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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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dem heiligen Eide, den sie dem König, den sie der Verfassung geschworen
haben."

Ein russisches Gramm. Erzählung eines Polen. "Sic wissen, daß ich nach elf¬
jährigen gemeinen Soldatendienst durch Vermittlung des Oberst G. als Lehrer an der
Eantvnnistenschnle zu E. angestellt wurde. Bot diese Thätigkeit mir auch sonst wenig
Erfreuliches, so wirkte sie doch vortheilhaft auf meine Gesundheit ein, denn der Umgang
mit der Jugend hat etwas Erfrischendes. Nach und nach gewann ich meine Stellung
ganz lieb. Doch eS stand im Buche des Schicksals geschrieben, daß ich nirgend eine
bleibende Stätte finden sollte.

Kurz nachdem General S. als Chef des Unterrichtswesens sür die transkaukasischen
Länder nach Tiflis geschickt wurde, besuchte er auf seiner ersten Inspektionsreise auch
meine Schule, und aus der hochfahrenden Weise, in welcher er mich und meine
Jungens anschnauzte, merkte ich bald, daß sein Besuch nichts Angenehmes zur Folge
haben werde. Ich hatte schon zu viel Schlimmes im Leben erfahren, um über das
barsche Auftreten des Generals übermäßig betroffen zu sei"; selbst die Grimassen, welche
er beim Hören meines polnischen Namens schnitt, brachten mich nicht sehr aus der Fassung.
Trotzdem wurde er bei jedem Worte ärgerlicher und barscher, nach der alten Regel, daß
Hitzköfc immer toller aufbrausen, je mehr Ruhe man ihnen entgegenstellt, und daß
der tölpelhafte Hochmuth eines Menschen immer auf gleicher Stufe steht mit seiner Un¬
wissenheit.

"-- Nun, was lernen denn die Jungens bei Ihnen?" -- begann der Stellvertreter
des "Ministers der Volksaufklärung" sein Examen, nachdem er mit wahrhaft bissigen
Gesichte bemerkt hatte, daß es an der Kleidung der Schüler und der Einrichtung der
Schulstunden nichts zu tadeln gab.

Ich gab auf diese altherkömmliche Frage die altherkömmliche Antwort; er ließ
mich jedoch nicht aussprechen, sondern siel mit wichtiger Miene ein: "-- Russisch ist
die Hauptsache! darauf muß vor Allem gesehen werden! Bringt mir einem Jungen
ordentlich russisch bei, dann lernt sich alles Uebrige von selbst!" --

Ich durfte dem natürlich nicht widersprechen, und entgegnete, daß ich es an nichts
fehlen ließe, um den Jungens ordentlich russisch beizubringen ...

"-- Das wollen wir sehen!" -- rief der General, -- "zeigen Sic mir einmal
Ihre besten Schüler!" --
'

Ich that, wiemir geheißen; aber leider war mein bester Schüler kein Russe, sondern
ein Armenier, Namens Akimijam.

Dieser zufällige Umstand gab dem General einen erwünschten Anlaß, sich in eine
Fluth von Schimpfwörtern darüber zu ergießen, daß ich die Russen zurücksetze und
die Vertreter der unterworfenen Völkerschaften bevorzuge.

Sie können leicht denken, daß das Benehmen des stellvertretenden "Ministers der
Volksaufklärung" eben nicht ermuthigend auf die armen Schüler einwirkte.

Zitternd und schüchtern trat Akimijan vor.

"-- Nun, lassen Sie ihn einmal was an die Tafel schreiben!" -- herrschte mich
Se. Excellenz an.

Akimijam nahm auf mein Zureden die Kreide und schrieb: "Das Auge ist ein Glied
des menschlichen Körpers." --

Der Satz war richtig geschrieben; es ließ sich nichts dagegen einwenden.


dem heiligen Eide, den sie dem König, den sie der Verfassung geschworen
haben."

Ein russisches Gramm. Erzählung eines Polen. „Sic wissen, daß ich nach elf¬
jährigen gemeinen Soldatendienst durch Vermittlung des Oberst G. als Lehrer an der
Eantvnnistenschnle zu E. angestellt wurde. Bot diese Thätigkeit mir auch sonst wenig
Erfreuliches, so wirkte sie doch vortheilhaft auf meine Gesundheit ein, denn der Umgang
mit der Jugend hat etwas Erfrischendes. Nach und nach gewann ich meine Stellung
ganz lieb. Doch eS stand im Buche des Schicksals geschrieben, daß ich nirgend eine
bleibende Stätte finden sollte.

Kurz nachdem General S. als Chef des Unterrichtswesens sür die transkaukasischen
Länder nach Tiflis geschickt wurde, besuchte er auf seiner ersten Inspektionsreise auch
meine Schule, und aus der hochfahrenden Weise, in welcher er mich und meine
Jungens anschnauzte, merkte ich bald, daß sein Besuch nichts Angenehmes zur Folge
haben werde. Ich hatte schon zu viel Schlimmes im Leben erfahren, um über das
barsche Auftreten des Generals übermäßig betroffen zu sei»; selbst die Grimassen, welche
er beim Hören meines polnischen Namens schnitt, brachten mich nicht sehr aus der Fassung.
Trotzdem wurde er bei jedem Worte ärgerlicher und barscher, nach der alten Regel, daß
Hitzköfc immer toller aufbrausen, je mehr Ruhe man ihnen entgegenstellt, und daß
der tölpelhafte Hochmuth eines Menschen immer auf gleicher Stufe steht mit seiner Un¬
wissenheit.

„— Nun, was lernen denn die Jungens bei Ihnen?" — begann der Stellvertreter
des „Ministers der Volksaufklärung" sein Examen, nachdem er mit wahrhaft bissigen
Gesichte bemerkt hatte, daß es an der Kleidung der Schüler und der Einrichtung der
Schulstunden nichts zu tadeln gab.

Ich gab auf diese altherkömmliche Frage die altherkömmliche Antwort; er ließ
mich jedoch nicht aussprechen, sondern siel mit wichtiger Miene ein: „— Russisch ist
die Hauptsache! darauf muß vor Allem gesehen werden! Bringt mir einem Jungen
ordentlich russisch bei, dann lernt sich alles Uebrige von selbst!" —

Ich durfte dem natürlich nicht widersprechen, und entgegnete, daß ich es an nichts
fehlen ließe, um den Jungens ordentlich russisch beizubringen ...

„— Das wollen wir sehen!" — rief der General, — „zeigen Sic mir einmal
Ihre besten Schüler!" —
'

Ich that, wiemir geheißen; aber leider war mein bester Schüler kein Russe, sondern
ein Armenier, Namens Akimijam.

Dieser zufällige Umstand gab dem General einen erwünschten Anlaß, sich in eine
Fluth von Schimpfwörtern darüber zu ergießen, daß ich die Russen zurücksetze und
die Vertreter der unterworfenen Völkerschaften bevorzuge.

Sie können leicht denken, daß das Benehmen des stellvertretenden „Ministers der
Volksaufklärung" eben nicht ermuthigend auf die armen Schüler einwirkte.

Zitternd und schüchtern trat Akimijan vor.

„— Nun, lassen Sie ihn einmal was an die Tafel schreiben!" — herrschte mich
Se. Excellenz an.

Akimijam nahm auf mein Zureden die Kreide und schrieb: „Das Auge ist ein Glied
des menschlichen Körpers." —

Der Satz war richtig geschrieben; es ließ sich nichts dagegen einwenden.


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[0286] dem heiligen Eide, den sie dem König, den sie der Verfassung geschworen haben." Ein russisches Gramm. Erzählung eines Polen. „Sic wissen, daß ich nach elf¬ jährigen gemeinen Soldatendienst durch Vermittlung des Oberst G. als Lehrer an der Eantvnnistenschnle zu E. angestellt wurde. Bot diese Thätigkeit mir auch sonst wenig Erfreuliches, so wirkte sie doch vortheilhaft auf meine Gesundheit ein, denn der Umgang mit der Jugend hat etwas Erfrischendes. Nach und nach gewann ich meine Stellung ganz lieb. Doch eS stand im Buche des Schicksals geschrieben, daß ich nirgend eine bleibende Stätte finden sollte. Kurz nachdem General S. als Chef des Unterrichtswesens sür die transkaukasischen Länder nach Tiflis geschickt wurde, besuchte er auf seiner ersten Inspektionsreise auch meine Schule, und aus der hochfahrenden Weise, in welcher er mich und meine Jungens anschnauzte, merkte ich bald, daß sein Besuch nichts Angenehmes zur Folge haben werde. Ich hatte schon zu viel Schlimmes im Leben erfahren, um über das barsche Auftreten des Generals übermäßig betroffen zu sei»; selbst die Grimassen, welche er beim Hören meines polnischen Namens schnitt, brachten mich nicht sehr aus der Fassung. Trotzdem wurde er bei jedem Worte ärgerlicher und barscher, nach der alten Regel, daß Hitzköfc immer toller aufbrausen, je mehr Ruhe man ihnen entgegenstellt, und daß der tölpelhafte Hochmuth eines Menschen immer auf gleicher Stufe steht mit seiner Un¬ wissenheit. „— Nun, was lernen denn die Jungens bei Ihnen?" — begann der Stellvertreter des „Ministers der Volksaufklärung" sein Examen, nachdem er mit wahrhaft bissigen Gesichte bemerkt hatte, daß es an der Kleidung der Schüler und der Einrichtung der Schulstunden nichts zu tadeln gab. Ich gab auf diese altherkömmliche Frage die altherkömmliche Antwort; er ließ mich jedoch nicht aussprechen, sondern siel mit wichtiger Miene ein: „— Russisch ist die Hauptsache! darauf muß vor Allem gesehen werden! Bringt mir einem Jungen ordentlich russisch bei, dann lernt sich alles Uebrige von selbst!" — Ich durfte dem natürlich nicht widersprechen, und entgegnete, daß ich es an nichts fehlen ließe, um den Jungens ordentlich russisch beizubringen ... „— Das wollen wir sehen!" — rief der General, — „zeigen Sic mir einmal Ihre besten Schüler!" — ' Ich that, wiemir geheißen; aber leider war mein bester Schüler kein Russe, sondern ein Armenier, Namens Akimijam. Dieser zufällige Umstand gab dem General einen erwünschten Anlaß, sich in eine Fluth von Schimpfwörtern darüber zu ergießen, daß ich die Russen zurücksetze und die Vertreter der unterworfenen Völkerschaften bevorzuge. Sie können leicht denken, daß das Benehmen des stellvertretenden „Ministers der Volksaufklärung" eben nicht ermuthigend auf die armen Schüler einwirkte. Zitternd und schüchtern trat Akimijan vor. „— Nun, lassen Sie ihn einmal was an die Tafel schreiben!" — herrschte mich Se. Excellenz an. Akimijam nahm auf mein Zureden die Kreide und schrieb: „Das Auge ist ein Glied des menschlichen Körpers." — Der Satz war richtig geschrieben; es ließ sich nichts dagegen einwenden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/286>, abgerufen am 01.09.2024.