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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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er gern den Stoffen eine launige Seite abgewinnt und leicht und überall Gelegen¬
heit zu einem zierlichen Spiel der Phantasie findet. Es macht deshalb bei seinen
Gedichten keinen großen Unterschied, ob er selbst die Sentimentalität seiner Re¬
flexionen ausspricht, oder ob er sie bestimmten historischen Personen in den Mund
legt, deun der charakterisirenden Situationen gibt es bei ihm für seine Helden
nnr wenige und seine Figuren sind eigentlich nur dazu da, um einen lösen Faden
zu halten, an welchem er die zahlreichen, einzelnen Anschauungen und Betrach¬
tungen aufreihen kann. Un.d doch ist die Beschaffenheit dieses Fadens, sür die
Wirkung seiner einzelnen Werke von Wichtigkeit. Bei seiner Vorliebe für die
Romantik des Mittelalters kann es ihm wohl begegnen, daß er zu Trägern seiner
Poesie phantastische Figuren nimmt, deren innere Nothwendigkeit dem Publikum
nicht recht begreiflich wird. An diesem Uebelstand, auf den hier kein Gewicht
gelegt werden soll, der aber den Erfolg seiner Schöpfungen beeinträchtigen kann,
leidet auch das Gedicht, welches hier zu besprechen ist.

Im "Pfaff vom Kahlenberg" hat er zwei Figuren aus den komischen VvlkS-
erzählungen detz Mittelalters, den derben Minnesänger Nithart, den Bauern¬
feind, und den Pfaff vom Kahlenberg mit dein Herzog Otto, Albrecht des Ersten
Sohn, in Verbindung gebracht. Die Neckereien und Schwänke des Sängers Nithart
mit den Bauern sind zunächst benutzt, die Geschichte mit dem Veilchen, die nackten
Bauern als Büßer, die Iupe mit Stecknadeln gefüttert und ähnliche Züge, welche
der alte Volkswitz erfunden hat. Ebenso läßt er im letzten Theil den Pfaff vom Kah¬
lenberg seiner Gemeinde, welche keine Kirchenfahne kaufen will, die schwarzen Pfarr¬
hosen auf die Fahnenstange stecken, er läßt ihn bei einem Besuch der jungen Herzogin
die Holzbilder der Apostel ans der Kirche holen und ins Feuer werfen u. s. w. Da
aber diese alten Eulenspiegel bei Grün's Behandlung die derbe Narrennatur, welche
sie in dein Volksbuch haben, verlieren und namentlich der Kahlenbcrger in seinem
Gedicht die Bestimmung hat, eine fein gebildete heitere Lebensweisheit zu ver¬
treten, so paßt, zumeist bei diesem, der bnrlcske Inhalt einzelner Nummern nicht
zu der Physiognomie, welche die Figuren im Allgemeinen haben, und der Dichter
verfehlt oft seinen Zweck, den Leser lustig zu stimmen. Zumal da er ohnehin
geneigt ist, in solche Possenstreichc einen tiefern klugen Sinn zu legen. Der¬
gleichen Schwänke pflegen nicht zu gerathen, wenn sie von gebildeten Leuten un¬
ternommen werden. Außer diesen Narreustreichen der launigen Figuren enthält
das Buch in dem mittelsten Abschnitt, welcher "Otto" überschrieben ist/ eine
Bergreihe des Herzogs mit seinen zwei Begleitern nach Kärnthen, wo derselbe
nach dem bekannten Brauch auf dein Steinsitz von einem Bauer mit dem Lande
belehnt wird. Dieser Theil und nächst ihm der erste, "Nithart", enthalten das
meiste Liebenswürdige, darunter Seiten von großer Schönheit. Ueberall aber in
dem Buche ist das Landleben Oestreichs als Grundlage zu einer Menge von
bunten Reflexen benutzt, die Bauern, der Sänger, der Fürst, der weise Land-


er gern den Stoffen eine launige Seite abgewinnt und leicht und überall Gelegen¬
heit zu einem zierlichen Spiel der Phantasie findet. Es macht deshalb bei seinen
Gedichten keinen großen Unterschied, ob er selbst die Sentimentalität seiner Re¬
flexionen ausspricht, oder ob er sie bestimmten historischen Personen in den Mund
legt, deun der charakterisirenden Situationen gibt es bei ihm für seine Helden
nnr wenige und seine Figuren sind eigentlich nur dazu da, um einen lösen Faden
zu halten, an welchem er die zahlreichen, einzelnen Anschauungen und Betrach¬
tungen aufreihen kann. Un.d doch ist die Beschaffenheit dieses Fadens, sür die
Wirkung seiner einzelnen Werke von Wichtigkeit. Bei seiner Vorliebe für die
Romantik des Mittelalters kann es ihm wohl begegnen, daß er zu Trägern seiner
Poesie phantastische Figuren nimmt, deren innere Nothwendigkeit dem Publikum
nicht recht begreiflich wird. An diesem Uebelstand, auf den hier kein Gewicht
gelegt werden soll, der aber den Erfolg seiner Schöpfungen beeinträchtigen kann,
leidet auch das Gedicht, welches hier zu besprechen ist.

Im „Pfaff vom Kahlenberg" hat er zwei Figuren aus den komischen VvlkS-
erzählungen detz Mittelalters, den derben Minnesänger Nithart, den Bauern¬
feind, und den Pfaff vom Kahlenberg mit dein Herzog Otto, Albrecht des Ersten
Sohn, in Verbindung gebracht. Die Neckereien und Schwänke des Sängers Nithart
mit den Bauern sind zunächst benutzt, die Geschichte mit dem Veilchen, die nackten
Bauern als Büßer, die Iupe mit Stecknadeln gefüttert und ähnliche Züge, welche
der alte Volkswitz erfunden hat. Ebenso läßt er im letzten Theil den Pfaff vom Kah¬
lenberg seiner Gemeinde, welche keine Kirchenfahne kaufen will, die schwarzen Pfarr¬
hosen auf die Fahnenstange stecken, er läßt ihn bei einem Besuch der jungen Herzogin
die Holzbilder der Apostel ans der Kirche holen und ins Feuer werfen u. s. w. Da
aber diese alten Eulenspiegel bei Grün's Behandlung die derbe Narrennatur, welche
sie in dein Volksbuch haben, verlieren und namentlich der Kahlenbcrger in seinem
Gedicht die Bestimmung hat, eine fein gebildete heitere Lebensweisheit zu ver¬
treten, so paßt, zumeist bei diesem, der bnrlcske Inhalt einzelner Nummern nicht
zu der Physiognomie, welche die Figuren im Allgemeinen haben, und der Dichter
verfehlt oft seinen Zweck, den Leser lustig zu stimmen. Zumal da er ohnehin
geneigt ist, in solche Possenstreichc einen tiefern klugen Sinn zu legen. Der¬
gleichen Schwänke pflegen nicht zu gerathen, wenn sie von gebildeten Leuten un¬
ternommen werden. Außer diesen Narreustreichen der launigen Figuren enthält
das Buch in dem mittelsten Abschnitt, welcher „Otto" überschrieben ist/ eine
Bergreihe des Herzogs mit seinen zwei Begleitern nach Kärnthen, wo derselbe
nach dem bekannten Brauch auf dein Steinsitz von einem Bauer mit dem Lande
belehnt wird. Dieser Theil und nächst ihm der erste, „Nithart", enthalten das
meiste Liebenswürdige, darunter Seiten von großer Schönheit. Ueberall aber in
dem Buche ist das Landleben Oestreichs als Grundlage zu einer Menge von
bunten Reflexen benutzt, die Bauern, der Sänger, der Fürst, der weise Land-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/34>, abgerufen am 27.07.2024.