Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.Hier wurde die Truppe wieder verringert. Die letzten sieben, welche zur Strafe Drei Kosaken und der Lieutenant mit zwei Kibitken begleiteten die sieben Endlich mit Herbstseinbruch langten sie zu Sa. an der Wolga an. Das Grenzbote". III. Z850. 3
Hier wurde die Truppe wieder verringert. Die letzten sieben, welche zur Strafe Drei Kosaken und der Lieutenant mit zwei Kibitken begleiteten die sieben Endlich mit Herbstseinbruch langten sie zu Sa. an der Wolga an. Das Grenzbote». III. Z850. 3
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Hier wurde die Truppe wieder verringert. Die letzten sieben, welche zur Strafe
in russische Militäranstalten gebracht wurden, waren nach O. an der asiatischen Grenze
bestimmt, bis wohin sie von K. aus noch einen 180 Meilen langen Weg zurückzulegen
gehabt hätten. Allein der Umstand, daß der Führer der Escorte im Wolgage¬
birge seine Heimath sand und hier seine militärische Dienstpflicht zu Eude ging,
hatte die Mächtigen veranlaßt, die sieben politischen kleinen Verbrecher nach
S. an der Wolga gleichsam zu begnadigen und sie von einer gräßlichen, fünf-
undneunzig Meilen langen Reise durch Steppen und Gebirgswüsten zu befreien.
Drei Kosaken und der Lieutenant mit zwei Kibitken begleiteten die sieben
Kinder, von denen eins im Suwalaflnß beim Baden ertrank oder, wie die andern
sagten, sich ertränkte. Es war ein stiller Knabe gewesen, und hatte am meisten
von Allen geweint. Die Gegend wurde abscheulich. Die Dörfer lagen auf fünf
bis sieben Meilen Entfernung auseinander, und obschon man stets auf dem
Heerwege blieb, der durch hohe, mit Sckilfflaggen versehene Stangen bezeichnet
war, fand man doch zwischen den Orten nicht einmal eine Zemblanka, ausgenom¬
men da, wo ein uach Norden, und zwar Moskau, führender Weg, den nach
Osten gehenden durchschnitt. Der Führer aber freute sich über die Nähe seiner
Heimath und gestattete den Kindern große Bequemlichkeiten. So wanderten sie
jetzt gar nicht mehr, sondern ritten auf den Kibitkenpserdcn.
Endlich mit Herbstseinbruch langten sie zu Sa. an der Wolga an. Das
war eine hölzerne, meist mit Schilf, Reisig und Stroh gedeckte Stadt, von etwa
sieben tausend Einwohnern. Die Straßen sind ungepflastert und hier und da
sogar mit Gesträuch bewachsen, aber sehr breit. Dies- und jenseits des Stromes
ist die Gegend von Gebirgen begrenzt, deren Thäler bis nahe an die Stadt heran
das Ansehen von Wüsten haben und keine Spur von Landwirtschaft zeigen, nur
seltene Häuflein weidender Pferde oder Ziegen sieht man. Man ißt dort viel
grüne Speisen, aber sie bestehen aus wilden Kräutern. DaS häufigste und be¬
liebteste Gemüse sind Pilze, welche aus den Gebirgen und Birkenwaldungen in
ungeheurer Masse herauskommen. Das wilde Thier war sehr zahlreich. Wei߬
graue Kaninchen, Hasen, vou ganz lichtgrauer Farbe, Füchse und Wölfe, auch von
viel hellerer Farbe als in Polen, begegnen Einem zahlreich auf allen Wegen.
Auch Bäre gibt es in den Gebirgen viele. Wölfe und Füchse werden hier zum
genießbaren Wildpret gerechnet. Fische sind keine Marktwaare, und wer welche
genießen will, läßt sie sich fangen, so viele als ihm belieben. Die Menschen,
welche nicht kaiserliche Beamte und Soldaten sind, sehen aus wie Zigeuner,
gehen bis zu den Knien barfuß und tragen selten Röcke, häufig Felle, nach Art
der spanischen Mäntel zum Theil graue, starre Zipfelmützen, zum Theil auch gar
keine Kopfbedeckung. Die vornehmen Bürger bedecken den Kopf mit Pelzmützen
und tragen Röcke von Hausleinwand.
Grenzbote». III. Z850. 3
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