesetzt. Unter Demokratie versteht der gute


Grenzvoten. UI. 1850. 59

Beruf auf Redefiguren gewiesen, sie können die einfachsten Dinge nicht ohne eine
gewisse Salbung, Begeisterung und ein wenig Deklamation aussprechen, und was
wir Dialektik nennen, ist ihnen völlig fremd, denn dem Prediger darf man nicht
widersprechen. Ihre Dialektik beschränkt sich ans das Einüben des Katechis¬
mus, und sie sind nur zu geneigt, das gesammte Publicum für unerfahrene Kinder
anzusehen, die katechisirt werden müssen. Es geht ihnen dabei häufig wie den
Damen, die sich mit der Literatur abgeben, und die bei dem Mangel einer schul-
mäßigen Bildung, was ihnen neu ist, für etwas überhaupt Neues halten. Ein
beständiges Abspringen von einem Gedanken auf den andern, Bilder und Gleich¬
nisse, wo man eine Definition, Erbaulichkeit, wo man eine bestimmte Auseinander-
setzung erwartet, fragmentarische Kenntniß, wo nur ein gründliches Studium
ausreicht, und dabei eine beständige Coquetterie mit seinem eignen Geist, den man
nnr aus Demuth versteckt — das alles macht einen sehr peinlichen Eindruck.

Was soll man z. B. dazu sagen, wenn Pastor Braune sich folgendermaßen
über seiue Ausgabe ausspricht: „Fragen Sie nicht: Rum was ist die innere
Mission? Ans Erklärungen, Beschreibungen, Auseinandersetzungen, und diese
müßten, wenn sie durchsichtig sein sollten, weiläufig, lang gezogen sein, kann ich
mich nicht einlassen; ich würde Sie nnr ermüden. Ich will nicht einmal von der
innern Mission über sie sprechen. Darum werde ich nicht, selbst wenn ich es ver¬
möchte, die Donner des brausenden Niagarafalls und das liebliche Rauschen in
des Waldes Wipfeln aM schwülen Sommertage in meiner Rede in einander
arbeiten, oder zuckende Blitze aus der Feuersäule eines Vulcans mit den zer¬
brochenen Strahlen des Mondenlichtes im zitternden See zusammcnwcben, die Einen
zu schrecken, Andere zu locken. Der allereinfachsten Rede will ich mich beflei¬
ßigen" n. f. w. — Später: „Sollte ich sagen, was innere Mission sei? so müßte
ich von der Herrlichkeit des Menschen, vom Reichthum menschlicher Kräfte, von der
Schönheit der — mich schmerzt'S, daß wir ein fremdes Wort dafür in unsere
Sprache aufgenommen haben; es wäre nicht nöthig gewesen; aber es ist nun
einmal so — von der Schönheit der Humanität reden, und dann sagen: innere
Mission vertritt mit großer Treue Mutterstelle an der Menschheit." — Wissen wir
nun, was innere Mission ist? — Nein, aber wir empfinden, daß Pastor Braune
sehr poetisch und geistvoll sein könnte, wenn er es nnr wollte, wenn er nicht aus
Demuth einfach wäre. Leider kann diese Einfachheit keinen Augenblick die Poesie
der Niagarafälle und der schwülen Sonnnertage vergessen — naturam expellas
la-og,, tamen us<in<z reourrlt — und leider ist das angeblich Thatsächliche, die
„einfachen Zahlen" noch von viel geringerem Werth, als diese Kanzel-Dithyram¬
ben. Pastor Braune kommt es nämlich daraus an, nachzuweisen, daß die Welt
wenigstens im gegenwärtigen Augenblick ein vollständiger Höllenpfuhl ist, aus
Diebsherbergen, Borbellen, Mordspelunken und, was schlimmer ist als alles das,
aus demokratischen Kneipen zusammengesetzt. Unter Demokratie versteht der gute


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[0473] Beruf auf Redefiguren gewiesen, sie können die einfachsten Dinge nicht ohne eine gewisse Salbung, Begeisterung und ein wenig Deklamation aussprechen, und was wir Dialektik nennen, ist ihnen völlig fremd, denn dem Prediger darf man nicht widersprechen. Ihre Dialektik beschränkt sich ans das Einüben des Katechis¬ mus, und sie sind nur zu geneigt, das gesammte Publicum für unerfahrene Kinder anzusehen, die katechisirt werden müssen. Es geht ihnen dabei häufig wie den Damen, die sich mit der Literatur abgeben, und die bei dem Mangel einer schul- mäßigen Bildung, was ihnen neu ist, für etwas überhaupt Neues halten. Ein beständiges Abspringen von einem Gedanken auf den andern, Bilder und Gleich¬ nisse, wo man eine Definition, Erbaulichkeit, wo man eine bestimmte Auseinander- setzung erwartet, fragmentarische Kenntniß, wo nur ein gründliches Studium ausreicht, und dabei eine beständige Coquetterie mit seinem eignen Geist, den man nnr aus Demuth versteckt — das alles macht einen sehr peinlichen Eindruck. Was soll man z. B. dazu sagen, wenn Pastor Braune sich folgendermaßen über seiue Ausgabe ausspricht: „Fragen Sie nicht: Rum was ist die innere Mission? Ans Erklärungen, Beschreibungen, Auseinandersetzungen, und diese müßten, wenn sie durchsichtig sein sollten, weiläufig, lang gezogen sein, kann ich mich nicht einlassen; ich würde Sie nnr ermüden. Ich will nicht einmal von der innern Mission über sie sprechen. Darum werde ich nicht, selbst wenn ich es ver¬ möchte, die Donner des brausenden Niagarafalls und das liebliche Rauschen in des Waldes Wipfeln aM schwülen Sommertage in meiner Rede in einander arbeiten, oder zuckende Blitze aus der Feuersäule eines Vulcans mit den zer¬ brochenen Strahlen des Mondenlichtes im zitternden See zusammcnwcben, die Einen zu schrecken, Andere zu locken. Der allereinfachsten Rede will ich mich beflei¬ ßigen" n. f. w. — Später: „Sollte ich sagen, was innere Mission sei? so müßte ich von der Herrlichkeit des Menschen, vom Reichthum menschlicher Kräfte, von der Schönheit der — mich schmerzt'S, daß wir ein fremdes Wort dafür in unsere Sprache aufgenommen haben; es wäre nicht nöthig gewesen; aber es ist nun einmal so — von der Schönheit der Humanität reden, und dann sagen: innere Mission vertritt mit großer Treue Mutterstelle an der Menschheit." — Wissen wir nun, was innere Mission ist? — Nein, aber wir empfinden, daß Pastor Braune sehr poetisch und geistvoll sein könnte, wenn er es nnr wollte, wenn er nicht aus Demuth einfach wäre. Leider kann diese Einfachheit keinen Augenblick die Poesie der Niagarafälle und der schwülen Sonnnertage vergessen — naturam expellas la-og,, tamen us<in<z reourrlt — und leider ist das angeblich Thatsächliche, die „einfachen Zahlen" noch von viel geringerem Werth, als diese Kanzel-Dithyram¬ ben. Pastor Braune kommt es nämlich daraus an, nachzuweisen, daß die Welt wenigstens im gegenwärtigen Augenblick ein vollständiger Höllenpfuhl ist, aus Diebsherbergen, Borbellen, Mordspelunken und, was schlimmer ist als alles das, aus demokratischen Kneipen zusammengesetzt. Unter Demokratie versteht der gute Grenzvoten. UI. 1850. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/473>, abgerufen am 01.09.2024.