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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Gerade die richtige Mitte, welche der preußische Vorschlag zwischen den lei¬
denschaftlichen Parteiwünschcn hält, macht ihn uiisrem Blatt höchst respectabel und
die besonnenen Männer beider Parteien werden ihm Anerkennung nicht ver¬
sagen können. Eine Staatsregierung hat am wenigsten das Recht, da mit
Theorien zu experimentiren, wo ein solches Experiment auch bei gutem Erfolge
Capitalien vou vielen Millionen ans einem Säckel plötzlich in den andern wirft,
und so groß der Gegensatz zwischen dem demokratischen Freihändler ist, welcher
den Staat als ein reactiouäres Institut von Privilegirten betrachtet, und zwischen
dem eingefleischter Schutzzöllner, welcher eine russische Zvllmauer für seine Fabrik
fordert, so können doch die verständigen und gemäßigten Männer aus beiden
Parteien, der Freihändler sowohl, welcher einen allmäligen Uebergang von
dem gegenwärtigen Zustand zur unbedingten Handelsfreiheit ersehnt und die Zölle
als Finanzquelle, aber nicht als eine Beförderung des inländischen Wohlstandes
betrachtet, und wieder der weitcrblickende Schutzzöllner, welcher den Wohlstand
des Volkes durch solche Schutzzölle zu vergrößern hofft, welche allmälig kleiner
werden und endlich aufhören, sobald die einheimische Industrie festen Halt und Kraft
gewonnen hat; beide können sich über deu preußischen Entwurf die Hand reichen,
ohne ihren Prinzipien untreu zu werdeu. Denn auch der Freihändler kann sein
Prinzip darin anerkannt finden, und wird nur mit dem Grade der Energie und
Schnelligkeit unzufrieden sein, mit welcher das Lebeudigwerden desselben vorbe¬
reitet wird.

Unter den Persönlichkeiten des Berliner Kongresses waren Diergardt
aus Viersen, Daniel von der Heydt, der Bruder des Ministers, ans Elber¬
feld und Elbers aus Hagen die entschiedensten Schutzzöllner. Die ersten
Beiden sind sehr befähigt, namentlich Diergardt, der die industriellen Verhält¬
nisse besser, als jeder Andere kennt, den Beamten mit einer Zähigkeit entgegen¬
tritt, die unüberwindlich ist, und aus jedem Kampfe siegreich hervorgeht. Der
Mann hat immer ein ganzes Archiv auf und unter dem Tisch und tausend Briefe
in den Taschen. Es ist manches Komische in ihm. Wenn sich der lange Herr
langsam erhebt und immer größer wird, glaubt man, er werde endlich zur Decke
wachsen und sie emporheben. Er ist sehr reich und soll allein 500,000 Thlr.
in der preußischen Bank Antheil haben. Daniel von der Heydt zeichnet sich
durch eine höchst sorgsame Vorbereitung ans und durch eine glänzende Redegabe.
So oft der stattliche Mann, das Gesicht fest aus den Gegner gewendet, in zier¬
licher aber lebendiger Rede erwiederte oder angriff, machte es eine gute Wirkung.

Nahm und Sturm aus Stettin und Kruse aus Stralsund waren die
thätigsten Verfechter des Freihandels, mit ihnen stimmten Goullou aus Königsberg,
Gibson ans Danzig, Treppmacher aus Posen und zwei Preußen, welche später
ankamen. Nahm und Sturm machten des Prinzips wegen dauernd Anträge, von
denen sie im Voraus wußten, daß sie durchfallen würden. Ihre Reden waren stets mit


Gerade die richtige Mitte, welche der preußische Vorschlag zwischen den lei¬
denschaftlichen Parteiwünschcn hält, macht ihn uiisrem Blatt höchst respectabel und
die besonnenen Männer beider Parteien werden ihm Anerkennung nicht ver¬
sagen können. Eine Staatsregierung hat am wenigsten das Recht, da mit
Theorien zu experimentiren, wo ein solches Experiment auch bei gutem Erfolge
Capitalien vou vielen Millionen ans einem Säckel plötzlich in den andern wirft,
und so groß der Gegensatz zwischen dem demokratischen Freihändler ist, welcher
den Staat als ein reactiouäres Institut von Privilegirten betrachtet, und zwischen
dem eingefleischter Schutzzöllner, welcher eine russische Zvllmauer für seine Fabrik
fordert, so können doch die verständigen und gemäßigten Männer aus beiden
Parteien, der Freihändler sowohl, welcher einen allmäligen Uebergang von
dem gegenwärtigen Zustand zur unbedingten Handelsfreiheit ersehnt und die Zölle
als Finanzquelle, aber nicht als eine Beförderung des inländischen Wohlstandes
betrachtet, und wieder der weitcrblickende Schutzzöllner, welcher den Wohlstand
des Volkes durch solche Schutzzölle zu vergrößern hofft, welche allmälig kleiner
werden und endlich aufhören, sobald die einheimische Industrie festen Halt und Kraft
gewonnen hat; beide können sich über deu preußischen Entwurf die Hand reichen,
ohne ihren Prinzipien untreu zu werdeu. Denn auch der Freihändler kann sein
Prinzip darin anerkannt finden, und wird nur mit dem Grade der Energie und
Schnelligkeit unzufrieden sein, mit welcher das Lebeudigwerden desselben vorbe¬
reitet wird.

Unter den Persönlichkeiten des Berliner Kongresses waren Diergardt
aus Viersen, Daniel von der Heydt, der Bruder des Ministers, ans Elber¬
feld und Elbers aus Hagen die entschiedensten Schutzzöllner. Die ersten
Beiden sind sehr befähigt, namentlich Diergardt, der die industriellen Verhält¬
nisse besser, als jeder Andere kennt, den Beamten mit einer Zähigkeit entgegen¬
tritt, die unüberwindlich ist, und aus jedem Kampfe siegreich hervorgeht. Der
Mann hat immer ein ganzes Archiv auf und unter dem Tisch und tausend Briefe
in den Taschen. Es ist manches Komische in ihm. Wenn sich der lange Herr
langsam erhebt und immer größer wird, glaubt man, er werde endlich zur Decke
wachsen und sie emporheben. Er ist sehr reich und soll allein 500,000 Thlr.
in der preußischen Bank Antheil haben. Daniel von der Heydt zeichnet sich
durch eine höchst sorgsame Vorbereitung ans und durch eine glänzende Redegabe.
So oft der stattliche Mann, das Gesicht fest aus den Gegner gewendet, in zier¬
licher aber lebendiger Rede erwiederte oder angriff, machte es eine gute Wirkung.

Nahm und Sturm aus Stettin und Kruse aus Stralsund waren die
thätigsten Verfechter des Freihandels, mit ihnen stimmten Goullou aus Königsberg,
Gibson ans Danzig, Treppmacher aus Posen und zwei Preußen, welche später
ankamen. Nahm und Sturm machten des Prinzips wegen dauernd Anträge, von
denen sie im Voraus wußten, daß sie durchfallen würden. Ihre Reden waren stets mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/13>, abgerufen am 27.07.2024.