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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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eine gute Mahlzeit mit Bier. Fünfundzwanzig der Knaben hatten hier ihre be¬
schwerliche Reise vollendet und wurden in die dasige Militärschule, welche sich in
einem audern Flügel der Kaserne befand, aufgenommen.

Nach einer zweitägigen Rest wurde der Marsch fortgesetzt, er wurde jetzt
viel beschwerlicher, da die Ortschaften viel entfernter von einander lagen. Aber
die Behandlung dnrch die escortirenden Mannschaften wurde bessere Vorher hatte
meist alle vier Meilen weit, also von Tag zu Tag ein Escortenwechsel stattgefun¬
den, so daß die Soldaten mit den Kindern gar keine Bekanntschaft machen konn¬
ten. So lange aber diese fehlte, wurden die Kleinen roh und barsch behandelt.. Jetzt
blieb bei der Kindertruppe oft zwei und drei Tage lang dieselbe Mannschaft, so
daß eine gewisse Befreundung stattfand. Die Militärstationen wurden weiterhin
noch seltener. Auf jeder wechselte die Mannschaft; nur der Führer der Escorte,
ein Kosakenobcrlientenaut, welcher entlassen war, oder vielmehr mit diesem Dienste
seine militärische Laufbahn beschloß, blieb immer derselbe; und dieser war nicht
gerade ein Barbar, ja erlaubte sich sogar, mit den Knaben kindische Possen zu
treiben. Ueberhaupt schien den Kindern der russische Soldat um so sanftmüthiger,
je tiefer sie in das wüste Reich hineingelangten.

Nach einer Wanderung von anderthalb Monaten erreichte der hinkende und
höchst bejammernswerthe Zug vou Kindern, die Gubernialstadt K. Die kleinen Ge¬
nossen des Knaben, er selbst nicht ausgeschlossen, waren nicht besser wie Ster¬
bende. Das fortdauernde Wandern hatte sie in den Hüsten völlig gelähmt und
ihnen den Appetit so geraubt, daß sie, wie leer auch ihr Magen gewesen, kaum
einige Bissen täglich genießen konnten; dabei waren sie gräßlich abgemagert und
so von Kräften gekommen, daß bisweilen fünf, sechs Knaben zugleich wie todt
hingesunken sind. Man flößte ihnen dann Branntwein ein und legte sie auf
eine Kibitke. Da aber die Geschirre für die Menge der Maroden nicht zureichten
und in der Steppengegend keine Banergeschirre zu bekommen waren, so mußte
man des Tages oft zehn und zwölf Mal rasten. Auf Befehl des Lieutenants
haben zwar bisweilen die Kosaken von ihren Pferden steigen und sie den Knaben
überlassen müssen, allein diese Gnade ist nur den Lieblingen des Offiziers zu
Theil geworden, auch war es bei der unerträgliche,: Hitze oft keine Wohlthat
für die erschöpften Kinder, zu vieren, zuweilen sogar zu fünfen auf dem scharfen
Nückrat eines dürren Kleppers hocken zu müssen. Neun Personen starben auf
diesem Wege. Die christliche-Weihe gab der Kosak diesem Grabe, indem er ans
Binsen einen kurzen und einen langen Zopf flocht und beide in Gestalt eines
Kreuzes ans den Hügel heftete.

In K. war der Adjutant des Gouverneurs, ein Capitän, so mitleidig, den
jammervollen Wesen eine achttägige Nastzcit auszuwirken und sie bei deu Bürgern
ins Quartier zu legen, wie Soldaten. D. schreibt, er habe zwei Tage und
zwei Nächte ohne Unterbrechung geschlafen, und dies habe ihn vom Tode gerettet.


eine gute Mahlzeit mit Bier. Fünfundzwanzig der Knaben hatten hier ihre be¬
schwerliche Reise vollendet und wurden in die dasige Militärschule, welche sich in
einem audern Flügel der Kaserne befand, aufgenommen.

Nach einer zweitägigen Rest wurde der Marsch fortgesetzt, er wurde jetzt
viel beschwerlicher, da die Ortschaften viel entfernter von einander lagen. Aber
die Behandlung dnrch die escortirenden Mannschaften wurde bessere Vorher hatte
meist alle vier Meilen weit, also von Tag zu Tag ein Escortenwechsel stattgefun¬
den, so daß die Soldaten mit den Kindern gar keine Bekanntschaft machen konn¬
ten. So lange aber diese fehlte, wurden die Kleinen roh und barsch behandelt.. Jetzt
blieb bei der Kindertruppe oft zwei und drei Tage lang dieselbe Mannschaft, so
daß eine gewisse Befreundung stattfand. Die Militärstationen wurden weiterhin
noch seltener. Auf jeder wechselte die Mannschaft; nur der Führer der Escorte,
ein Kosakenobcrlientenaut, welcher entlassen war, oder vielmehr mit diesem Dienste
seine militärische Laufbahn beschloß, blieb immer derselbe; und dieser war nicht
gerade ein Barbar, ja erlaubte sich sogar, mit den Knaben kindische Possen zu
treiben. Ueberhaupt schien den Kindern der russische Soldat um so sanftmüthiger,
je tiefer sie in das wüste Reich hineingelangten.

Nach einer Wanderung von anderthalb Monaten erreichte der hinkende und
höchst bejammernswerthe Zug vou Kindern, die Gubernialstadt K. Die kleinen Ge¬
nossen des Knaben, er selbst nicht ausgeschlossen, waren nicht besser wie Ster¬
bende. Das fortdauernde Wandern hatte sie in den Hüsten völlig gelähmt und
ihnen den Appetit so geraubt, daß sie, wie leer auch ihr Magen gewesen, kaum
einige Bissen täglich genießen konnten; dabei waren sie gräßlich abgemagert und
so von Kräften gekommen, daß bisweilen fünf, sechs Knaben zugleich wie todt
hingesunken sind. Man flößte ihnen dann Branntwein ein und legte sie auf
eine Kibitke. Da aber die Geschirre für die Menge der Maroden nicht zureichten
und in der Steppengegend keine Banergeschirre zu bekommen waren, so mußte
man des Tages oft zehn und zwölf Mal rasten. Auf Befehl des Lieutenants
haben zwar bisweilen die Kosaken von ihren Pferden steigen und sie den Knaben
überlassen müssen, allein diese Gnade ist nur den Lieblingen des Offiziers zu
Theil geworden, auch war es bei der unerträgliche,: Hitze oft keine Wohlthat
für die erschöpften Kinder, zu vieren, zuweilen sogar zu fünfen auf dem scharfen
Nückrat eines dürren Kleppers hocken zu müssen. Neun Personen starben auf
diesem Wege. Die christliche-Weihe gab der Kosak diesem Grabe, indem er ans
Binsen einen kurzen und einen langen Zopf flocht und beide in Gestalt eines
Kreuzes ans den Hügel heftete.

In K. war der Adjutant des Gouverneurs, ein Capitän, so mitleidig, den
jammervollen Wesen eine achttägige Nastzcit auszuwirken und sie bei deu Bürgern
ins Quartier zu legen, wie Soldaten. D. schreibt, er habe zwei Tage und
zwei Nächte ohne Unterbrechung geschlafen, und dies habe ihn vom Tode gerettet.


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[0024] eine gute Mahlzeit mit Bier. Fünfundzwanzig der Knaben hatten hier ihre be¬ schwerliche Reise vollendet und wurden in die dasige Militärschule, welche sich in einem audern Flügel der Kaserne befand, aufgenommen. Nach einer zweitägigen Rest wurde der Marsch fortgesetzt, er wurde jetzt viel beschwerlicher, da die Ortschaften viel entfernter von einander lagen. Aber die Behandlung dnrch die escortirenden Mannschaften wurde bessere Vorher hatte meist alle vier Meilen weit, also von Tag zu Tag ein Escortenwechsel stattgefun¬ den, so daß die Soldaten mit den Kindern gar keine Bekanntschaft machen konn¬ ten. So lange aber diese fehlte, wurden die Kleinen roh und barsch behandelt.. Jetzt blieb bei der Kindertruppe oft zwei und drei Tage lang dieselbe Mannschaft, so daß eine gewisse Befreundung stattfand. Die Militärstationen wurden weiterhin noch seltener. Auf jeder wechselte die Mannschaft; nur der Führer der Escorte, ein Kosakenobcrlientenaut, welcher entlassen war, oder vielmehr mit diesem Dienste seine militärische Laufbahn beschloß, blieb immer derselbe; und dieser war nicht gerade ein Barbar, ja erlaubte sich sogar, mit den Knaben kindische Possen zu treiben. Ueberhaupt schien den Kindern der russische Soldat um so sanftmüthiger, je tiefer sie in das wüste Reich hineingelangten. Nach einer Wanderung von anderthalb Monaten erreichte der hinkende und höchst bejammernswerthe Zug vou Kindern, die Gubernialstadt K. Die kleinen Ge¬ nossen des Knaben, er selbst nicht ausgeschlossen, waren nicht besser wie Ster¬ bende. Das fortdauernde Wandern hatte sie in den Hüsten völlig gelähmt und ihnen den Appetit so geraubt, daß sie, wie leer auch ihr Magen gewesen, kaum einige Bissen täglich genießen konnten; dabei waren sie gräßlich abgemagert und so von Kräften gekommen, daß bisweilen fünf, sechs Knaben zugleich wie todt hingesunken sind. Man flößte ihnen dann Branntwein ein und legte sie auf eine Kibitke. Da aber die Geschirre für die Menge der Maroden nicht zureichten und in der Steppengegend keine Banergeschirre zu bekommen waren, so mußte man des Tages oft zehn und zwölf Mal rasten. Auf Befehl des Lieutenants haben zwar bisweilen die Kosaken von ihren Pferden steigen und sie den Knaben überlassen müssen, allein diese Gnade ist nur den Lieblingen des Offiziers zu Theil geworden, auch war es bei der unerträgliche,: Hitze oft keine Wohlthat für die erschöpften Kinder, zu vieren, zuweilen sogar zu fünfen auf dem scharfen Nückrat eines dürren Kleppers hocken zu müssen. Neun Personen starben auf diesem Wege. Die christliche-Weihe gab der Kosak diesem Grabe, indem er ans Binsen einen kurzen und einen langen Zopf flocht und beide in Gestalt eines Kreuzes ans den Hügel heftete. In K. war der Adjutant des Gouverneurs, ein Capitän, so mitleidig, den jammervollen Wesen eine achttägige Nastzcit auszuwirken und sie bei deu Bürgern ins Quartier zu legen, wie Soldaten. D. schreibt, er habe zwei Tage und zwei Nächte ohne Unterbrechung geschlafen, und dies habe ihn vom Tode gerettet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/24>, abgerufen am 01.09.2024.