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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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durchkriecht, und an den Fuß einer steilen Felswand gelangt. Diese klettert er
auf einem unmöglichen Wege hinauf, nud findet oben einen Manu und einem
rothen und einem gelben Aermel. Er packt ihn mit den Worten: "königliche
Hoheit, Sie sind mein Gefangener, und müssen mir in den Tower folgen." --
Ans jenem Felsen ist das Schloß des weiblichen Blaubart, einer schönen jungen
Dame, die einem Abenteurer, der "in ihre Hand wirbt, ganz freundschaftlich-er¬
zählt, sie habe ihre drei Männer aus Caprice umgebracht, lebe mit drei Liebha¬
bern, einem Caraiben, einem Flibustier, und einem Buccauier in der wildesten
Lust, nud wünsche uoch mehr Männer, um sie gleichfalls auf eine raffinirte Weise
zu ermorden. Der eine habe sich drei Tage lang im Lachkrampf quälen müssen,
bis er starb; dem andern habe sie ein feines Gift über die Augen geschmiert, wo¬
von ihm dieselben in den Kopf zurückgetreten waren und ganz im Hintergrund
leuchteten wie Glühwürmchen. Bei ihren Orgien rief sie ihm zu: "Du Mann!
komm einmal her!" dann stellte er sich kerzengerade milde" in deu Saal, sie be¬
rührte seiue Augenlider, und augenblicklich traten seine Augen wie ein Paar
Lampen aus dem Kopf heraus, und erleuchteten den Saal, bis endlich der arme
Teufel unter großen Qualen den Geist aufgab. -- Das ist nämlich Alles gelogen;
die drei Mäuner sowie der Caraibe, der Flibustier nud der Buccauier sind nnr
Eine Person, nämlich der Herzog vou Monmouth, der Maun mit dem rothen und
dem gelben Nermel, der nicht, wie die Geschichte fälschlich berichtet, durch den
Henker Jacob's II. enthauptet worden ist, sondern mit seiner liebenden Gattin,
dem angeblichen Blaubart, nach der Insel Bourbon entkam, und jene Geschichte
nur erfand, um die Leute zu täuschen. -- Vou wahnsinnigen Erfindungen ähn¬
licher Art wimmeln sämmtliche Romane Eugen Sue'S; für den, der seine Myste¬
rien kennt, wird es genügen, wenn ich bemerke, daß in diesem Werk seiue Phan¬
tasie am maßvollsten gewaltet hat. -- Dabei verfällt er ans den ausschweifendsten
Bildern wieder in die alleruüchteruste Trivialität des gewöhnlichen Lebens, sein
Mansch liegt nicht, wie bei u"serm Hoffmann, in seiner Natur, er ist angekünstelt,
und hinterläßt bei seinem raschen Verfliegen sehr jämmerliche Nachwehen. -- Die
Schilderungen vou Greuelthaten und grausame" Empfiuduuge" gehe" von dem
Bedürfniß aus, die Seele in einer heftigen Bewegung darzustellen; nnr flüchtet
sich die Seele sogleich in's animalische, pathologische Gebiet; es kommt z. B.
mehrmals vor, wie die Brunst zu einem Krampf wird, einer besonderen Art
Krankheit, die, wenn sie Eugen Sue richtig schildert, sehr scheußlich sein muß.
-- Daher kommt es anch, daß bei der Analyse von Empfindungen die Bestie viel
besser wegkommt als der Mensch; Tiger, Hyänen u. s. w. werdeu zuweilen mit
vielem Glück in ihrer Wuth oder ihrer Brunst gezeigt; der Held der einen Novelle
ist ein Pferd von guter Race im Amt eiues BescheelerS.

In das Capitel der Keltischen Phantasie gehören auch die Anhäufungen
mechanischer Mittel, um fabelhafte Wirkungen zu erzielen, namentlich die Anhalt-


durchkriecht, und an den Fuß einer steilen Felswand gelangt. Diese klettert er
auf einem unmöglichen Wege hinauf, nud findet oben einen Manu und einem
rothen und einem gelben Aermel. Er packt ihn mit den Worten: „königliche
Hoheit, Sie sind mein Gefangener, und müssen mir in den Tower folgen." —
Ans jenem Felsen ist das Schloß des weiblichen Blaubart, einer schönen jungen
Dame, die einem Abenteurer, der »in ihre Hand wirbt, ganz freundschaftlich-er¬
zählt, sie habe ihre drei Männer aus Caprice umgebracht, lebe mit drei Liebha¬
bern, einem Caraiben, einem Flibustier, und einem Buccauier in der wildesten
Lust, nud wünsche uoch mehr Männer, um sie gleichfalls auf eine raffinirte Weise
zu ermorden. Der eine habe sich drei Tage lang im Lachkrampf quälen müssen,
bis er starb; dem andern habe sie ein feines Gift über die Augen geschmiert, wo¬
von ihm dieselben in den Kopf zurückgetreten waren und ganz im Hintergrund
leuchteten wie Glühwürmchen. Bei ihren Orgien rief sie ihm zu: „Du Mann!
komm einmal her!" dann stellte er sich kerzengerade milde» in deu Saal, sie be¬
rührte seiue Augenlider, und augenblicklich traten seine Augen wie ein Paar
Lampen aus dem Kopf heraus, und erleuchteten den Saal, bis endlich der arme
Teufel unter großen Qualen den Geist aufgab. — Das ist nämlich Alles gelogen;
die drei Mäuner sowie der Caraibe, der Flibustier nud der Buccauier sind nnr
Eine Person, nämlich der Herzog vou Monmouth, der Maun mit dem rothen und
dem gelben Nermel, der nicht, wie die Geschichte fälschlich berichtet, durch den
Henker Jacob's II. enthauptet worden ist, sondern mit seiner liebenden Gattin,
dem angeblichen Blaubart, nach der Insel Bourbon entkam, und jene Geschichte
nur erfand, um die Leute zu täuschen. — Vou wahnsinnigen Erfindungen ähn¬
licher Art wimmeln sämmtliche Romane Eugen Sue'S; für den, der seine Myste¬
rien kennt, wird es genügen, wenn ich bemerke, daß in diesem Werk seiue Phan¬
tasie am maßvollsten gewaltet hat. — Dabei verfällt er ans den ausschweifendsten
Bildern wieder in die alleruüchteruste Trivialität des gewöhnlichen Lebens, sein
Mansch liegt nicht, wie bei u»serm Hoffmann, in seiner Natur, er ist angekünstelt,
und hinterläßt bei seinem raschen Verfliegen sehr jämmerliche Nachwehen. — Die
Schilderungen vou Greuelthaten und grausame» Empfiuduuge» gehe» von dem
Bedürfniß aus, die Seele in einer heftigen Bewegung darzustellen; nnr flüchtet
sich die Seele sogleich in's animalische, pathologische Gebiet; es kommt z. B.
mehrmals vor, wie die Brunst zu einem Krampf wird, einer besonderen Art
Krankheit, die, wenn sie Eugen Sue richtig schildert, sehr scheußlich sein muß.
— Daher kommt es anch, daß bei der Analyse von Empfindungen die Bestie viel
besser wegkommt als der Mensch; Tiger, Hyänen u. s. w. werdeu zuweilen mit
vielem Glück in ihrer Wuth oder ihrer Brunst gezeigt; der Held der einen Novelle
ist ein Pferd von guter Race im Amt eiues BescheelerS.

In das Capitel der Keltischen Phantasie gehören auch die Anhäufungen
mechanischer Mittel, um fabelhafte Wirkungen zu erzielen, namentlich die Anhalt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/92>, abgerufen am 22.07.2024.