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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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ans die engsten und schlechtesten Räumlichkeiten beschränken. Sein ganzer Wirth-
schaftöbetrieb wird gehindert, sein Vieh verdirbt ihm, das Gesinde, das nicht ge¬
hörig beaufsichtigt werden kann, wird arbeitsscheu und liederlich, kurz Alles muß
nothwendig deu Krebsgang gehen. Selbst die reichlichste Bezahlung vermöchte den
Schaden nicht zu ersetzen, den aus die Länge diese starke Einquartierung den Ge¬
meinden wie den einzelnen Familien zufügt; dabei ist aber die Vergütung uur sehr
spärlich und beträgt inclusivs des Bcodcö oirea 10 Kreuzer per Tag für den ge¬
wöhnlichen Soldaten, welches Geld noch dazu in Papier ausgezahlt wird. Da¬
für ist es aber dem Bauern und Bürger ganz unmöglich, den Soldaten zu er¬
nähren, und er muß aus seiner eigenen Tasche bedeutend noch zulegen. So ver¬
armen dieselben immer mehr und mehr, müssen immer größere Schuldsummen auf
ihre Häuser und Grundstücke eintragen, ja fallen oft schon dem Wucher in die
Hände, der natürlich nicht säumt, jetzt eine reiche Ernte zu halten. Dauern diese
Uebelstände uur noch einige Jahre fort, so ist, mit sehr geringen Ausnahmen, der
ganze Bauernstand in Tyrol, und bei dem Mangel größerer Städte besteht die
Kraft des Landes sast ausschließlich in diesem, gänzlich ruinirt und an den Bet¬
telstab gebracht. Schon jetzt hat derselbe einen Stoß erhalten, von dem er in
langer Zeit sich nicht wieder erholen wird, wie denn überhaupt die völligste Ar-
muth und mit ihr die Bettelei und Unsicherheit des Eigenthumes ans furchtbar
schnelle Weise überhand nimmt.

Aber nicht allein der materielle Wohlstand wird gefährdet, anch die Sittlich¬
keit geht zu Grunde. Diese Menge unbeschäftigter, in die kleinsten Dörfer, ja
selbst abgelegensten Gcbirgshüttcn gebannter Officiere und Soldaten ist oft der
Plage der ärgsten Langeweile Preis gegeben. So wenden sie denn vielfach die
überflüssige Zeit dazu an, dem weiblichen Geschlechte seine Gunstbezcignngen ab¬
zugewinnen, und scheuen dabei kein Mittel. Dies hat aber den inneren Frieden
unzähliger Familien sür immer gestört. Die Zahl der unehelichen Geburten hat
ungemein zugenommen, ebenso wie auch vielfache Trennungen schon stattgefunden
haben. Blutige Schlägereien zwischen den Soldaten und Bauerburschen gehören
zu deu gewöhnlichen Dingen und gar oft. trieb schon wohlbegründete Eisersucht
einen Gatten oder Bräutigam, sich an dem Verführer zu rächen. Von Seiten
der obersten Militärbehörden werden derlei Vergehen der Soldaten und Officiere
sehr milde gerügt, und so streng, ja selbst oft grausam die östreichische Militär-
discipliu im Dienst ist, so nachsichtig ist man bei allen Vergehe", die gegen das
Civil begangen werden. Oestreichische Officiere nehmen oft einen Ton an, wie
er im übrigen Deutschland gar uicht mehr vorkommen, könnte. So lange man in
Oestreich von dem Officier, anßer bei der Artillerie, weiter keine Prüfung, als
daß er schreiben und lesen kann, fordert, der Regimentsinhaber aber ohne Weite¬
res Jeden als Officier in seinem Regimente anzustellen berechtigt ist, Protection
und vornehmer Name ein vorzugsweiö rasches Avancement bedinge", wird es nicht


ans die engsten und schlechtesten Räumlichkeiten beschränken. Sein ganzer Wirth-
schaftöbetrieb wird gehindert, sein Vieh verdirbt ihm, das Gesinde, das nicht ge¬
hörig beaufsichtigt werden kann, wird arbeitsscheu und liederlich, kurz Alles muß
nothwendig deu Krebsgang gehen. Selbst die reichlichste Bezahlung vermöchte den
Schaden nicht zu ersetzen, den aus die Länge diese starke Einquartierung den Ge¬
meinden wie den einzelnen Familien zufügt; dabei ist aber die Vergütung uur sehr
spärlich und beträgt inclusivs des Bcodcö oirea 10 Kreuzer per Tag für den ge¬
wöhnlichen Soldaten, welches Geld noch dazu in Papier ausgezahlt wird. Da¬
für ist es aber dem Bauern und Bürger ganz unmöglich, den Soldaten zu er¬
nähren, und er muß aus seiner eigenen Tasche bedeutend noch zulegen. So ver¬
armen dieselben immer mehr und mehr, müssen immer größere Schuldsummen auf
ihre Häuser und Grundstücke eintragen, ja fallen oft schon dem Wucher in die
Hände, der natürlich nicht säumt, jetzt eine reiche Ernte zu halten. Dauern diese
Uebelstände uur noch einige Jahre fort, so ist, mit sehr geringen Ausnahmen, der
ganze Bauernstand in Tyrol, und bei dem Mangel größerer Städte besteht die
Kraft des Landes sast ausschließlich in diesem, gänzlich ruinirt und an den Bet¬
telstab gebracht. Schon jetzt hat derselbe einen Stoß erhalten, von dem er in
langer Zeit sich nicht wieder erholen wird, wie denn überhaupt die völligste Ar-
muth und mit ihr die Bettelei und Unsicherheit des Eigenthumes ans furchtbar
schnelle Weise überhand nimmt.

Aber nicht allein der materielle Wohlstand wird gefährdet, anch die Sittlich¬
keit geht zu Grunde. Diese Menge unbeschäftigter, in die kleinsten Dörfer, ja
selbst abgelegensten Gcbirgshüttcn gebannter Officiere und Soldaten ist oft der
Plage der ärgsten Langeweile Preis gegeben. So wenden sie denn vielfach die
überflüssige Zeit dazu an, dem weiblichen Geschlechte seine Gunstbezcignngen ab¬
zugewinnen, und scheuen dabei kein Mittel. Dies hat aber den inneren Frieden
unzähliger Familien sür immer gestört. Die Zahl der unehelichen Geburten hat
ungemein zugenommen, ebenso wie auch vielfache Trennungen schon stattgefunden
haben. Blutige Schlägereien zwischen den Soldaten und Bauerburschen gehören
zu deu gewöhnlichen Dingen und gar oft. trieb schon wohlbegründete Eisersucht
einen Gatten oder Bräutigam, sich an dem Verführer zu rächen. Von Seiten
der obersten Militärbehörden werden derlei Vergehen der Soldaten und Officiere
sehr milde gerügt, und so streng, ja selbst oft grausam die östreichische Militär-
discipliu im Dienst ist, so nachsichtig ist man bei allen Vergehe», die gegen das
Civil begangen werden. Oestreichische Officiere nehmen oft einen Ton an, wie
er im übrigen Deutschland gar uicht mehr vorkommen, könnte. So lange man in
Oestreich von dem Officier, anßer bei der Artillerie, weiter keine Prüfung, als
daß er schreiben und lesen kann, fordert, der Regimentsinhaber aber ohne Weite¬
res Jeden als Officier in seinem Regimente anzustellen berechtigt ist, Protection
und vornehmer Name ein vorzugsweiö rasches Avancement bedinge», wird es nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/196>, abgerufen am 27.07.2024.