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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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stacheligen, oft beleidigenden Ausfällen gegen die Schutzzöllner und die Organe der
Regierung gemengt und sie gaben sich häusig Blößen. Kruse ist ein heftiger alter
Herr, der nur mit zornfunkelndem Augen und geballter Faust, dabei aber gar nicht
schlecht spricht. Von den Uebrigen waren Scheel ans Lissa und Baum aus
Nawicz brave, aber nicht sehr hervortretende Männer. Conrad aus Berlin war
gut, Bau boum aus Berlin unklar, Kupfer aus Berlin Schutzzöllner für alle In¬
dustrie-Branchen, ausgenommen Rübenzucker (er ist Director einer indischen Zucker¬
fabrik) und Eisen. Deu Grund seines speciellen Hasses gegen schlesisches Eisen
haben die Grenzboten nicht ermitteln können. Reichen heim aus Berlin, ein
starker Egoist, der nur im eigenen Interesse spricht und stimmt. Milde's be¬
kannte Persönlichkeit wirkte sehr gut, er vermittelte, und zeigte eine liebenswür¬
dige diplomatische Gewandtheit, die ihn nur da verließ, wo er über die Stellung
der Ostseeprovinzen sprach. Th. Molinari, ebendaher, ein klarer sehr tüchtiger
Mann von großen Kenntnissen mit einem Feuergeist und vou höchst uneigen¬
nützigen Patriotismus, war eine der interessantesten Gestalten unter diesen Nota-
bilitäten der preußischen Handelswelt. Von Kopf bis zum Fuß ein englischer
Gentleman, immer sicher, überzeugend, und mit Wohlwollen Freund und Gegner
übersehend, übten großen Einfluß auf seine Partei ans. v. Söbbeke ans Breslau
war unbedeutend, Alberti aus Waldenburg, in der Lciucubrauche die erste
Autorität, verdarb sich Alles mit seinem wirren Pathos und sprach oder schrieb
in nie gehörten fremden Ausdrücken und Wendungen. Deneke ans Magdeburg
und Jacob aus Halle, brav und tüchtig, bedenklich und vorsichtig, als ächte
Sachsen. Knnkell ans Dingelstedt, ohne die Politur, welche auch der Tüch¬
tigkeit Wünschenwerth ist, um ihr Geltung zu verschaffen. Lucius ans Erfurt,
höchst ehremverth, wohlwollend, von regem Eifer für das allgemeine Beste
beseelt und vom eigenen Interesse absehend, war in der Zeit des allwaltenden
Egoismus eine sehr erfreuliche Erscheinung. Brandt aus Vlotho, noch sehr
jung und ohne Routine, aber nicht ohne Kern, Bolenins aus Bielefeld, recht
tüchtig, aber im kleinen Kreise wirkend, über den er nicht hinwegsehen kann;
Klein ans Siegen, zu schüchtern, um sich geltend zu machen. Laugen, Präsi¬
dent der Kölner Handelskammer, ein tüchtiger Geschäftsmann, aber nicht so ge¬
wandt wie seine Freunde wünschen; van Gülpen, bedächtig, wie ein alter ehren-
werther Franzose, starb leider, in Folge einer Erkältung, in Berlin.

Der Minister zeigte sich unterrichtet und tüchtig, in einigen Fällen aber war
er verletzend grob. Der Referent, Geheime Regierungsrath Delbrück war in
allem Detail außerordentlich unterrichtet, wie man selten bei einem Beamten fin¬
det, und entwickelte in besonnener Rede immer schlagende Gründe. Er wird eine
nationalökonomische Autorität für Preußen werden und wir können uns zu einem
solchen Talent in unsrer Beamtenwelt Glück wünschen. Der Unterstaats-Secre-


stacheligen, oft beleidigenden Ausfällen gegen die Schutzzöllner und die Organe der
Regierung gemengt und sie gaben sich häusig Blößen. Kruse ist ein heftiger alter
Herr, der nur mit zornfunkelndem Augen und geballter Faust, dabei aber gar nicht
schlecht spricht. Von den Uebrigen waren Scheel ans Lissa und Baum aus
Nawicz brave, aber nicht sehr hervortretende Männer. Conrad aus Berlin war
gut, Bau boum aus Berlin unklar, Kupfer aus Berlin Schutzzöllner für alle In¬
dustrie-Branchen, ausgenommen Rübenzucker (er ist Director einer indischen Zucker¬
fabrik) und Eisen. Deu Grund seines speciellen Hasses gegen schlesisches Eisen
haben die Grenzboten nicht ermitteln können. Reichen heim aus Berlin, ein
starker Egoist, der nur im eigenen Interesse spricht und stimmt. Milde's be¬
kannte Persönlichkeit wirkte sehr gut, er vermittelte, und zeigte eine liebenswür¬
dige diplomatische Gewandtheit, die ihn nur da verließ, wo er über die Stellung
der Ostseeprovinzen sprach. Th. Molinari, ebendaher, ein klarer sehr tüchtiger
Mann von großen Kenntnissen mit einem Feuergeist und vou höchst uneigen¬
nützigen Patriotismus, war eine der interessantesten Gestalten unter diesen Nota-
bilitäten der preußischen Handelswelt. Von Kopf bis zum Fuß ein englischer
Gentleman, immer sicher, überzeugend, und mit Wohlwollen Freund und Gegner
übersehend, übten großen Einfluß auf seine Partei ans. v. Söbbeke ans Breslau
war unbedeutend, Alberti aus Waldenburg, in der Lciucubrauche die erste
Autorität, verdarb sich Alles mit seinem wirren Pathos und sprach oder schrieb
in nie gehörten fremden Ausdrücken und Wendungen. Deneke ans Magdeburg
und Jacob aus Halle, brav und tüchtig, bedenklich und vorsichtig, als ächte
Sachsen. Knnkell ans Dingelstedt, ohne die Politur, welche auch der Tüch¬
tigkeit Wünschenwerth ist, um ihr Geltung zu verschaffen. Lucius ans Erfurt,
höchst ehremverth, wohlwollend, von regem Eifer für das allgemeine Beste
beseelt und vom eigenen Interesse absehend, war in der Zeit des allwaltenden
Egoismus eine sehr erfreuliche Erscheinung. Brandt aus Vlotho, noch sehr
jung und ohne Routine, aber nicht ohne Kern, Bolenins aus Bielefeld, recht
tüchtig, aber im kleinen Kreise wirkend, über den er nicht hinwegsehen kann;
Klein ans Siegen, zu schüchtern, um sich geltend zu machen. Laugen, Präsi¬
dent der Kölner Handelskammer, ein tüchtiger Geschäftsmann, aber nicht so ge¬
wandt wie seine Freunde wünschen; van Gülpen, bedächtig, wie ein alter ehren-
werther Franzose, starb leider, in Folge einer Erkältung, in Berlin.

Der Minister zeigte sich unterrichtet und tüchtig, in einigen Fällen aber war
er verletzend grob. Der Referent, Geheime Regierungsrath Delbrück war in
allem Detail außerordentlich unterrichtet, wie man selten bei einem Beamten fin¬
det, und entwickelte in besonnener Rede immer schlagende Gründe. Er wird eine
nationalökonomische Autorität für Preußen werden und wir können uns zu einem
solchen Talent in unsrer Beamtenwelt Glück wünschen. Der Unterstaats-Secre-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/14>, abgerufen am 27.07.2024.