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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Die Deputation dagegen achtete diese Beweise geringer als die Ueberzeu-
gung, daß man den Sohn eines Revolutionärs nicht in den Rechten seines Va¬
ters verbleiben lassen müsse; das alte Document wurde als ein "unlesbarer Zettel"
für uugiltig erklärt und ging in der Hand der Deputation verloren; die Frau von D.
konnte nicht wieder in Besitz desselben gelangen. Der Nachweis dagegen von dem
Besitze eines Dorfes wurde für nichtssagend erklärt, denn nicht Besitzungen ge¬
habt zu haben, sondern Besitzungen noch zu haben, gehöre zur Legitimation des
Adels. Die Deputation hatte, wie bei vielen andern Familien, bösen Willen,
und da war alles Vorlegen von Taus-, Trau- und Sterbezcugnisseu, welche
ausdrücklich in der Verordnung zu den giltigen Beweismitteln gezählt waren,
umsonst. Die Familie D. wurde in die Heer- und steuerpflichtigen Staude ein-
registrirt und eine Protestation der Frau vou D. beim Gouverneur blieb ohne
Erfolg, zwei Briefe unbeantwortet.

Diese Behandlung mußte natürlich die Familie empören. Solche Neuße-
rnngcn eines empörten Gefühls mochte der noch nicht vierzehn Jahr alte Sohn
der Frau von D. aufgefangen haben. Der dritte Lehrer des Gymnasiums, ein
um seiner Karriere willen dem russischen Gubernium ergebener Mensch, fand in
dem russischen Schreibebuch des Knaben ans die innere Seite des Umschlags die
Worte geschrieben: "man muß sich neue Adelsdiplome mit moskowitischem Blute
schreiben."

Der Lehrer nahm das Schreibebuch in Beschlag und überlieferte es der Po¬
lizeibehörde. Der Knabe wurde noch an demselben Tage aus dem Hause seiner
Mutter geholt und in ein Pvlizeigefänguiß geführt. Ju dem Verhör, an wel¬
chem der Rector des Gymnasiums als Beisitzer Theil nahm, gestand der Knabe
ohne Zagen, daß er selbst die Worte geschrieben habe, dagegen bestritt er mit
einer fast über sein Alter gehenden Energie, sie von irgend Jemandem vernom¬
men zu haben.

So wurde er als der Urheber des Verbrechens behandelt, blieb mehre Mo-
uate im Gefängnis) und wurde zur Erziehung in einer Militärschule 'im Innern
Rußlands designirt. Diese Militärschuleu sind keineswegs zur Bildung brauch¬
barer Offiziere bestimmt und durchaus uicht mit den Academien des Heeres zu
verwechseln. In diesen nur werden die Offiziere gebildet und nur adlige Jüng¬
linge aufgenommen. Die sogenannten Militärschulen, deren Zahl ziemlich groß
ist, siud nur dem gemeinen Soldatenstande gewidmet und werden unter gewissen
Verhältnissen als Strafanstalt für Kinder betrachtet.

Vergebens suchte die Frau von D. um Milderung des Urtels nach; ihre letzte
Bitte wurde endlich erhört, daß der Sohn, wenn das Urtel nicht augenblicklich
vollzogen werde, bis dahin noch den Schulunterricht genießen dürfe. Die Be¬
hörde entschloß sich nicht, einen so schweren Verbrecher dem Schnlcarcer anzu¬
vertrauen, und Frau von D. mußte sich entschließen, einen Kosaken, als tägliche


Die Deputation dagegen achtete diese Beweise geringer als die Ueberzeu-
gung, daß man den Sohn eines Revolutionärs nicht in den Rechten seines Va¬
ters verbleiben lassen müsse; das alte Document wurde als ein „unlesbarer Zettel"
für uugiltig erklärt und ging in der Hand der Deputation verloren; die Frau von D.
konnte nicht wieder in Besitz desselben gelangen. Der Nachweis dagegen von dem
Besitze eines Dorfes wurde für nichtssagend erklärt, denn nicht Besitzungen ge¬
habt zu haben, sondern Besitzungen noch zu haben, gehöre zur Legitimation des
Adels. Die Deputation hatte, wie bei vielen andern Familien, bösen Willen,
und da war alles Vorlegen von Taus-, Trau- und Sterbezcugnisseu, welche
ausdrücklich in der Verordnung zu den giltigen Beweismitteln gezählt waren,
umsonst. Die Familie D. wurde in die Heer- und steuerpflichtigen Staude ein-
registrirt und eine Protestation der Frau vou D. beim Gouverneur blieb ohne
Erfolg, zwei Briefe unbeantwortet.

Diese Behandlung mußte natürlich die Familie empören. Solche Neuße-
rnngcn eines empörten Gefühls mochte der noch nicht vierzehn Jahr alte Sohn
der Frau von D. aufgefangen haben. Der dritte Lehrer des Gymnasiums, ein
um seiner Karriere willen dem russischen Gubernium ergebener Mensch, fand in
dem russischen Schreibebuch des Knaben ans die innere Seite des Umschlags die
Worte geschrieben: „man muß sich neue Adelsdiplome mit moskowitischem Blute
schreiben."

Der Lehrer nahm das Schreibebuch in Beschlag und überlieferte es der Po¬
lizeibehörde. Der Knabe wurde noch an demselben Tage aus dem Hause seiner
Mutter geholt und in ein Pvlizeigefänguiß geführt. Ju dem Verhör, an wel¬
chem der Rector des Gymnasiums als Beisitzer Theil nahm, gestand der Knabe
ohne Zagen, daß er selbst die Worte geschrieben habe, dagegen bestritt er mit
einer fast über sein Alter gehenden Energie, sie von irgend Jemandem vernom¬
men zu haben.

So wurde er als der Urheber des Verbrechens behandelt, blieb mehre Mo-
uate im Gefängnis) und wurde zur Erziehung in einer Militärschule 'im Innern
Rußlands designirt. Diese Militärschuleu sind keineswegs zur Bildung brauch¬
barer Offiziere bestimmt und durchaus uicht mit den Academien des Heeres zu
verwechseln. In diesen nur werden die Offiziere gebildet und nur adlige Jüng¬
linge aufgenommen. Die sogenannten Militärschulen, deren Zahl ziemlich groß
ist, siud nur dem gemeinen Soldatenstande gewidmet und werden unter gewissen
Verhältnissen als Strafanstalt für Kinder betrachtet.

Vergebens suchte die Frau von D. um Milderung des Urtels nach; ihre letzte
Bitte wurde endlich erhört, daß der Sohn, wenn das Urtel nicht augenblicklich
vollzogen werde, bis dahin noch den Schulunterricht genießen dürfe. Die Be¬
hörde entschloß sich nicht, einen so schweren Verbrecher dem Schnlcarcer anzu¬
vertrauen, und Frau von D. mußte sich entschließen, einen Kosaken, als tägliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/22>, abgerufen am 27.07.2024.