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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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-- "Wenn die verbündeten Regierungen, heißt es, auch nicht berechtigt sind'
unbedingt und definitiv sich das freie Kriegsrecht und die Exekutive gegen Bundes¬
regierungen beizulegen, so steht es ihnen doch zu, eine Umwandlung des Buudes-
rechtö selbst zu fordern, nach der ihnen dasselbe gewährt werde, jedoch immer nur in
der Weise und dem Maaße, wie es mit der künstigen Fortexistenz und dem Zwecke
des weitem deutschen Bundes vereinbar ist, und sie siud auch damit in genügen¬
dem Maaße vereinbar. Den Anspruch auf eine solche Umwandlung können sie
ans den entschiedensten tatsächlichen und rechtlichen Vorgängen herleiten: ans der
Auflösung des Bundestages vom 12. Juli 1848, aus dem Zugeständniß eines
deutschen Parlaments, welches gerade zuerst die süddeutschen Staaten ihren Unter-
thanen eigenmächtig ohne Befragen des Bundes gaben und durch welches das
bisherige BuudcSwesen nothwendig zersprengt wurde, aus dem gleichfalls eigen¬
mächtigen Schritte, den Oestreich durch seine Verfassung vom 4. März 1849 be¬
ging. Nach allem diesem ist der bisherige Rechtszustand im Innersten erschüttert,
in alter Gestalt unhaltbar geworden, und neue Festsetzung nothwendig, und
daß bei dieser Festsetzung Rücksicht genommen werde auf die Bedürfnisse der
Unionsstaaten unter einander und gegenüber ihren Bevölkerungen -- Bedürfnisse
die so weit sie bestehen, gerade durch die Zugeständnisse und Verheißungen der
jetzt widersprechenden Regierungen selbst hervorgerufen wurden -- ist eine Forde¬
rung eben so sehr der Gerechtigkeit als der Billigkeit. -- Eben dahin gehört
anch die gemeinsame Vertretung der Unionsstaaten im weitem Bunde. Auch
diese kaun nicht von selbst eintreten und den andern Staaten aufgedrungen
werden; aber es können die Unionsstaaten fordern, daß bei der neuen Bun¬
desverfassung ihrem Verhältnis; Rechnung getragen werde, und es kann umgekehrt
auch ihnen nicht ein anderes Stimmenverhältniß nach irgend einem Gegenproject
aufgenöthigt werden. Desgleichen kann der Vorsitz Oestreichs nach rechtsgiltiger
Aushebung der Bundesversammlung uicht mehr in Anspruch genommen werden.

Die Vertreter der großdeutschen Ansicht argumentiren überall nur aus dem
Artikel 11 der Bundesakte, als wenn der alte Bund noch unversehrt in der Ge¬
stalt fortbestände wie vor 1848, und danach allerdings war die ganze Union eine
rechtliche Unmöglichkeit. Allein die Union leitet ihr Recht nicht blos aus Artikel 11,
sondern anch und hauptsächlich ans der allgemeinen Erschütterung des bundesrecht¬
lichen Zustandes her, der da ein Neues erheischt. Daß die Ausgleichung zwischen
diesen wohlbegründeten Forderungen der Unionsstaaten und der eben so gegrün¬
deten Forderung der uichtbeigetretenen Staaten auf Forterhaltung des Bundes für
das gesammte Deutschland nicht nach streng präcisirtem formellen Recht, sondern
nur nach innerer Gerechtigkeit bestimmt werden kann, ist einleuchtend."

Feuer die politische Seite der Frage: "Daist vor allem Bundesstaat und
einheitliches deutsches Parlament von einander zu unterscheiden, die man jetzt
beharrlich mit einander vermengt. Das deutsche Reich war ein Bundesstaat, die


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— „Wenn die verbündeten Regierungen, heißt es, auch nicht berechtigt sind'
unbedingt und definitiv sich das freie Kriegsrecht und die Exekutive gegen Bundes¬
regierungen beizulegen, so steht es ihnen doch zu, eine Umwandlung des Buudes-
rechtö selbst zu fordern, nach der ihnen dasselbe gewährt werde, jedoch immer nur in
der Weise und dem Maaße, wie es mit der künstigen Fortexistenz und dem Zwecke
des weitem deutschen Bundes vereinbar ist, und sie siud auch damit in genügen¬
dem Maaße vereinbar. Den Anspruch auf eine solche Umwandlung können sie
ans den entschiedensten tatsächlichen und rechtlichen Vorgängen herleiten: ans der
Auflösung des Bundestages vom 12. Juli 1848, aus dem Zugeständniß eines
deutschen Parlaments, welches gerade zuerst die süddeutschen Staaten ihren Unter-
thanen eigenmächtig ohne Befragen des Bundes gaben und durch welches das
bisherige BuudcSwesen nothwendig zersprengt wurde, aus dem gleichfalls eigen¬
mächtigen Schritte, den Oestreich durch seine Verfassung vom 4. März 1849 be¬
ging. Nach allem diesem ist der bisherige Rechtszustand im Innersten erschüttert,
in alter Gestalt unhaltbar geworden, und neue Festsetzung nothwendig, und
daß bei dieser Festsetzung Rücksicht genommen werde auf die Bedürfnisse der
Unionsstaaten unter einander und gegenüber ihren Bevölkerungen — Bedürfnisse
die so weit sie bestehen, gerade durch die Zugeständnisse und Verheißungen der
jetzt widersprechenden Regierungen selbst hervorgerufen wurden — ist eine Forde¬
rung eben so sehr der Gerechtigkeit als der Billigkeit. — Eben dahin gehört
anch die gemeinsame Vertretung der Unionsstaaten im weitem Bunde. Auch
diese kaun nicht von selbst eintreten und den andern Staaten aufgedrungen
werden; aber es können die Unionsstaaten fordern, daß bei der neuen Bun¬
desverfassung ihrem Verhältnis; Rechnung getragen werde, und es kann umgekehrt
auch ihnen nicht ein anderes Stimmenverhältniß nach irgend einem Gegenproject
aufgenöthigt werden. Desgleichen kann der Vorsitz Oestreichs nach rechtsgiltiger
Aushebung der Bundesversammlung uicht mehr in Anspruch genommen werden.

Die Vertreter der großdeutschen Ansicht argumentiren überall nur aus dem
Artikel 11 der Bundesakte, als wenn der alte Bund noch unversehrt in der Ge¬
stalt fortbestände wie vor 1848, und danach allerdings war die ganze Union eine
rechtliche Unmöglichkeit. Allein die Union leitet ihr Recht nicht blos aus Artikel 11,
sondern anch und hauptsächlich ans der allgemeinen Erschütterung des bundesrecht¬
lichen Zustandes her, der da ein Neues erheischt. Daß die Ausgleichung zwischen
diesen wohlbegründeten Forderungen der Unionsstaaten und der eben so gegrün¬
deten Forderung der uichtbeigetretenen Staaten auf Forterhaltung des Bundes für
das gesammte Deutschland nicht nach streng präcisirtem formellen Recht, sondern
nur nach innerer Gerechtigkeit bestimmt werden kann, ist einleuchtend."

Feuer die politische Seite der Frage: „Daist vor allem Bundesstaat und
einheitliches deutsches Parlament von einander zu unterscheiden, die man jetzt
beharrlich mit einander vermengt. Das deutsche Reich war ein Bundesstaat, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/179>, abgerufen am 27.07.2024.