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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Vom 18. Juni an fingen die Russen an uns zu drängen. Da die jungen
ungarischen Truppen bei der Defensive leicht den Mut!) verloren, ließ ich die
polnische Infanterie aus Miskolez auf Wagen herbeikommen und wollte die Of¬
fensive ergreifen, aber die Uebermacht war aus allen Punkten so groß, daß ich,
um Pesth zu sichern, mich zurückzuziehen gezwungen sah. Wir retirirteu laugsam
uach Miskolez zu, und ich verlor in einem Gefecht den Chef meines Stabes,
Stobiecki, beim Recognosciren -- einem trefflichen Offizier und redlichen Mann.
Mit ihm gingen meine wichtigsten Papiere verloren. Da die Nüssen jedes Gefecht
vermieden, jedoch mit ihrer Uebermacht uns auf beiden Flügeln umgingen, so
ging der Rückzug sehr langsam, und wir ruheten jede Nacht gut ans.

Bei Uebernahme des Commando's in Oberungarn schrieb ich, vou meinen
Freunden gebeten und vom Wunsch geleitet, für unser Vaterland gemeinschaftlich
zu wirken, an Bein und suchte dem Egoismus und Stolz desselben auf jede
Weise in demselben zu genügen. Ein Capitän ZarSki, der uuter ihm 1831 gedient
hatte, war dessen Uebcrbringer, doch wollte ihn General Bem Anfangs gar
nicht sehen, dann empfing er ihn zwar, aber mit unangemessenen, unwürdigen
Worten und ohne mir schriftliche Antwort zu geben.

Während meines Rückzugs hatte ich einige Mal die Negierung um Hilfs¬
truppen oder um die Bewilligung ersucht, mich mit Görgcy'S Corps bei Gödvllö
oder Wachen zu verbinden. Den 2. Juli erhielt ich folgendes Schreiben:

Pesth, den t. Juli 184S, Nachts t2 Uhr.

Leider machte General Görgey die Ausführung des Ihnen gestern mit-
getheilten Operativnsplans unmöglich, indem er, seiner bereits gegebenen Zu-
stimmung entgegen, nun sich gegen die angetragene und allseitig allgenommene
Concentrirung erklärte. Herr General haben somit auf eine Unterstützung von
Görgey aus nicht mehr zu rechnen und wollen sich demnach nicht nach Hotvan,
sondern nach Szolnok ziehen. General Perczel hat in Eile sein Reserve-Corps bei
Czegled zusammengezogen und wird Sie uach Kräften unterstützen. In Szolnok
wollen der Herr General die weitern Dispositionen erwarten.

Der Landes-Gouverneur L. Kossuth. Minister-Prästdent Szemere.

Alls dieses Schreiben berichtete ich dem Gouverneur, daß ich von nun an nur
seinen Befehlen gehorchen werde, da es wohl kommen könne, daß man mir entgegen¬
gesetzte geben könne. Den 4. Juli erhalte ich wieder von Dcmbinski ein Schreiben,
den 2. Juli datirt, in dem er sagt: ""Meszaros ist zum Obergeneral der ungarischen
Armee ernannt. Marschire so eilig wie möglich nach Czegled, wo Du vou Perczel
weitere Befehle erhalten wirst. Deinen Rapport, was Du vom Feinde weißt,
schicke sofort an mich. Heinrich Dembinski, General.""

So sehr ich mich wunderte, daß Dembinski, der uus nach zweimaliger
Dimission erklärt hatte, daß er uach Frankreich zurückkehren und auf keine Weise
ein Commando mehr übernehmen werde, nur doch wieder unter der Maske


GrcnMen. III. ISSO. 5

Vom 18. Juni an fingen die Russen an uns zu drängen. Da die jungen
ungarischen Truppen bei der Defensive leicht den Mut!) verloren, ließ ich die
polnische Infanterie aus Miskolez auf Wagen herbeikommen und wollte die Of¬
fensive ergreifen, aber die Uebermacht war aus allen Punkten so groß, daß ich,
um Pesth zu sichern, mich zurückzuziehen gezwungen sah. Wir retirirteu laugsam
uach Miskolez zu, und ich verlor in einem Gefecht den Chef meines Stabes,
Stobiecki, beim Recognosciren — einem trefflichen Offizier und redlichen Mann.
Mit ihm gingen meine wichtigsten Papiere verloren. Da die Nüssen jedes Gefecht
vermieden, jedoch mit ihrer Uebermacht uns auf beiden Flügeln umgingen, so
ging der Rückzug sehr langsam, und wir ruheten jede Nacht gut ans.

Bei Uebernahme des Commando's in Oberungarn schrieb ich, vou meinen
Freunden gebeten und vom Wunsch geleitet, für unser Vaterland gemeinschaftlich
zu wirken, an Bein und suchte dem Egoismus und Stolz desselben auf jede
Weise in demselben zu genügen. Ein Capitän ZarSki, der uuter ihm 1831 gedient
hatte, war dessen Uebcrbringer, doch wollte ihn General Bem Anfangs gar
nicht sehen, dann empfing er ihn zwar, aber mit unangemessenen, unwürdigen
Worten und ohne mir schriftliche Antwort zu geben.

Während meines Rückzugs hatte ich einige Mal die Negierung um Hilfs¬
truppen oder um die Bewilligung ersucht, mich mit Görgcy'S Corps bei Gödvllö
oder Wachen zu verbinden. Den 2. Juli erhielt ich folgendes Schreiben:

Pesth, den t. Juli 184S, Nachts t2 Uhr.

Leider machte General Görgey die Ausführung des Ihnen gestern mit-
getheilten Operativnsplans unmöglich, indem er, seiner bereits gegebenen Zu-
stimmung entgegen, nun sich gegen die angetragene und allseitig allgenommene
Concentrirung erklärte. Herr General haben somit auf eine Unterstützung von
Görgey aus nicht mehr zu rechnen und wollen sich demnach nicht nach Hotvan,
sondern nach Szolnok ziehen. General Perczel hat in Eile sein Reserve-Corps bei
Czegled zusammengezogen und wird Sie uach Kräften unterstützen. In Szolnok
wollen der Herr General die weitern Dispositionen erwarten.

Der Landes-Gouverneur L. Kossuth. Minister-Prästdent Szemere.

Alls dieses Schreiben berichtete ich dem Gouverneur, daß ich von nun an nur
seinen Befehlen gehorchen werde, da es wohl kommen könne, daß man mir entgegen¬
gesetzte geben könne. Den 4. Juli erhalte ich wieder von Dcmbinski ein Schreiben,
den 2. Juli datirt, in dem er sagt: „„Meszaros ist zum Obergeneral der ungarischen
Armee ernannt. Marschire so eilig wie möglich nach Czegled, wo Du vou Perczel
weitere Befehle erhalten wirst. Deinen Rapport, was Du vom Feinde weißt,
schicke sofort an mich. Heinrich Dembinski, General.""

So sehr ich mich wunderte, daß Dembinski, der uus nach zweimaliger
Dimission erklärt hatte, daß er uach Frankreich zurückkehren und auf keine Weise
ein Commando mehr übernehmen werde, nur doch wieder unter der Maske


GrcnMen. III. ISSO. 5
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/41>, abgerufen am 27.07.2024.