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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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verpflichtet ist, werden dadurch gelohnt, daß der Ertrag der Güter theils durch
verwaltende Miethliuge direct geschmälert, theils überhaupt nicht in dem Maße
hergestellt wird, als wenn das Auge des Herrn darüber wacht. Dennoch ist der
Grundbesitzer der Pflicht, für Erhaltung und Verpflegung seiner Leibeignen zu
sorgen, in Jahren des Mangels ebensowenig, wie der fortdauernden solidarischen
Haftung für deren Steuerverpflichtung gegen den Staat entbunden. Es ist na¬
türlich, daß er darin nur einen Augriff von oben herab auf die Basis seiner
Geltung, auf den Grundbesitz selbst erblickt. Dies um so mehr, als der Staat
durch seine neuern Gesetze sogar dem Leibeignen das Recht ans Erwerbung von
Grundbesitz gab, ihn also eines bisher ausschließlichen Adelsrcchtes theilhaftig
machte. Zwar darf der Leibeigne keine Leibeignen miterwerbeu; dagegen darf
der Adelige keine Leibeignen ohne deren Wohnsitz kaufen. Die ursprünglich zu
Gunsten der Leibeignen getroffene Gesetzesbestimmung kehrt sich um direct feind¬
lich gegen deu Grundadel. Er kann Grundbesitz ohne Leibeigne verkaufen, aber
nicht Leibeigner ohne den Grundbesitz sich entäußern. Seine Verpflichtungen
nach oben und unter bleiben immer gleich große Lasten, wenn er auch, um sie zu
erfüllen, in ungünstigen Zeiten einen Theil seiner materiellen Macht opfert. So
geräth er leicht immer tiefer in die Verarmung, während die Hypothekeugesetzgebuug
eine Belastung des Grundbesitzes mit festen Schulden und der Möglichkeit einer
Abzahlung zu gelegener Zeit fast unmöglich macht. Dies muß an einem Bei¬
spiel klar werden. Die Hypothekengcsetzgebung erlaubt eine einzige Hypothek
auf jede Liegenschaft, sei sie auch noch so gering. Angenommen, ein Gutsbesitz
ist I00M0 N. S. Werth und nur mit U!00 R. Hypothekenschuld belastet, so
muß der Besitzer erst diese zurückzahlen, ehe er eine Hypothek von 2000 N. S.
aufnehmen kann. Die Creditgesetzgebnng gewährt aber dem Gläubiger in Ru߬
land außer für Hypothckdarleheu so wenig Sicherheit, daß von andern An- und
Darlehen nur selten die Rede ist. Dazu tritt der Mangel an Baargeld und
der hohe Zinsfuß im Privatverkehr. Die Zinsen bei den Hypothekenbanken des
Staates sind dagegen nicht übermäßig, die meisten Grundbesitzer sind daher
Hypothekenschuldner deS Staates. Die Politik der Finanzverwaltung besteht nun
seit Guriaff, Camphausen und Kankrin in der Verwendung der Baargelder der
Banken für Staatsausgaben. Tritt also irgend eine Finanzkrisis ein, so kündigen
die vom Staat in Anspruch genommenen, vou den Darleihern um Rückgabe ihrer
Einlagen, vou den Grundeigentümern um Darleihen gleichzeitig bestürmten
Banken den altern Hypothekenschuldncrn, und diese sind nun genöthigt, ihren
Grundbesitz um jeden Preis loszuschlagen. Diese Zustände sind gerade in den
letzten Jahren erschreckend eingetreten. Fast gleichzeitig kündigten die kaiserlichen
Darlehnscassen allen Grundbesitzern des ungeheuern Reiches die vorgeschossenen
Kapitalien, und so entstand eine solche furchtbare Entwerthung des Grundbesitzes,
daß endlich der Staat, selber für eine ganze Reihe von Gouvernements Zahlnugs-


verpflichtet ist, werden dadurch gelohnt, daß der Ertrag der Güter theils durch
verwaltende Miethliuge direct geschmälert, theils überhaupt nicht in dem Maße
hergestellt wird, als wenn das Auge des Herrn darüber wacht. Dennoch ist der
Grundbesitzer der Pflicht, für Erhaltung und Verpflegung seiner Leibeignen zu
sorgen, in Jahren des Mangels ebensowenig, wie der fortdauernden solidarischen
Haftung für deren Steuerverpflichtung gegen den Staat entbunden. Es ist na¬
türlich, daß er darin nur einen Augriff von oben herab auf die Basis seiner
Geltung, auf den Grundbesitz selbst erblickt. Dies um so mehr, als der Staat
durch seine neuern Gesetze sogar dem Leibeignen das Recht ans Erwerbung von
Grundbesitz gab, ihn also eines bisher ausschließlichen Adelsrcchtes theilhaftig
machte. Zwar darf der Leibeigne keine Leibeignen miterwerbeu; dagegen darf
der Adelige keine Leibeignen ohne deren Wohnsitz kaufen. Die ursprünglich zu
Gunsten der Leibeignen getroffene Gesetzesbestimmung kehrt sich um direct feind¬
lich gegen deu Grundadel. Er kann Grundbesitz ohne Leibeigne verkaufen, aber
nicht Leibeigner ohne den Grundbesitz sich entäußern. Seine Verpflichtungen
nach oben und unter bleiben immer gleich große Lasten, wenn er auch, um sie zu
erfüllen, in ungünstigen Zeiten einen Theil seiner materiellen Macht opfert. So
geräth er leicht immer tiefer in die Verarmung, während die Hypothekeugesetzgebuug
eine Belastung des Grundbesitzes mit festen Schulden und der Möglichkeit einer
Abzahlung zu gelegener Zeit fast unmöglich macht. Dies muß an einem Bei¬
spiel klar werden. Die Hypothekengcsetzgebung erlaubt eine einzige Hypothek
auf jede Liegenschaft, sei sie auch noch so gering. Angenommen, ein Gutsbesitz
ist I00M0 N. S. Werth und nur mit U!00 R. Hypothekenschuld belastet, so
muß der Besitzer erst diese zurückzahlen, ehe er eine Hypothek von 2000 N. S.
aufnehmen kann. Die Creditgesetzgebnng gewährt aber dem Gläubiger in Ru߬
land außer für Hypothckdarleheu so wenig Sicherheit, daß von andern An- und
Darlehen nur selten die Rede ist. Dazu tritt der Mangel an Baargeld und
der hohe Zinsfuß im Privatverkehr. Die Zinsen bei den Hypothekenbanken des
Staates sind dagegen nicht übermäßig, die meisten Grundbesitzer sind daher
Hypothekenschuldner deS Staates. Die Politik der Finanzverwaltung besteht nun
seit Guriaff, Camphausen und Kankrin in der Verwendung der Baargelder der
Banken für Staatsausgaben. Tritt also irgend eine Finanzkrisis ein, so kündigen
die vom Staat in Anspruch genommenen, vou den Darleihern um Rückgabe ihrer
Einlagen, vou den Grundeigentümern um Darleihen gleichzeitig bestürmten
Banken den altern Hypothekenschuldncrn, und diese sind nun genöthigt, ihren
Grundbesitz um jeden Preis loszuschlagen. Diese Zustände sind gerade in den
letzten Jahren erschreckend eingetreten. Fast gleichzeitig kündigten die kaiserlichen
Darlehnscassen allen Grundbesitzern des ungeheuern Reiches die vorgeschossenen
Kapitalien, und so entstand eine solche furchtbare Entwerthung des Grundbesitzes,
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[0294] verpflichtet ist, werden dadurch gelohnt, daß der Ertrag der Güter theils durch verwaltende Miethliuge direct geschmälert, theils überhaupt nicht in dem Maße hergestellt wird, als wenn das Auge des Herrn darüber wacht. Dennoch ist der Grundbesitzer der Pflicht, für Erhaltung und Verpflegung seiner Leibeignen zu sorgen, in Jahren des Mangels ebensowenig, wie der fortdauernden solidarischen Haftung für deren Steuerverpflichtung gegen den Staat entbunden. Es ist na¬ türlich, daß er darin nur einen Augriff von oben herab auf die Basis seiner Geltung, auf den Grundbesitz selbst erblickt. Dies um so mehr, als der Staat durch seine neuern Gesetze sogar dem Leibeignen das Recht ans Erwerbung von Grundbesitz gab, ihn also eines bisher ausschließlichen Adelsrcchtes theilhaftig machte. Zwar darf der Leibeigne keine Leibeignen miterwerbeu; dagegen darf der Adelige keine Leibeignen ohne deren Wohnsitz kaufen. Die ursprünglich zu Gunsten der Leibeignen getroffene Gesetzesbestimmung kehrt sich um direct feind¬ lich gegen deu Grundadel. Er kann Grundbesitz ohne Leibeigne verkaufen, aber nicht Leibeigner ohne den Grundbesitz sich entäußern. Seine Verpflichtungen nach oben und unter bleiben immer gleich große Lasten, wenn er auch, um sie zu erfüllen, in ungünstigen Zeiten einen Theil seiner materiellen Macht opfert. So geräth er leicht immer tiefer in die Verarmung, während die Hypothekeugesetzgebuug eine Belastung des Grundbesitzes mit festen Schulden und der Möglichkeit einer Abzahlung zu gelegener Zeit fast unmöglich macht. Dies muß an einem Bei¬ spiel klar werden. Die Hypothekengcsetzgebung erlaubt eine einzige Hypothek auf jede Liegenschaft, sei sie auch noch so gering. Angenommen, ein Gutsbesitz ist I00M0 N. S. Werth und nur mit U!00 R. Hypothekenschuld belastet, so muß der Besitzer erst diese zurückzahlen, ehe er eine Hypothek von 2000 N. S. aufnehmen kann. Die Creditgesetzgebnng gewährt aber dem Gläubiger in Ru߬ land außer für Hypothckdarleheu so wenig Sicherheit, daß von andern An- und Darlehen nur selten die Rede ist. Dazu tritt der Mangel an Baargeld und der hohe Zinsfuß im Privatverkehr. Die Zinsen bei den Hypothekenbanken des Staates sind dagegen nicht übermäßig, die meisten Grundbesitzer sind daher Hypothekenschuldner deS Staates. Die Politik der Finanzverwaltung besteht nun seit Guriaff, Camphausen und Kankrin in der Verwendung der Baargelder der Banken für Staatsausgaben. Tritt also irgend eine Finanzkrisis ein, so kündigen die vom Staat in Anspruch genommenen, vou den Darleihern um Rückgabe ihrer Einlagen, vou den Grundeigentümern um Darleihen gleichzeitig bestürmten Banken den altern Hypothekenschuldncrn, und diese sind nun genöthigt, ihren Grundbesitz um jeden Preis loszuschlagen. Diese Zustände sind gerade in den letzten Jahren erschreckend eingetreten. Fast gleichzeitig kündigten die kaiserlichen Darlehnscassen allen Grundbesitzern des ungeheuern Reiches die vorgeschossenen Kapitalien, und so entstand eine solche furchtbare Entwerthung des Grundbesitzes, daß endlich der Staat, selber für eine ganze Reihe von Gouvernements Zahlnugs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/294>, abgerufen am 06.10.2024.