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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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sungen von Capital oder die Association. Bösewichter, die Tausende von Millio¬
nen zur Verfügung haben, sind eine der Liebliugsfigureil unseres Dichters. Die
Guten haben dann nichts besseres zu thun, als Capital mit Capital zu bekämpfen.
-- Auch das phantastische Beiwerk, welches zu der sonstigen Nüchternheit i" keiner
Weise stimmen will, und in der Regel zu irgend einer sentimentalen Wendung
benutzt wird, fällt in diese" Register. Z. B. seiue Schilderung der jesuitischen
Greuelthaten hat er in den Nahme" des ewigen Juden eingekleidet, einer Figur,
die weder eine allegorische noch plastische Bedeutung hat; die sich zuweilen mit
der Cholera, zuweilen mit der leidenden Tugend identificirt. Cr hat dem ewigen
Juden eine ewige Jüdin beigegeben, die beim Aufgehe" des Vorhangs an beiden
Seiten der Beringsstraße stehn, nud sich dann trennen, der eine durch Sibirien
nach Europa, die andre nach Nordamerika. -- Gespenster werdeu seltener benutzt,
und wenn specifische Hexereien vorkommen, so ist es ungeschickt genügt

Die unnatürlichen Sprünge in den Begebenheiten, die Häufung von schauer¬
lichen und unmöglichen Ereignissen ist aber noch sehr unbedeutend, wenn man die
Bildung seiner Charaktere dagegen hält. Er hat darin die Poesie Victor Hugo's
auf ihren angemessenen, d. h. absolut sinnlichen Ausdruck zurückgeführt.

sende Charaktere siud überall, wo sie sich nicht in leere Trivialität verliere",
nur eines bestimmten Effects wegen da, und je nachdem dieser Effect nur einmal
oder wiederholt gebraucht wird, ist die Farbe schwächer oder stärker. Im letzter"
Fall soll die Widersittuigkeit der Combinationen durch die Wiederholung gerecht¬
fertigt werden. So weicht in "Arts ur," einem von Se. Beroe sehr empfohlenen
Roman, der Held in andern Beziehunge" von den gewöhnlichen Menschenkindern
nicht ab, nur daß er ein verstocktes Mißtrauen in sich trägt, welches bei der
unpassendsten Gelegenheit hervortritt und seine Stellung brouillirt. Er findet allent¬
halben die zärtlichste Liebe lind Freundschaft, weiß sie aber jedesmal durch einen
rohen Ausbruch jenes Mißtrauens aufzuheben. Das wiederholt sich ein sechs bis
siebenmal ans eine ziemlich einförmige Weise, bis endlich die Sache äußerlich,
durch einen in der Idee deö Ganzen nicht berechtigten Meuchelmord zu Ende ge¬
führt wird. Eine nach der Schablone gearbeitete Figur paßt für das Lustspiel,
wie der Geizige, der Tartüffe u. s. w., als Gegenstaud eines tragischen Schick¬
sals ist sie widerwärtig. Ich könnte sie in sämmtlichen Novellen nachweisen. Wo
die Combination nicht durch das ganze Stuck geht, wird sie dem Publieum mit
unerhörter Dreistigkeit in'S Gesicht geworfen. Irgend eine unerhörte, in der ge¬
wöhnlichen menschlichen Betrachtungsweise gar nicht denkbare Scheußlichkeit wird
von Jemand erzählt, und damit gut; wie mau sich das nun erklären soll, das
kümmert den Dichter nicht. In dieser willkürlichen Grausamkeit ist ihm nur
Ainsworth an die Seite zu stellen. -- Seine Sammlung vvnUngeheilernistilvch viel
reichhaltiger als bei Victor Hugo; von der saubern, in formaler Beziehung immer
sehr eleganten Behandlung dieses Dichters ist keine Rede, dagegen hält er sich


sungen von Capital oder die Association. Bösewichter, die Tausende von Millio¬
nen zur Verfügung haben, sind eine der Liebliugsfigureil unseres Dichters. Die
Guten haben dann nichts besseres zu thun, als Capital mit Capital zu bekämpfen.
— Auch das phantastische Beiwerk, welches zu der sonstigen Nüchternheit i» keiner
Weise stimmen will, und in der Regel zu irgend einer sentimentalen Wendung
benutzt wird, fällt in diese» Register. Z. B. seiue Schilderung der jesuitischen
Greuelthaten hat er in den Nahme» des ewigen Juden eingekleidet, einer Figur,
die weder eine allegorische noch plastische Bedeutung hat; die sich zuweilen mit
der Cholera, zuweilen mit der leidenden Tugend identificirt. Cr hat dem ewigen
Juden eine ewige Jüdin beigegeben, die beim Aufgehe» des Vorhangs an beiden
Seiten der Beringsstraße stehn, nud sich dann trennen, der eine durch Sibirien
nach Europa, die andre nach Nordamerika. — Gespenster werdeu seltener benutzt,
und wenn specifische Hexereien vorkommen, so ist es ungeschickt genügt

Die unnatürlichen Sprünge in den Begebenheiten, die Häufung von schauer¬
lichen und unmöglichen Ereignissen ist aber noch sehr unbedeutend, wenn man die
Bildung seiner Charaktere dagegen hält. Er hat darin die Poesie Victor Hugo's
auf ihren angemessenen, d. h. absolut sinnlichen Ausdruck zurückgeführt.

sende Charaktere siud überall, wo sie sich nicht in leere Trivialität verliere»,
nur eines bestimmten Effects wegen da, und je nachdem dieser Effect nur einmal
oder wiederholt gebraucht wird, ist die Farbe schwächer oder stärker. Im letzter»
Fall soll die Widersittuigkeit der Combinationen durch die Wiederholung gerecht¬
fertigt werden. So weicht in „Arts ur," einem von Se. Beroe sehr empfohlenen
Roman, der Held in andern Beziehunge» von den gewöhnlichen Menschenkindern
nicht ab, nur daß er ein verstocktes Mißtrauen in sich trägt, welches bei der
unpassendsten Gelegenheit hervortritt und seine Stellung brouillirt. Er findet allent¬
halben die zärtlichste Liebe lind Freundschaft, weiß sie aber jedesmal durch einen
rohen Ausbruch jenes Mißtrauens aufzuheben. Das wiederholt sich ein sechs bis
siebenmal ans eine ziemlich einförmige Weise, bis endlich die Sache äußerlich,
durch einen in der Idee deö Ganzen nicht berechtigten Meuchelmord zu Ende ge¬
führt wird. Eine nach der Schablone gearbeitete Figur paßt für das Lustspiel,
wie der Geizige, der Tartüffe u. s. w., als Gegenstaud eines tragischen Schick¬
sals ist sie widerwärtig. Ich könnte sie in sämmtlichen Novellen nachweisen. Wo
die Combination nicht durch das ganze Stuck geht, wird sie dem Publieum mit
unerhörter Dreistigkeit in'S Gesicht geworfen. Irgend eine unerhörte, in der ge¬
wöhnlichen menschlichen Betrachtungsweise gar nicht denkbare Scheußlichkeit wird
von Jemand erzählt, und damit gut; wie mau sich das nun erklären soll, das
kümmert den Dichter nicht. In dieser willkürlichen Grausamkeit ist ihm nur
Ainsworth an die Seite zu stellen. — Seine Sammlung vvnUngeheilernistilvch viel
reichhaltiger als bei Victor Hugo; von der saubern, in formaler Beziehung immer
sehr eleganten Behandlung dieses Dichters ist keine Rede, dagegen hält er sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/93>, abgerufen am 22.07.2024.