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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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klingen sie nicht, als wenn die-neue französische Republik nur auf die Welt ge¬
kommen wäre, um das Evangelium zu erfüllen? Die aus der großen Umwälzung
hervorgegangenen Gewalten legen sich wirklich diese Mission feierlich bei, obgleich
allerdings nicht ohne eine kleine Verbesserung, die es der Revolution gefallen
hat darin einzuführen. Dem Geiste nämlich der Humanität und Selbstverleugnung,
diesem Fundamente des Christenthums, substituirte sie. den Geist des Hochmuths
und der Anmaßung, der freien selbsthandeluden Barmherzigkeit die gezwungene
Liberalität, und statt des Bruderthums, das im Namen Gottes gepredigt und
begrüßt wird, führte sie eine Fraternität ein, welche die Welt sich nur aus Furcht
vor dem souverainen Volk aufdringen läßt." Wir könnten gleiche Auffassungen
in sämmtlichen ofstciellen Ausführungen der letzten beiden Jahre nachweisen, ohne
selbst noch einer Verweisung auf die vielberufenen "Heiden" zu bedürfen, gegen
welche das erste Aufwallen russischen Zorns die orthodoxen Völker zum Kreuzzug
aufforderte. Petersburger Klugheit fand nachher für gut, den charakteristischen
Zornesausbruch des Czarenpatriarchen als Uebersetzungsfehler zu bezeichnen und
in "fremde Volker" zu verbessern. Allein umsonst sucht man in den russisch
geschriebenen Blättern derselben Zeit eine Verkündigung dieser Correctur, welche
doch so eifrig nach dem Ausland befördert ward. Vielmehr hören wir nach kurzer
Zeit allüberall die Popen begeisterten Mundes verkünden, wie die Heiden da
draußen hcreindrohen nach dem Reiche des weißen Czaren, um die Tempel der
rechtgläubigen Kirche zu brechen und Verwüstung zu verbreiten über das ganze
Land der treuen Kinder des erhabenen Vaters.

Nicht erst das Jahr 1848 hat kommen müssen, um Rußland zu lehren, wie
das- nationale und freiheitliche Regiment in denjenigen Ländern und Verhältnissen
zu benutzen sei, wo es galt, durch dessen Geltendmachung die jeweilige Herrschafts¬
macht über das eine oder das andere Volk zu Gunsten russischer Zwecke zu schwächen.
Griechenland, Persien, die Donaufürstenthinner, sogar der südslavische Theil der
östreichischen Monarchie bieten frühere Beispiele dafür. Erst wenn mit diesen
Elementen des Volkslebens die bestehenden Verhältnisse gelockert und wankend
gemacht waren, benutzte man auch das confessionelle Element der Glaubensver-
wandten, um die patriarchalische Suprematie des Czaren geltend und damit eine
wahrhaft innerliche politische Wiedervereinigung der Unterthanen mit ihrem Souve-
rain unmöglich zu machen. So ward die Gläubigkeit, von welcher Nußland be¬
hauptet, sie sei im nichtrussischen Europa verschwunden, zu einem der mächtigsten
Eroberuugsmittel russischer Politik. Aber freilich blieb sie auch, nachdem das
absolutistisch-autokratische Princip in immer schroffem Gegensatz getreten gegen die
Anerkennung der politischen Konsequenzen eiuer Uebertragung der materiellen
Cnltnrergebnisse Europa's aus Rußland, der einzige noch wirklich zuverlässige
Halt der innern Politik Rußlands. Oberflächliche Beobachtung und das Schlag¬
wort sagt freilich, der russische Absolutismus stützt sich auf eine russificirende


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klingen sie nicht, als wenn die-neue französische Republik nur auf die Welt ge¬
kommen wäre, um das Evangelium zu erfüllen? Die aus der großen Umwälzung
hervorgegangenen Gewalten legen sich wirklich diese Mission feierlich bei, obgleich
allerdings nicht ohne eine kleine Verbesserung, die es der Revolution gefallen
hat darin einzuführen. Dem Geiste nämlich der Humanität und Selbstverleugnung,
diesem Fundamente des Christenthums, substituirte sie. den Geist des Hochmuths
und der Anmaßung, der freien selbsthandeluden Barmherzigkeit die gezwungene
Liberalität, und statt des Bruderthums, das im Namen Gottes gepredigt und
begrüßt wird, führte sie eine Fraternität ein, welche die Welt sich nur aus Furcht
vor dem souverainen Volk aufdringen läßt." Wir könnten gleiche Auffassungen
in sämmtlichen ofstciellen Ausführungen der letzten beiden Jahre nachweisen, ohne
selbst noch einer Verweisung auf die vielberufenen „Heiden" zu bedürfen, gegen
welche das erste Aufwallen russischen Zorns die orthodoxen Völker zum Kreuzzug
aufforderte. Petersburger Klugheit fand nachher für gut, den charakteristischen
Zornesausbruch des Czarenpatriarchen als Uebersetzungsfehler zu bezeichnen und
in „fremde Volker" zu verbessern. Allein umsonst sucht man in den russisch
geschriebenen Blättern derselben Zeit eine Verkündigung dieser Correctur, welche
doch so eifrig nach dem Ausland befördert ward. Vielmehr hören wir nach kurzer
Zeit allüberall die Popen begeisterten Mundes verkünden, wie die Heiden da
draußen hcreindrohen nach dem Reiche des weißen Czaren, um die Tempel der
rechtgläubigen Kirche zu brechen und Verwüstung zu verbreiten über das ganze
Land der treuen Kinder des erhabenen Vaters.

Nicht erst das Jahr 1848 hat kommen müssen, um Rußland zu lehren, wie
das- nationale und freiheitliche Regiment in denjenigen Ländern und Verhältnissen
zu benutzen sei, wo es galt, durch dessen Geltendmachung die jeweilige Herrschafts¬
macht über das eine oder das andere Volk zu Gunsten russischer Zwecke zu schwächen.
Griechenland, Persien, die Donaufürstenthinner, sogar der südslavische Theil der
östreichischen Monarchie bieten frühere Beispiele dafür. Erst wenn mit diesen
Elementen des Volkslebens die bestehenden Verhältnisse gelockert und wankend
gemacht waren, benutzte man auch das confessionelle Element der Glaubensver-
wandten, um die patriarchalische Suprematie des Czaren geltend und damit eine
wahrhaft innerliche politische Wiedervereinigung der Unterthanen mit ihrem Souve-
rain unmöglich zu machen. So ward die Gläubigkeit, von welcher Nußland be¬
hauptet, sie sei im nichtrussischen Europa verschwunden, zu einem der mächtigsten
Eroberuugsmittel russischer Politik. Aber freilich blieb sie auch, nachdem das
absolutistisch-autokratische Princip in immer schroffem Gegensatz getreten gegen die
Anerkennung der politischen Konsequenzen eiuer Uebertragung der materiellen
Cnltnrergebnisse Europa's aus Rußland, der einzige noch wirklich zuverlässige
Halt der innern Politik Rußlands. Oberflächliche Beobachtung und das Schlag¬
wort sagt freilich, der russische Absolutismus stützt sich auf eine russificirende


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[0251] klingen sie nicht, als wenn die-neue französische Republik nur auf die Welt ge¬ kommen wäre, um das Evangelium zu erfüllen? Die aus der großen Umwälzung hervorgegangenen Gewalten legen sich wirklich diese Mission feierlich bei, obgleich allerdings nicht ohne eine kleine Verbesserung, die es der Revolution gefallen hat darin einzuführen. Dem Geiste nämlich der Humanität und Selbstverleugnung, diesem Fundamente des Christenthums, substituirte sie. den Geist des Hochmuths und der Anmaßung, der freien selbsthandeluden Barmherzigkeit die gezwungene Liberalität, und statt des Bruderthums, das im Namen Gottes gepredigt und begrüßt wird, führte sie eine Fraternität ein, welche die Welt sich nur aus Furcht vor dem souverainen Volk aufdringen läßt." Wir könnten gleiche Auffassungen in sämmtlichen ofstciellen Ausführungen der letzten beiden Jahre nachweisen, ohne selbst noch einer Verweisung auf die vielberufenen „Heiden" zu bedürfen, gegen welche das erste Aufwallen russischen Zorns die orthodoxen Völker zum Kreuzzug aufforderte. Petersburger Klugheit fand nachher für gut, den charakteristischen Zornesausbruch des Czarenpatriarchen als Uebersetzungsfehler zu bezeichnen und in „fremde Volker" zu verbessern. Allein umsonst sucht man in den russisch geschriebenen Blättern derselben Zeit eine Verkündigung dieser Correctur, welche doch so eifrig nach dem Ausland befördert ward. Vielmehr hören wir nach kurzer Zeit allüberall die Popen begeisterten Mundes verkünden, wie die Heiden da draußen hcreindrohen nach dem Reiche des weißen Czaren, um die Tempel der rechtgläubigen Kirche zu brechen und Verwüstung zu verbreiten über das ganze Land der treuen Kinder des erhabenen Vaters. Nicht erst das Jahr 1848 hat kommen müssen, um Rußland zu lehren, wie das- nationale und freiheitliche Regiment in denjenigen Ländern und Verhältnissen zu benutzen sei, wo es galt, durch dessen Geltendmachung die jeweilige Herrschafts¬ macht über das eine oder das andere Volk zu Gunsten russischer Zwecke zu schwächen. Griechenland, Persien, die Donaufürstenthinner, sogar der südslavische Theil der östreichischen Monarchie bieten frühere Beispiele dafür. Erst wenn mit diesen Elementen des Volkslebens die bestehenden Verhältnisse gelockert und wankend gemacht waren, benutzte man auch das confessionelle Element der Glaubensver- wandten, um die patriarchalische Suprematie des Czaren geltend und damit eine wahrhaft innerliche politische Wiedervereinigung der Unterthanen mit ihrem Souve- rain unmöglich zu machen. So ward die Gläubigkeit, von welcher Nußland be¬ hauptet, sie sei im nichtrussischen Europa verschwunden, zu einem der mächtigsten Eroberuugsmittel russischer Politik. Aber freilich blieb sie auch, nachdem das absolutistisch-autokratische Princip in immer schroffem Gegensatz getreten gegen die Anerkennung der politischen Konsequenzen eiuer Uebertragung der materiellen Cnltnrergebnisse Europa's aus Rußland, der einzige noch wirklich zuverlässige Halt der innern Politik Rußlands. Oberflächliche Beobachtung und das Schlag¬ wort sagt freilich, der russische Absolutismus stützt sich auf eine russificirende 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/251>, abgerufen am 28.07.2024.