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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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einflußreichste Kunstinstitut Leipzigs begrüßt. Die Stadt selbst schließt mehr als
manche andere materielle und geistige Mittel genug in sich, um der Kunst eine
Heimath zu geben;.dies sehen wir aus Manchem, was in ältern Familienhäuseru
noch aus der Wirkungszeit der Oeser und Graff übrig geblieben ist, von dem
aber leider zu viel bis jetzt ""geschätzt und ungekannt verborgen gewesen. Gerade die
neueste Zeit indeß, die so Vieles zerstört hat, gibt uns Hoffnung für ein neues
tatkräftiges Aufleben der Kunst: wünschen wir, daß daun Leipzig in Bezug
ans dieselbe den Standpunkt wirklich und in der That einnehmen möge, deu es
so lauge schou grundlos nud ohne Recht einzunehmen glaubt oder wünscht.




Nicola us Lenau.

Der Dichter ist nicht mehr. Die unheimliche Nacht, die sich mit düstern
Schatten über sein Dasein gebreitet hatte, hat mit seinem Leben zugleich geendet.
Wohl ihm, daß es vorüber ist.

Und doch erfüllt uns dieser Tod mit Wehmuth. Lenau steht nicht allein.
Es lastet auf unfern Dichtern ein böses Verhängniß; je tiefer ihr Gefühl, desto
düsterer die Welt ihrer Vorstellungen, desto scheuer ihr Blick in das Chaos einer
werdenden Zeit, die ohne zuversichtliche Richtung, ohne das leuchtende Bild eines
festen Glaubens, in wüster Brandung hiu und wieder braust, die Phantasie irrt,
das Gemüth beunruhigt. Wie viel dabei auf die Rechnung des Einzelnen kommen
mag, mehr oder minder findet sich dieser Grundton der Schwermuth doch in all
unserer Poesie. Lenau selber hat diesen Grundton schön und wahr charakterisirt.


Woher der düstre Unmuth unstcr Zeit,
Der Groll, die Eile, die Zerrissenheit? --
Das Sterben in der Dämmerung ist schuld
An dieser srcudenarmen Ungeduld.
Herd ist's, das langersehnte Licht nicht schauen,
Zu Grabe gehn in seinem Morgengrauen.
Und müssen wir vor Tag zu Asche sinken,
Mit heißen Wünschen, unvergoltnen Ouaalcn, -- --

so bleibt uns der einzige Trost, daß eine glücklichere Nachwelt, die den Ausgang
jenes großen Kampfes unserer Zeit übersieht und seiner Früchte sich erfreut, in
ihrer höhern Anschauung das Bild ergänzen wird, das in unserm eignen Gemüth
unvollständig, zerstückelt, räthselhaft und unbefriedigend aussieht; es bleibt uns
der Trost, daß schou früher, in Uebergaugszeiteu ähnlicher Art, die edelsten
Herzen in zwecklosem Kampf verblutet haben, und daß die Menschheit aus diesen
Schmerzen gestählt und mit neuer Lebenshoffnung hervorgegangen ist.


einflußreichste Kunstinstitut Leipzigs begrüßt. Die Stadt selbst schließt mehr als
manche andere materielle und geistige Mittel genug in sich, um der Kunst eine
Heimath zu geben;.dies sehen wir aus Manchem, was in ältern Familienhäuseru
noch aus der Wirkungszeit der Oeser und Graff übrig geblieben ist, von dem
aber leider zu viel bis jetzt »„geschätzt und ungekannt verborgen gewesen. Gerade die
neueste Zeit indeß, die so Vieles zerstört hat, gibt uns Hoffnung für ein neues
tatkräftiges Aufleben der Kunst: wünschen wir, daß daun Leipzig in Bezug
ans dieselbe den Standpunkt wirklich und in der That einnehmen möge, deu es
so lauge schou grundlos nud ohne Recht einzunehmen glaubt oder wünscht.




Nicola us Lenau.

Der Dichter ist nicht mehr. Die unheimliche Nacht, die sich mit düstern
Schatten über sein Dasein gebreitet hatte, hat mit seinem Leben zugleich geendet.
Wohl ihm, daß es vorüber ist.

Und doch erfüllt uns dieser Tod mit Wehmuth. Lenau steht nicht allein.
Es lastet auf unfern Dichtern ein böses Verhängniß; je tiefer ihr Gefühl, desto
düsterer die Welt ihrer Vorstellungen, desto scheuer ihr Blick in das Chaos einer
werdenden Zeit, die ohne zuversichtliche Richtung, ohne das leuchtende Bild eines
festen Glaubens, in wüster Brandung hiu und wieder braust, die Phantasie irrt,
das Gemüth beunruhigt. Wie viel dabei auf die Rechnung des Einzelnen kommen
mag, mehr oder minder findet sich dieser Grundton der Schwermuth doch in all
unserer Poesie. Lenau selber hat diesen Grundton schön und wahr charakterisirt.


Woher der düstre Unmuth unstcr Zeit,
Der Groll, die Eile, die Zerrissenheit? —
Das Sterben in der Dämmerung ist schuld
An dieser srcudenarmen Ungeduld.
Herd ist's, das langersehnte Licht nicht schauen,
Zu Grabe gehn in seinem Morgengrauen.
Und müssen wir vor Tag zu Asche sinken,
Mit heißen Wünschen, unvergoltnen Ouaalcn, — —

so bleibt uns der einzige Trost, daß eine glücklichere Nachwelt, die den Ausgang
jenes großen Kampfes unserer Zeit übersieht und seiner Früchte sich erfreut, in
ihrer höhern Anschauung das Bild ergänzen wird, das in unserm eignen Gemüth
unvollständig, zerstückelt, räthselhaft und unbefriedigend aussieht; es bleibt uns
der Trost, daß schou früher, in Uebergaugszeiteu ähnlicher Art, die edelsten
Herzen in zwecklosem Kampf verblutet haben, und daß die Menschheit aus diesen
Schmerzen gestählt und mit neuer Lebenshoffnung hervorgegangen ist.


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[0389] einflußreichste Kunstinstitut Leipzigs begrüßt. Die Stadt selbst schließt mehr als manche andere materielle und geistige Mittel genug in sich, um der Kunst eine Heimath zu geben;.dies sehen wir aus Manchem, was in ältern Familienhäuseru noch aus der Wirkungszeit der Oeser und Graff übrig geblieben ist, von dem aber leider zu viel bis jetzt »„geschätzt und ungekannt verborgen gewesen. Gerade die neueste Zeit indeß, die so Vieles zerstört hat, gibt uns Hoffnung für ein neues tatkräftiges Aufleben der Kunst: wünschen wir, daß daun Leipzig in Bezug ans dieselbe den Standpunkt wirklich und in der That einnehmen möge, deu es so lauge schou grundlos nud ohne Recht einzunehmen glaubt oder wünscht. Nicola us Lenau. Der Dichter ist nicht mehr. Die unheimliche Nacht, die sich mit düstern Schatten über sein Dasein gebreitet hatte, hat mit seinem Leben zugleich geendet. Wohl ihm, daß es vorüber ist. Und doch erfüllt uns dieser Tod mit Wehmuth. Lenau steht nicht allein. Es lastet auf unfern Dichtern ein böses Verhängniß; je tiefer ihr Gefühl, desto düsterer die Welt ihrer Vorstellungen, desto scheuer ihr Blick in das Chaos einer werdenden Zeit, die ohne zuversichtliche Richtung, ohne das leuchtende Bild eines festen Glaubens, in wüster Brandung hiu und wieder braust, die Phantasie irrt, das Gemüth beunruhigt. Wie viel dabei auf die Rechnung des Einzelnen kommen mag, mehr oder minder findet sich dieser Grundton der Schwermuth doch in all unserer Poesie. Lenau selber hat diesen Grundton schön und wahr charakterisirt. Woher der düstre Unmuth unstcr Zeit, Der Groll, die Eile, die Zerrissenheit? — Das Sterben in der Dämmerung ist schuld An dieser srcudenarmen Ungeduld. Herd ist's, das langersehnte Licht nicht schauen, Zu Grabe gehn in seinem Morgengrauen. Und müssen wir vor Tag zu Asche sinken, Mit heißen Wünschen, unvergoltnen Ouaalcn, — — so bleibt uns der einzige Trost, daß eine glücklichere Nachwelt, die den Ausgang jenes großen Kampfes unserer Zeit übersieht und seiner Früchte sich erfreut, in ihrer höhern Anschauung das Bild ergänzen wird, das in unserm eignen Gemüth unvollständig, zerstückelt, räthselhaft und unbefriedigend aussieht; es bleibt uns der Trost, daß schou früher, in Uebergaugszeiteu ähnlicher Art, die edelsten Herzen in zwecklosem Kampf verblutet haben, und daß die Menschheit aus diesen Schmerzen gestählt und mit neuer Lebenshoffnung hervorgegangen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/389>, abgerufen am 27.07.2024.