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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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alle Slavinnen Oberungarns. Wilder schreitet der slowakische Mann daher, er
trägt in der Gegend von Tyrnan bis Preßburg einen Hut, der sich von dem ty-
roler nur durch sehr schmale Krämpe unterscheidet; selbst die Verzierungen von
Charnier "ud bunten Bändern um den Kegel fehlen nicht. Der weiße Mantel
von filzartigem Gewebe, Halma, der an einem Stiemen um die Schultern gehängt
wird, hat oben einen breiten zurückgelegten Kragen, der in Wind und Regen als
Kapuze dient; das Halstuch verachtet er; ein mit rosenariigen weißen Knöpfen
verzierter Brustfleck von Cvttvn oder Damast, blaue, immer mit helleren Schmu--
ren ausgelegte Hosen und plumpgeformte, vorn breit endigende Stiefeln, boUi,
vervollständigen seinen Anzug. -- Jenseits der Karpathen aber, 'zwischen diesen
und der March, von Stampfen hinter Preßburg bis uach Skaliiz in der Nentraer
Gcspannschaft, wo die Slaven ganz unvermischt wohnen, verschwindet allmälig
das weiße grobe Halinatnch und macht dem blauen Stoffe Platz, der hier an der
Grenze von Mähren durch den Schmuggel leichter anzuschaffen ist. Die blautnchene
Jacke hat breite Metallknopfe, und der weiße enganliegende Schafpelz einen meist
blangefärbten Kragen aus einem ganzen Schaffell, dessen Schwanz und Füße bis
zum Gesäß des ehrenwerthen Trägers herunter baumeln. So sieht der March-
slave einem Huronenhäuptling ähnlicher, als billig ist.

Am Interessantesten hat sich das Leben der Slovaken in dem kleinen Bezirk
vou Miava, im gebirgigen Nordwesten der Nentraer Gespannschaft ausgebildet.
Dort wohnt der größte und kräftigste Menschenschlag, und wenn die Riesenleiber
aus den Bergschluchten hervortauchen, in ihr weißes Filztuch gehüllt, deu Kopf
mit dem magyarischen Schlapphnt bedeckt, so muß man glauben, die häßliche wüste
Gegend habe auch diese Necken mit langgestreckten Gliedern nud wildem Aussehn
hervorgebracht. Es ist kein Geschlecht, welches Reinlichkeit liebt, das lange ungc-
schnittenc Haar, das der MagVar so schön in Zöpfe zu flechten weiß und der
Slave um Tyrnan stets spiegelhell geglättet trägt, ist bei dem Miavaner wie ein
struppiger verwachsener Wald. Wie der Leib, so ist anch der Sinn dieser Slo¬
vaken unbändig, abenteuerlich und großer Anstrengungen bedürftig; sie siud stolz,
denn der größte Theil vou ihnen ist adelig, und wenn die rohen Gesellen nach
dem Comitathanse von Neutra zogen, so gaben sie nicht nur ihre Stimmen, son¬
dern auch Schläge und Verwundungen zum Besten. Sie siud in der großen
Mehrzahl lutherischer Confession. Ihr Glaube ist aber mehr geeignet, eiuen Thomas
Münzer, als einen Melanchthon hervorzutreiben. Der unfruchtbare Boden weist
die Miavaner in die Fremde, Arbeit zu suchen und tief unter im Ungarland be¬
gegnet man den Männern oft mit ihren Weibern und Mädchen, wie sie zur Lohn¬
arbeit wandern.

Aber selbst auf ihrem kleinen Gebiet finden sich seltsame Gegensätze in Art,
Sitte und Leben und charakteristisch stehen die beiden größten Städte des Bezirkes
Miava und Brezova einander gegenüber. Da diese Gegend es ist, in welcher


alle Slavinnen Oberungarns. Wilder schreitet der slowakische Mann daher, er
trägt in der Gegend von Tyrnan bis Preßburg einen Hut, der sich von dem ty-
roler nur durch sehr schmale Krämpe unterscheidet; selbst die Verzierungen von
Charnier »ud bunten Bändern um den Kegel fehlen nicht. Der weiße Mantel
von filzartigem Gewebe, Halma, der an einem Stiemen um die Schultern gehängt
wird, hat oben einen breiten zurückgelegten Kragen, der in Wind und Regen als
Kapuze dient; das Halstuch verachtet er; ein mit rosenariigen weißen Knöpfen
verzierter Brustfleck von Cvttvn oder Damast, blaue, immer mit helleren Schmu--
ren ausgelegte Hosen und plumpgeformte, vorn breit endigende Stiefeln, boUi,
vervollständigen seinen Anzug. — Jenseits der Karpathen aber, 'zwischen diesen
und der March, von Stampfen hinter Preßburg bis uach Skaliiz in der Nentraer
Gcspannschaft, wo die Slaven ganz unvermischt wohnen, verschwindet allmälig
das weiße grobe Halinatnch und macht dem blauen Stoffe Platz, der hier an der
Grenze von Mähren durch den Schmuggel leichter anzuschaffen ist. Die blautnchene
Jacke hat breite Metallknopfe, und der weiße enganliegende Schafpelz einen meist
blangefärbten Kragen aus einem ganzen Schaffell, dessen Schwanz und Füße bis
zum Gesäß des ehrenwerthen Trägers herunter baumeln. So sieht der March-
slave einem Huronenhäuptling ähnlicher, als billig ist.

Am Interessantesten hat sich das Leben der Slovaken in dem kleinen Bezirk
vou Miava, im gebirgigen Nordwesten der Nentraer Gespannschaft ausgebildet.
Dort wohnt der größte und kräftigste Menschenschlag, und wenn die Riesenleiber
aus den Bergschluchten hervortauchen, in ihr weißes Filztuch gehüllt, deu Kopf
mit dem magyarischen Schlapphnt bedeckt, so muß man glauben, die häßliche wüste
Gegend habe auch diese Necken mit langgestreckten Gliedern nud wildem Aussehn
hervorgebracht. Es ist kein Geschlecht, welches Reinlichkeit liebt, das lange ungc-
schnittenc Haar, das der MagVar so schön in Zöpfe zu flechten weiß und der
Slave um Tyrnan stets spiegelhell geglättet trägt, ist bei dem Miavaner wie ein
struppiger verwachsener Wald. Wie der Leib, so ist anch der Sinn dieser Slo¬
vaken unbändig, abenteuerlich und großer Anstrengungen bedürftig; sie siud stolz,
denn der größte Theil vou ihnen ist adelig, und wenn die rohen Gesellen nach
dem Comitathanse von Neutra zogen, so gaben sie nicht nur ihre Stimmen, son¬
dern auch Schläge und Verwundungen zum Besten. Sie siud in der großen
Mehrzahl lutherischer Confession. Ihr Glaube ist aber mehr geeignet, eiuen Thomas
Münzer, als einen Melanchthon hervorzutreiben. Der unfruchtbare Boden weist
die Miavaner in die Fremde, Arbeit zu suchen und tief unter im Ungarland be¬
gegnet man den Männern oft mit ihren Weibern und Mädchen, wie sie zur Lohn¬
arbeit wandern.

Aber selbst auf ihrem kleinen Gebiet finden sich seltsame Gegensätze in Art,
Sitte und Leben und charakteristisch stehen die beiden größten Städte des Bezirkes
Miava und Brezova einander gegenüber. Da diese Gegend es ist, in welcher


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[0068] alle Slavinnen Oberungarns. Wilder schreitet der slowakische Mann daher, er trägt in der Gegend von Tyrnan bis Preßburg einen Hut, der sich von dem ty- roler nur durch sehr schmale Krämpe unterscheidet; selbst die Verzierungen von Charnier »ud bunten Bändern um den Kegel fehlen nicht. Der weiße Mantel von filzartigem Gewebe, Halma, der an einem Stiemen um die Schultern gehängt wird, hat oben einen breiten zurückgelegten Kragen, der in Wind und Regen als Kapuze dient; das Halstuch verachtet er; ein mit rosenariigen weißen Knöpfen verzierter Brustfleck von Cvttvn oder Damast, blaue, immer mit helleren Schmu-- ren ausgelegte Hosen und plumpgeformte, vorn breit endigende Stiefeln, boUi, vervollständigen seinen Anzug. — Jenseits der Karpathen aber, 'zwischen diesen und der March, von Stampfen hinter Preßburg bis uach Skaliiz in der Nentraer Gcspannschaft, wo die Slaven ganz unvermischt wohnen, verschwindet allmälig das weiße grobe Halinatnch und macht dem blauen Stoffe Platz, der hier an der Grenze von Mähren durch den Schmuggel leichter anzuschaffen ist. Die blautnchene Jacke hat breite Metallknopfe, und der weiße enganliegende Schafpelz einen meist blangefärbten Kragen aus einem ganzen Schaffell, dessen Schwanz und Füße bis zum Gesäß des ehrenwerthen Trägers herunter baumeln. So sieht der March- slave einem Huronenhäuptling ähnlicher, als billig ist. Am Interessantesten hat sich das Leben der Slovaken in dem kleinen Bezirk vou Miava, im gebirgigen Nordwesten der Nentraer Gespannschaft ausgebildet. Dort wohnt der größte und kräftigste Menschenschlag, und wenn die Riesenleiber aus den Bergschluchten hervortauchen, in ihr weißes Filztuch gehüllt, deu Kopf mit dem magyarischen Schlapphnt bedeckt, so muß man glauben, die häßliche wüste Gegend habe auch diese Necken mit langgestreckten Gliedern nud wildem Aussehn hervorgebracht. Es ist kein Geschlecht, welches Reinlichkeit liebt, das lange ungc- schnittenc Haar, das der MagVar so schön in Zöpfe zu flechten weiß und der Slave um Tyrnan stets spiegelhell geglättet trägt, ist bei dem Miavaner wie ein struppiger verwachsener Wald. Wie der Leib, so ist anch der Sinn dieser Slo¬ vaken unbändig, abenteuerlich und großer Anstrengungen bedürftig; sie siud stolz, denn der größte Theil vou ihnen ist adelig, und wenn die rohen Gesellen nach dem Comitathanse von Neutra zogen, so gaben sie nicht nur ihre Stimmen, son¬ dern auch Schläge und Verwundungen zum Besten. Sie siud in der großen Mehrzahl lutherischer Confession. Ihr Glaube ist aber mehr geeignet, eiuen Thomas Münzer, als einen Melanchthon hervorzutreiben. Der unfruchtbare Boden weist die Miavaner in die Fremde, Arbeit zu suchen und tief unter im Ungarland be¬ gegnet man den Männern oft mit ihren Weibern und Mädchen, wie sie zur Lohn¬ arbeit wandern. Aber selbst auf ihrem kleinen Gebiet finden sich seltsame Gegensätze in Art, Sitte und Leben und charakteristisch stehen die beiden größten Städte des Bezirkes Miava und Brezova einander gegenüber. Da diese Gegend es ist, in welcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/68>, abgerufen am 03.07.2024.