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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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ein paar Dutzend Mystiker und Theosophcu nicht nichr im Staude sein werden,
ihre trüben Gaukelspiele der Welt als Wunder vorzuführen. Jene Ueberzeugung,
ans der nicht nur die Physik, sondern alle Wissenschaft überhaupt beruht: daß
2x2--4, und nicht unter Umständen, uach höhern Rathschlüssen, zum Frommen
dieses oder jenes Heiligen auf einmal -- 5 sein könne, ist so sehr Gemeingut der
gebildeten Welt geworden, daß sämmtliche Kanzelredner der Welt sie nicht mehr
erschüttern tonnen.

Viel bedenklicher sieht es in der sittlichen Welt aus. Jene Romantik, die
zuerst in die heitere Welt der Kunst die gespenstigen Nebelbilder einer trüben
Phantasie eingeführt hat, und nun auch den Staat und die Gesellschaft in ihr
Spinngewebe zu verstricken sucht, ist nichts anders, als der verfeinerte, gezierte
Ausdruck jenes Supranaturalismus, der die Welt in zwei verschiedene Naturen
trennt, von denen die eine die andere nicht versteht, die nur durch äußern Zauber
mit einander in Berührung stehen. Diesem Wesen, nicht seinem einfältigen Ausdruck
gilt unser beständige Kampf gegen die Romantik, gegen den Aberglauben an ein
Doppelleben im Kosmos, an eine übernatürliche Welt des Geistes, die zu einem
Reich der Schatten, und an eine seelenlose Natur, die zu einem Chaos aus Schmutz
und Stein herabsinkt. -- Nur dieser Supranaturalismus ist es, den wir meinen,
wenn wir gegen das Christenthum polemisiren, das allerdings in seiner orthodoxen
Form der entschiedenste Ausdruck ist sür die unbedingte Entzweiung der Welt.

Die Nachwehen der Revolution -- wie alle Nachwehen eines bösen Rausches
-- erzeugen in der Phantasie verworrene, trübe, unheimliche Bilder. In solchen
Zeiten ist der Verstand müde, langsam und unsicher; er muß sich ernstlich zusammen¬
nehmen, um bei sich selbst zu bleiben.

Wir habe" es hier nur mit einzelnen Symptomen deö Kampfes zu thun, der
nach den verschiedensten Seiten überspringt, den man aber stets von seinem Cen-
trum aus betrachte" muß, wenn man ihn verstehen will. --

Die beiden ersten Schriften beschäftigen sich mit dem neuesten praktischen
Versuch der Kirche, sich an die Stelle des Staats und der weltlichen Gesellschaft
zu setzen: mit der innern Mission. Sie rühren von zwei Pastoren her, die
beide in gutem Glauben an ihr Werk gehe". Für unsere Bildung, die an den
alten Sprachen und den Naturwissenschaften geschult ist, hat die Lectüre solcher
geistlicher Schriften etwas Unerquickliches. Die Griechen und Römer sagen, was
sie sagen wollen, klar, bestimmt, in einer logischen Folge, und sie sagen nur das,
was zur Sache gehört; und die Naturwissenschaften gewöhnen uus daran, nur
das hinzunehmen, was man uns beweist. Die geistlichen Herren, wenn sie sich
in ihren Mußestunden mit der Wissenschaft beschäftigen, thun es nicht aus objec-
tiven, geschlossenem Interesse, sie haben, wo es nicht geradezu Dilettantismus ist,
stets ihren heiligen Zweck vor Angen; sie sangen, wie die Biene, nnr die Süßig¬
keit aus den Blumen, das Gift lassen sie darin. Außerdem sind sie durch ihren


ein paar Dutzend Mystiker und Theosophcu nicht nichr im Staude sein werden,
ihre trüben Gaukelspiele der Welt als Wunder vorzuführen. Jene Ueberzeugung,
ans der nicht nur die Physik, sondern alle Wissenschaft überhaupt beruht: daß
2x2—4, und nicht unter Umständen, uach höhern Rathschlüssen, zum Frommen
dieses oder jenes Heiligen auf einmal — 5 sein könne, ist so sehr Gemeingut der
gebildeten Welt geworden, daß sämmtliche Kanzelredner der Welt sie nicht mehr
erschüttern tonnen.

Viel bedenklicher sieht es in der sittlichen Welt aus. Jene Romantik, die
zuerst in die heitere Welt der Kunst die gespenstigen Nebelbilder einer trüben
Phantasie eingeführt hat, und nun auch den Staat und die Gesellschaft in ihr
Spinngewebe zu verstricken sucht, ist nichts anders, als der verfeinerte, gezierte
Ausdruck jenes Supranaturalismus, der die Welt in zwei verschiedene Naturen
trennt, von denen die eine die andere nicht versteht, die nur durch äußern Zauber
mit einander in Berührung stehen. Diesem Wesen, nicht seinem einfältigen Ausdruck
gilt unser beständige Kampf gegen die Romantik, gegen den Aberglauben an ein
Doppelleben im Kosmos, an eine übernatürliche Welt des Geistes, die zu einem
Reich der Schatten, und an eine seelenlose Natur, die zu einem Chaos aus Schmutz
und Stein herabsinkt. — Nur dieser Supranaturalismus ist es, den wir meinen,
wenn wir gegen das Christenthum polemisiren, das allerdings in seiner orthodoxen
Form der entschiedenste Ausdruck ist sür die unbedingte Entzweiung der Welt.

Die Nachwehen der Revolution — wie alle Nachwehen eines bösen Rausches
— erzeugen in der Phantasie verworrene, trübe, unheimliche Bilder. In solchen
Zeiten ist der Verstand müde, langsam und unsicher; er muß sich ernstlich zusammen¬
nehmen, um bei sich selbst zu bleiben.

Wir habe» es hier nur mit einzelnen Symptomen deö Kampfes zu thun, der
nach den verschiedensten Seiten überspringt, den man aber stets von seinem Cen-
trum aus betrachte» muß, wenn man ihn verstehen will. —

Die beiden ersten Schriften beschäftigen sich mit dem neuesten praktischen
Versuch der Kirche, sich an die Stelle des Staats und der weltlichen Gesellschaft
zu setzen: mit der innern Mission. Sie rühren von zwei Pastoren her, die
beide in gutem Glauben an ihr Werk gehe». Für unsere Bildung, die an den
alten Sprachen und den Naturwissenschaften geschult ist, hat die Lectüre solcher
geistlicher Schriften etwas Unerquickliches. Die Griechen und Römer sagen, was
sie sagen wollen, klar, bestimmt, in einer logischen Folge, und sie sagen nur das,
was zur Sache gehört; und die Naturwissenschaften gewöhnen uus daran, nur
das hinzunehmen, was man uns beweist. Die geistlichen Herren, wenn sie sich
in ihren Mußestunden mit der Wissenschaft beschäftigen, thun es nicht aus objec-
tiven, geschlossenem Interesse, sie haben, wo es nicht geradezu Dilettantismus ist,
stets ihren heiligen Zweck vor Angen; sie sangen, wie die Biene, nnr die Süßig¬
keit aus den Blumen, das Gift lassen sie darin. Außerdem sind sie durch ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/472>, abgerufen am 27.07.2024.