Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Entwürfe Preußens auf dem Wiener Kongreß beabsichtigten einen Bundesstaat,
aber weder dort noch hier war von deutschem Parlament die Rede. Wenn die
Souveränetät nicht bei den Einzelstaaten, sondern bei der Centralgewalt ist, möge
dieselbe nun blos durch die Fürsten oder auch durch ein Volksparlament vertreten
sein, da ist Bundesstaat. Den Bundesstaat, wenn er nach den geschichtlich ent¬
wickelten Verhältnissen möglich ist, halte ich für einen höheren Zustand der Nation
als den bloßen Staatenbund. Dagegen habe ich vom Anbeginn bis zu
dieser Stunde die Unvereinbarkeit eines einheitlichen deutschen
Parlaments mit einer Vielheit monarchischer Regierungen behauptet.
Dennoch glaubte ich, durch die wiederholte Aufzeigung dessen genug gethan zu
haben und das Abbrechen des in Erfurt eingeleiteten Unternehmens nicht an¬
streben zu dürfen.

Denn für's erste erkenne ich, abgesehen von dem gemeinsamen Parlament,
das engere Bündniß zwischen Preußen und einem großen Theil der deutschen
Staaten als ein wahres Bedürfniß. Fürs andere betrachte ich das deutsche Par¬
lament wenigstens der Intention nach wie eine vollendete Thatsache, da sämmt-
Me Regierungen daran festhalten. Insbesondere geht der großdcntsche Plan,
zu welchem die Aushebung des preußischen UniouS-Unternehmens führen würde,
auch auf ein einheitliches Parlament, und wenn ich einen Bundesstaat mit tleindeiit-
schein Parlament für problematisch und für der Dauer unfähig erklärte, so scheint
mir ein Bundesstaat mit großdeutschem Parlament schlechthin und von vornherein
unmöglich. Deun Einheitlichkeit des Parlaments erfordert Einheitlichkeit des
Oberhaupts, Grvßdeutschland hat aber von Natur zwei Oberhäupter, deu König
von Preußen und den Kaiser von Oestreich. Welch eine Unnatur, daß zwei
Fürsten oder gar ein Direktorium einem modernen Parlamente gegenüber das
Ministerium besetzen und mit ihm zusammcuhandeln. Sagte die großdeutschc
Partei, es ist unmöglich, daß Deutschland als Ganzes ein constitutioneller Staat
werde, man gebe das Parlament ans, so wäre das ein ehrlicher und klarer Ge¬
danke und der vielleicht die Zukunft für sich hat; aber da sie eben so gut als die
Paulskirche Deutschland im Ganzen zum constitutionellen Staat machen will, darf
sie ihm nicht einen vielköpfigen constitutionellen König setzen. Darum konnte ich
mich nicht berufen finden, dem Unionswerke als solchem entgegenzuwirken und
damit Preußen und seine Verbündeten den Staaten, die deu großdeutschc" Plan
verfolge", zu überliefern. Wenn soviel über das Unrecht geschrieen wird, Oestreich
ans Deutschland zu verdrängen -- was ich in keiner Weise anstrebe -- so ist es
doch wohl kein geringeres Unrecht, Preußen in ihm selbst zu vernichten. Preußen
aber ist vernichtet, wenn es einem Direktorium und großdeutschen Parlament ein¬
verleibt wird, während Oestreich wegen der Heterogenität seiner Elemente sich anch
bei der gleichen rechtlichen Einverleibung dennoch tatsächlich unabhängig erhalten
würde.


Entwürfe Preußens auf dem Wiener Kongreß beabsichtigten einen Bundesstaat,
aber weder dort noch hier war von deutschem Parlament die Rede. Wenn die
Souveränetät nicht bei den Einzelstaaten, sondern bei der Centralgewalt ist, möge
dieselbe nun blos durch die Fürsten oder auch durch ein Volksparlament vertreten
sein, da ist Bundesstaat. Den Bundesstaat, wenn er nach den geschichtlich ent¬
wickelten Verhältnissen möglich ist, halte ich für einen höheren Zustand der Nation
als den bloßen Staatenbund. Dagegen habe ich vom Anbeginn bis zu
dieser Stunde die Unvereinbarkeit eines einheitlichen deutschen
Parlaments mit einer Vielheit monarchischer Regierungen behauptet.
Dennoch glaubte ich, durch die wiederholte Aufzeigung dessen genug gethan zu
haben und das Abbrechen des in Erfurt eingeleiteten Unternehmens nicht an¬
streben zu dürfen.

Denn für's erste erkenne ich, abgesehen von dem gemeinsamen Parlament,
das engere Bündniß zwischen Preußen und einem großen Theil der deutschen
Staaten als ein wahres Bedürfniß. Fürs andere betrachte ich das deutsche Par¬
lament wenigstens der Intention nach wie eine vollendete Thatsache, da sämmt-
Me Regierungen daran festhalten. Insbesondere geht der großdcntsche Plan,
zu welchem die Aushebung des preußischen UniouS-Unternehmens führen würde,
auch auf ein einheitliches Parlament, und wenn ich einen Bundesstaat mit tleindeiit-
schein Parlament für problematisch und für der Dauer unfähig erklärte, so scheint
mir ein Bundesstaat mit großdeutschem Parlament schlechthin und von vornherein
unmöglich. Deun Einheitlichkeit des Parlaments erfordert Einheitlichkeit des
Oberhaupts, Grvßdeutschland hat aber von Natur zwei Oberhäupter, deu König
von Preußen und den Kaiser von Oestreich. Welch eine Unnatur, daß zwei
Fürsten oder gar ein Direktorium einem modernen Parlamente gegenüber das
Ministerium besetzen und mit ihm zusammcuhandeln. Sagte die großdeutschc
Partei, es ist unmöglich, daß Deutschland als Ganzes ein constitutioneller Staat
werde, man gebe das Parlament ans, so wäre das ein ehrlicher und klarer Ge¬
danke und der vielleicht die Zukunft für sich hat; aber da sie eben so gut als die
Paulskirche Deutschland im Ganzen zum constitutionellen Staat machen will, darf
sie ihm nicht einen vielköpfigen constitutionellen König setzen. Darum konnte ich
mich nicht berufen finden, dem Unionswerke als solchem entgegenzuwirken und
damit Preußen und seine Verbündeten den Staaten, die deu großdeutschc» Plan
verfolge», zu überliefern. Wenn soviel über das Unrecht geschrieen wird, Oestreich
ans Deutschland zu verdrängen — was ich in keiner Weise anstrebe — so ist es
doch wohl kein geringeres Unrecht, Preußen in ihm selbst zu vernichten. Preußen
aber ist vernichtet, wenn es einem Direktorium und großdeutschen Parlament ein¬
verleibt wird, während Oestreich wegen der Heterogenität seiner Elemente sich anch
bei der gleichen rechtlichen Einverleibung dennoch tatsächlich unabhängig erhalten
würde.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85763"/>
          <p xml:id="ID_607" prev="#ID_606"> Entwürfe Preußens auf dem Wiener Kongreß beabsichtigten einen Bundesstaat,<lb/>
aber weder dort noch hier war von deutschem Parlament die Rede. Wenn die<lb/>
Souveränetät nicht bei den Einzelstaaten, sondern bei der Centralgewalt ist, möge<lb/>
dieselbe nun blos durch die Fürsten oder auch durch ein Volksparlament vertreten<lb/>
sein, da ist Bundesstaat. Den Bundesstaat, wenn er nach den geschichtlich ent¬<lb/>
wickelten Verhältnissen möglich ist, halte ich für einen höheren Zustand der Nation<lb/>
als den bloßen Staatenbund. Dagegen habe ich vom Anbeginn bis zu<lb/>
dieser Stunde die Unvereinbarkeit eines einheitlichen deutschen<lb/>
Parlaments mit einer Vielheit monarchischer Regierungen behauptet.<lb/>
Dennoch glaubte ich, durch die wiederholte Aufzeigung dessen genug gethan zu<lb/>
haben und das Abbrechen des in Erfurt eingeleiteten Unternehmens nicht an¬<lb/>
streben zu dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_608"> Denn für's erste erkenne ich, abgesehen von dem gemeinsamen Parlament,<lb/>
das engere Bündniß zwischen Preußen und einem großen Theil der deutschen<lb/>
Staaten als ein wahres Bedürfniß. Fürs andere betrachte ich das deutsche Par¬<lb/>
lament wenigstens der Intention nach wie eine vollendete Thatsache, da sämmt-<lb/>
Me Regierungen daran festhalten. Insbesondere geht der großdcntsche Plan,<lb/>
zu welchem die Aushebung des preußischen UniouS-Unternehmens führen würde,<lb/>
auch auf ein einheitliches Parlament, und wenn ich einen Bundesstaat mit tleindeiit-<lb/>
schein Parlament für problematisch und für der Dauer unfähig erklärte, so scheint<lb/>
mir ein Bundesstaat mit großdeutschem Parlament schlechthin und von vornherein<lb/>
unmöglich. Deun Einheitlichkeit des Parlaments erfordert Einheitlichkeit des<lb/>
Oberhaupts, Grvßdeutschland hat aber von Natur zwei Oberhäupter, deu König<lb/>
von Preußen und den Kaiser von Oestreich. Welch eine Unnatur, daß zwei<lb/>
Fürsten oder gar ein Direktorium einem modernen Parlamente gegenüber das<lb/>
Ministerium besetzen und mit ihm zusammcuhandeln. Sagte die großdeutschc<lb/>
Partei, es ist unmöglich, daß Deutschland als Ganzes ein constitutioneller Staat<lb/>
werde, man gebe das Parlament ans, so wäre das ein ehrlicher und klarer Ge¬<lb/>
danke und der vielleicht die Zukunft für sich hat; aber da sie eben so gut als die<lb/>
Paulskirche Deutschland im Ganzen zum constitutionellen Staat machen will, darf<lb/>
sie ihm nicht einen vielköpfigen constitutionellen König setzen. Darum konnte ich<lb/>
mich nicht berufen finden, dem Unionswerke als solchem entgegenzuwirken und<lb/>
damit Preußen und seine Verbündeten den Staaten, die deu großdeutschc» Plan<lb/>
verfolge», zu überliefern. Wenn soviel über das Unrecht geschrieen wird, Oestreich<lb/>
ans Deutschland zu verdrängen &#x2014; was ich in keiner Weise anstrebe &#x2014; so ist es<lb/>
doch wohl kein geringeres Unrecht, Preußen in ihm selbst zu vernichten. Preußen<lb/>
aber ist vernichtet, wenn es einem Direktorium und großdeutschen Parlament ein¬<lb/>
verleibt wird, während Oestreich wegen der Heterogenität seiner Elemente sich anch<lb/>
bei der gleichen rechtlichen Einverleibung dennoch tatsächlich unabhängig erhalten<lb/>
würde.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] Entwürfe Preußens auf dem Wiener Kongreß beabsichtigten einen Bundesstaat, aber weder dort noch hier war von deutschem Parlament die Rede. Wenn die Souveränetät nicht bei den Einzelstaaten, sondern bei der Centralgewalt ist, möge dieselbe nun blos durch die Fürsten oder auch durch ein Volksparlament vertreten sein, da ist Bundesstaat. Den Bundesstaat, wenn er nach den geschichtlich ent¬ wickelten Verhältnissen möglich ist, halte ich für einen höheren Zustand der Nation als den bloßen Staatenbund. Dagegen habe ich vom Anbeginn bis zu dieser Stunde die Unvereinbarkeit eines einheitlichen deutschen Parlaments mit einer Vielheit monarchischer Regierungen behauptet. Dennoch glaubte ich, durch die wiederholte Aufzeigung dessen genug gethan zu haben und das Abbrechen des in Erfurt eingeleiteten Unternehmens nicht an¬ streben zu dürfen. Denn für's erste erkenne ich, abgesehen von dem gemeinsamen Parlament, das engere Bündniß zwischen Preußen und einem großen Theil der deutschen Staaten als ein wahres Bedürfniß. Fürs andere betrachte ich das deutsche Par¬ lament wenigstens der Intention nach wie eine vollendete Thatsache, da sämmt- Me Regierungen daran festhalten. Insbesondere geht der großdcntsche Plan, zu welchem die Aushebung des preußischen UniouS-Unternehmens führen würde, auch auf ein einheitliches Parlament, und wenn ich einen Bundesstaat mit tleindeiit- schein Parlament für problematisch und für der Dauer unfähig erklärte, so scheint mir ein Bundesstaat mit großdeutschem Parlament schlechthin und von vornherein unmöglich. Deun Einheitlichkeit des Parlaments erfordert Einheitlichkeit des Oberhaupts, Grvßdeutschland hat aber von Natur zwei Oberhäupter, deu König von Preußen und den Kaiser von Oestreich. Welch eine Unnatur, daß zwei Fürsten oder gar ein Direktorium einem modernen Parlamente gegenüber das Ministerium besetzen und mit ihm zusammcuhandeln. Sagte die großdeutschc Partei, es ist unmöglich, daß Deutschland als Ganzes ein constitutioneller Staat werde, man gebe das Parlament ans, so wäre das ein ehrlicher und klarer Ge¬ danke und der vielleicht die Zukunft für sich hat; aber da sie eben so gut als die Paulskirche Deutschland im Ganzen zum constitutionellen Staat machen will, darf sie ihm nicht einen vielköpfigen constitutionellen König setzen. Darum konnte ich mich nicht berufen finden, dem Unionswerke als solchem entgegenzuwirken und damit Preußen und seine Verbündeten den Staaten, die deu großdeutschc» Plan verfolge», zu überliefern. Wenn soviel über das Unrecht geschrieen wird, Oestreich ans Deutschland zu verdrängen — was ich in keiner Weise anstrebe — so ist es doch wohl kein geringeres Unrecht, Preußen in ihm selbst zu vernichten. Preußen aber ist vernichtet, wenn es einem Direktorium und großdeutschen Parlament ein¬ verleibt wird, während Oestreich wegen der Heterogenität seiner Elemente sich anch bei der gleichen rechtlichen Einverleibung dennoch tatsächlich unabhängig erhalten würde.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/180>, abgerufen am 01.09.2024.