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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Stilübungen eintreten lassen mußte, bis den Grundeigentümern günstigere Ver¬
hältnisse zum Verkauf ihrer Besitzungen sich darbieten wurden.

Man darf nun nicht vergessen, daß diese durch die Staatspolitik wenn nicht
ausschließlich erzeugten, doch außerordentlich begünstigten materiellen Mißzustände
vorzugsweise die altadelige Aristokratie in ihren Hauptstämmen trifft. Man weiß,
welche politischen Traditionen diese von ihren Ahnen ererbte, wie darin nicht nur
ein tiefer Unwille gegen die heutige Gestaltung des Czarenthums überhaupt,
sondern auch gegen das Hans Romanow ihren Ursprung findet. Diese Opposition
erhält neue Nahrung mit jeder Negiernngömaßregel, deren Endziel die Abschwächung
des Adels, die absolute Alleinherrschaft der Regierung ist; sie steht dem Wunsche
nach einer aristokratischen Republik nicht fern. Indessen würde dieser Adel gegen
den monarchischen Absolutismus nicht mit so tiefem Mißwillen erfüllt sein, wenn
nicht das Gouvernement in der allmäligen Entfesselung der Leibeignen dem Adels¬
recht oder selbst der Adelsrcchtlvsigkeit ein Paroli hoge. Entwickelt sich aus der
Befreiung der Leibeignen von der materiellen Abhängigkeit von ihrem Herrn ohne
die Gewähr ihrer persönlichen Freiheit ein mächtig wirkender Oppvsitionöstoss in
den Eigenhöngen gegen das dermalige System der innern Politik Rußlands, so
ist die Gewähr der materiellen Unabhängigkeit der wohlhabenden Leibeignen eben
das Moment, welches im Grundadel die tiefste Verstimmung erzeugt. Die freien
Arbeiter aber, nebst jenen Schaaren von hilflosen Freigelassenen, welche dnrch
vieljährigen Soldatendienst arbcitSuntüchtig wurden, bilden das Vermittlnngsglied
zwischen diesen ursprünglich einander entgegenstehenden Elementen der Bevölkerung,
indem sie auf beiden Seiten die Mißstimmung nähren und Pflegen. In der For¬
derung nach Umgestaltung der GntSbesitzerverhältnisse, der damit verbundenen
Rechte und damit überkommenen Pflichten treffen darum beide zusammen, so ver¬
schieden anch ihre Ziele. Und weil eben der Russe den Czaren mit dem Staate
identificirt, so entwickelt sich aus dem socialen Mißbehagen eine politische Bewegung,
welche keineswegs genug erachtet werden kann.

Diese politische Bewegung findet aber ihren hauptsächlichen Ausdruck in den¬
jenigen Bevölkerungökreisen, welche ohne Grundbesitz im grundbesitzenden Adel
ihren gebornen Gegner, im grundbesitzenden Nichtadel einen möglichen Verbündeten
erblicken. Die junge Generation der Gebildeten verschiedenster Stände hat sich
von den Einflüssen des auszerrussischcn Geistes keineswegs frei gehalten. Die
Einen sehen schon in dessen Eindringen Rußlands Untergang, die Andern in dessen
Herrschaft Rußlands Zuknifft. Die national-russische Partei -- wenn man's so
nennen soll -- betrachtet has- Regierungssystem als Entnationalisirnng und trifft
in dieser Ansicht mitten Vertretern des echt nationalen Elements im Adel, in
der Bauernschaft und in der Kirche zusammen. Sie sucht also diese Elemente
zu gewinnen, um der gouvernementalen Entnationalisirnng entgegen zu arbeiten.
Sie greift aber in ihren Verzweigungen auch nach den verwandten Stämmen und


Stilübungen eintreten lassen mußte, bis den Grundeigentümern günstigere Ver¬
hältnisse zum Verkauf ihrer Besitzungen sich darbieten wurden.

Man darf nun nicht vergessen, daß diese durch die Staatspolitik wenn nicht
ausschließlich erzeugten, doch außerordentlich begünstigten materiellen Mißzustände
vorzugsweise die altadelige Aristokratie in ihren Hauptstämmen trifft. Man weiß,
welche politischen Traditionen diese von ihren Ahnen ererbte, wie darin nicht nur
ein tiefer Unwille gegen die heutige Gestaltung des Czarenthums überhaupt,
sondern auch gegen das Hans Romanow ihren Ursprung findet. Diese Opposition
erhält neue Nahrung mit jeder Negiernngömaßregel, deren Endziel die Abschwächung
des Adels, die absolute Alleinherrschaft der Regierung ist; sie steht dem Wunsche
nach einer aristokratischen Republik nicht fern. Indessen würde dieser Adel gegen
den monarchischen Absolutismus nicht mit so tiefem Mißwillen erfüllt sein, wenn
nicht das Gouvernement in der allmäligen Entfesselung der Leibeignen dem Adels¬
recht oder selbst der Adelsrcchtlvsigkeit ein Paroli hoge. Entwickelt sich aus der
Befreiung der Leibeignen von der materiellen Abhängigkeit von ihrem Herrn ohne
die Gewähr ihrer persönlichen Freiheit ein mächtig wirkender Oppvsitionöstoss in
den Eigenhöngen gegen das dermalige System der innern Politik Rußlands, so
ist die Gewähr der materiellen Unabhängigkeit der wohlhabenden Leibeignen eben
das Moment, welches im Grundadel die tiefste Verstimmung erzeugt. Die freien
Arbeiter aber, nebst jenen Schaaren von hilflosen Freigelassenen, welche dnrch
vieljährigen Soldatendienst arbcitSuntüchtig wurden, bilden das Vermittlnngsglied
zwischen diesen ursprünglich einander entgegenstehenden Elementen der Bevölkerung,
indem sie auf beiden Seiten die Mißstimmung nähren und Pflegen. In der For¬
derung nach Umgestaltung der GntSbesitzerverhältnisse, der damit verbundenen
Rechte und damit überkommenen Pflichten treffen darum beide zusammen, so ver¬
schieden anch ihre Ziele. Und weil eben der Russe den Czaren mit dem Staate
identificirt, so entwickelt sich aus dem socialen Mißbehagen eine politische Bewegung,
welche keineswegs genug erachtet werden kann.

Diese politische Bewegung findet aber ihren hauptsächlichen Ausdruck in den¬
jenigen Bevölkerungökreisen, welche ohne Grundbesitz im grundbesitzenden Adel
ihren gebornen Gegner, im grundbesitzenden Nichtadel einen möglichen Verbündeten
erblicken. Die junge Generation der Gebildeten verschiedenster Stände hat sich
von den Einflüssen des auszerrussischcn Geistes keineswegs frei gehalten. Die
Einen sehen schon in dessen Eindringen Rußlands Untergang, die Andern in dessen
Herrschaft Rußlands Zuknifft. Die national-russische Partei — wenn man's so
nennen soll — betrachtet has- Regierungssystem als Entnationalisirnng und trifft
in dieser Ansicht mitten Vertretern des echt nationalen Elements im Adel, in
der Bauernschaft und in der Kirche zusammen. Sie sucht also diese Elemente
zu gewinnen, um der gouvernementalen Entnationalisirnng entgegen zu arbeiten.
Sie greift aber in ihren Verzweigungen auch nach den verwandten Stämmen und


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[0295] Stilübungen eintreten lassen mußte, bis den Grundeigentümern günstigere Ver¬ hältnisse zum Verkauf ihrer Besitzungen sich darbieten wurden. Man darf nun nicht vergessen, daß diese durch die Staatspolitik wenn nicht ausschließlich erzeugten, doch außerordentlich begünstigten materiellen Mißzustände vorzugsweise die altadelige Aristokratie in ihren Hauptstämmen trifft. Man weiß, welche politischen Traditionen diese von ihren Ahnen ererbte, wie darin nicht nur ein tiefer Unwille gegen die heutige Gestaltung des Czarenthums überhaupt, sondern auch gegen das Hans Romanow ihren Ursprung findet. Diese Opposition erhält neue Nahrung mit jeder Negiernngömaßregel, deren Endziel die Abschwächung des Adels, die absolute Alleinherrschaft der Regierung ist; sie steht dem Wunsche nach einer aristokratischen Republik nicht fern. Indessen würde dieser Adel gegen den monarchischen Absolutismus nicht mit so tiefem Mißwillen erfüllt sein, wenn nicht das Gouvernement in der allmäligen Entfesselung der Leibeignen dem Adels¬ recht oder selbst der Adelsrcchtlvsigkeit ein Paroli hoge. Entwickelt sich aus der Befreiung der Leibeignen von der materiellen Abhängigkeit von ihrem Herrn ohne die Gewähr ihrer persönlichen Freiheit ein mächtig wirkender Oppvsitionöstoss in den Eigenhöngen gegen das dermalige System der innern Politik Rußlands, so ist die Gewähr der materiellen Unabhängigkeit der wohlhabenden Leibeignen eben das Moment, welches im Grundadel die tiefste Verstimmung erzeugt. Die freien Arbeiter aber, nebst jenen Schaaren von hilflosen Freigelassenen, welche dnrch vieljährigen Soldatendienst arbcitSuntüchtig wurden, bilden das Vermittlnngsglied zwischen diesen ursprünglich einander entgegenstehenden Elementen der Bevölkerung, indem sie auf beiden Seiten die Mißstimmung nähren und Pflegen. In der For¬ derung nach Umgestaltung der GntSbesitzerverhältnisse, der damit verbundenen Rechte und damit überkommenen Pflichten treffen darum beide zusammen, so ver¬ schieden anch ihre Ziele. Und weil eben der Russe den Czaren mit dem Staate identificirt, so entwickelt sich aus dem socialen Mißbehagen eine politische Bewegung, welche keineswegs genug erachtet werden kann. Diese politische Bewegung findet aber ihren hauptsächlichen Ausdruck in den¬ jenigen Bevölkerungökreisen, welche ohne Grundbesitz im grundbesitzenden Adel ihren gebornen Gegner, im grundbesitzenden Nichtadel einen möglichen Verbündeten erblicken. Die junge Generation der Gebildeten verschiedenster Stände hat sich von den Einflüssen des auszerrussischcn Geistes keineswegs frei gehalten. Die Einen sehen schon in dessen Eindringen Rußlands Untergang, die Andern in dessen Herrschaft Rußlands Zuknifft. Die national-russische Partei — wenn man's so nennen soll — betrachtet has- Regierungssystem als Entnationalisirnng und trifft in dieser Ansicht mitten Vertretern des echt nationalen Elements im Adel, in der Bauernschaft und in der Kirche zusammen. Sie sucht also diese Elemente zu gewinnen, um der gouvernementalen Entnationalisirnng entgegen zu arbeiten. Sie greift aber in ihren Verzweigungen auch nach den verwandten Stämmen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/295>, abgerufen am 01.09.2024.