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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Escorte ihres Sohns, zu besolden. Verschiedene Versuche der Frau von D.,
ihrem Knaben bei diesen Gängen vom Gefängniß zur Schule, die Flucht möglich
zu machen, blieben, da eine vollkommene Verständigung mit demselben unmöglich
war, ohne Erfolg.

Endlich im Frühjahr 1834, als ein Trupp von 84 polnischen Knaben in
das Innere Rußlands escortirt wurde, gelangte auch das Urtel des kleinen D.
zur Vollstreckung. Unter einer Bewachung von zwei Kosaken mit einem Unter¬
offizier wurde er der Escorte jenes Knabentrnpps übergeben. Man hatte ihm
seine Civilkleidung genommen und dafür eine grüne Tuchjacke mit rothem Kra¬
gen und grobe graue Tuchbeinkleider angezogen, und so den kleinen Herrn
zum Kroneigeuthum gemacht.

Der Weg führte zunächst nach Kleinrußland. Etliche russische Kibitken, für
deren Bespannung von Station zu Station die Bauern sorgen mußten, beglei¬
teten den Zug. Theils waren sie mit Nahrungsvorräthen und grauen wollenen
Mänteln beladen, theils zur Beförderung der Kranken und Maroden bestimmt.

Es wurde häufig, und hier, wo die Ortschaften noch dicht bei einander
lagen, jedesmal in einem Dorfe Nast gemacht. Man quartierte die Knaben nicht
in verschiedene Hänser ein. Vielleicht mißtrauete man ihnen mehr noch als den
gemarterten Soldaten des Heeres. Die ganze Schaar wurde stets in irgend
ein Gebäude, eine Scheune, einen Stall oder dergleichen getrieben. Ein mit¬
leidiger Pole, L., räumte einmal den Kindern seinen Speisesaal ein und bewir-
thete sie mit Kaffee, Wein und guten Speisen. Beim Abschied schenkte er jedem
Knaben dreißig Kopeken. Dieses Geld nahm natürlich vor seinen Augen der
Führer der Eskorte mit dem Bemerken in Beschlag, daß die Knaben durchaus
kein Geld besitzen dürften.

Die Kost, von den Bauern der Dörfer genußfertig geliefert, bestand fast
überall in Kartoffelstücken, denn brachte ein Bauer einmal Erbsen, Hirse oder
Grütze, so wurde dies entweder von der Eskortmannschaft weggenommen, oder
mit in die Kübel vertheilt, in welchen sich die Kartoffelspeise befand, so daß bis¬
weilen ein seltsames Gemisch entstand. Trotz dem war die Kost in der Ortschaft
genießbar und für so jugendliche Magen erträglich. Nur dann jammerten die
Kinder, wenn sie im Freien rasten und die Commißgrütze essen mußten, welche
die Eskortmaunschast in unappetitlicher Weise mit etwas Talg geschmalzt, zube¬
reitete. Der Arzt, eine Art Barbirgesell, welcher den Trupp begleitete, küm¬
merte sich um die Speisen nie und glaubte sich nur dann zu Dienstleistungen
verpflichtet, wenn ein Bein- oder Armbruch stattfand. '

Endlich erreichte man die Stadt, in deren Thor sich einst der König Bo-
leslaw von Polen mit seinem Säbel ein Denkmal gegraben. Die Kinder wur¬
den in ein Local der Kaserne gebracht und waren sehr froh, denn sie erhielten
ans Befehl und vielleicht auch auf Kosten des Gouveruers, eines Kurländers,


Escorte ihres Sohns, zu besolden. Verschiedene Versuche der Frau von D.,
ihrem Knaben bei diesen Gängen vom Gefängniß zur Schule, die Flucht möglich
zu machen, blieben, da eine vollkommene Verständigung mit demselben unmöglich
war, ohne Erfolg.

Endlich im Frühjahr 1834, als ein Trupp von 84 polnischen Knaben in
das Innere Rußlands escortirt wurde, gelangte auch das Urtel des kleinen D.
zur Vollstreckung. Unter einer Bewachung von zwei Kosaken mit einem Unter¬
offizier wurde er der Escorte jenes Knabentrnpps übergeben. Man hatte ihm
seine Civilkleidung genommen und dafür eine grüne Tuchjacke mit rothem Kra¬
gen und grobe graue Tuchbeinkleider angezogen, und so den kleinen Herrn
zum Kroneigeuthum gemacht.

Der Weg führte zunächst nach Kleinrußland. Etliche russische Kibitken, für
deren Bespannung von Station zu Station die Bauern sorgen mußten, beglei¬
teten den Zug. Theils waren sie mit Nahrungsvorräthen und grauen wollenen
Mänteln beladen, theils zur Beförderung der Kranken und Maroden bestimmt.

Es wurde häufig, und hier, wo die Ortschaften noch dicht bei einander
lagen, jedesmal in einem Dorfe Nast gemacht. Man quartierte die Knaben nicht
in verschiedene Hänser ein. Vielleicht mißtrauete man ihnen mehr noch als den
gemarterten Soldaten des Heeres. Die ganze Schaar wurde stets in irgend
ein Gebäude, eine Scheune, einen Stall oder dergleichen getrieben. Ein mit¬
leidiger Pole, L., räumte einmal den Kindern seinen Speisesaal ein und bewir-
thete sie mit Kaffee, Wein und guten Speisen. Beim Abschied schenkte er jedem
Knaben dreißig Kopeken. Dieses Geld nahm natürlich vor seinen Augen der
Führer der Eskorte mit dem Bemerken in Beschlag, daß die Knaben durchaus
kein Geld besitzen dürften.

Die Kost, von den Bauern der Dörfer genußfertig geliefert, bestand fast
überall in Kartoffelstücken, denn brachte ein Bauer einmal Erbsen, Hirse oder
Grütze, so wurde dies entweder von der Eskortmannschaft weggenommen, oder
mit in die Kübel vertheilt, in welchen sich die Kartoffelspeise befand, so daß bis¬
weilen ein seltsames Gemisch entstand. Trotz dem war die Kost in der Ortschaft
genießbar und für so jugendliche Magen erträglich. Nur dann jammerten die
Kinder, wenn sie im Freien rasten und die Commißgrütze essen mußten, welche
die Eskortmaunschast in unappetitlicher Weise mit etwas Talg geschmalzt, zube¬
reitete. Der Arzt, eine Art Barbirgesell, welcher den Trupp begleitete, küm¬
merte sich um die Speisen nie und glaubte sich nur dann zu Dienstleistungen
verpflichtet, wenn ein Bein- oder Armbruch stattfand. '

Endlich erreichte man die Stadt, in deren Thor sich einst der König Bo-
leslaw von Polen mit seinem Säbel ein Denkmal gegraben. Die Kinder wur¬
den in ein Local der Kaserne gebracht und waren sehr froh, denn sie erhielten
ans Befehl und vielleicht auch auf Kosten des Gouveruers, eines Kurländers,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/23>, abgerufen am 27.07.2024.