Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gehorchen -- man ging aus einer Compagnie nach Belieben in eine andere.
Wer am meisten schrie und sich wichtig machte, avancirte am meisten; viele gin-
gen in ungarische Regimenter, wo sie gleich Offiziere wurden.

Ein anderes Motiv der Krankheit der polnischen Legion war die häusliche
und geistige Bildung unserer polnischen Jngend, die zum Militair ganz und gar
nicht eignete. Die merkwürdige Verwirrung der Ideen bei Anwendung erhabener
socialer Grundsätze ans den abnormen Kriegszustand und die unglückliche Lage
des Polen, als besiegter Unterthan fremder Regierungen, macht, daß er jedes
Widersetzen gegen die Befehle der Obrigkeit als Tugend und
Heroismus, und immerwährende Verschwörungen zum Umsturz
der bestehenden Gewalt als das tägliche Brod des wahren Pa¬
trioten betrachtet, und deu Umsturz der bestehenden Gewalt als
das erhabene Ziel aller Gedanken, Wünsche und Bestrebungen.

Seit der Solnokcr Schlacht schien ein neuer Geist die Ungarn zu beseelen,
besonders die Infanterie und Artillerie zeichneten sich aus und wetteiferten mit
uns. Ich hatte das Commando einer Infanteriedivision des Damianiez, an welche
sich immer die polnische Legion anschloß, und wir concentrirten uns unter Görgey
nach schweren Märschen durch tiefen Koch bei GyöngyöS, den 2. April kam ich
bei Halwan dem General Gaspari, den Schul angriff, zu Hilfe und wir dräng¬
ten die Oestreicher zurück. Wir erhielten den Befehl nach Joös-Bereny zu
marschiren und nachdem wir im großen Regen und fürchterlichen Koth 5 Meilen
marschirt nud einige Ordres und Contreordrcs erhalten hatten, ertheilte uns ein
junger Stabsoffizier den Befehl, noch bis zum nächsten Dorfe zu gehen, ohne
dessen Namen oder Entfernung anzugeben. Der zum Tode ermüdete Soldat
wollte nicht weiter gehen, einige warfen die Gewehre weg und gingen in die
Bauerhäuser. Ich konnte mich nicht enthalten, dem Görgey', der sichs im Gast¬
hause mit den andern Führern gut schmecken ließ, bittere Vorwürfe zu machen.

Als wir von hier uach Tapio Biezkv marschirten, trafen wir das Corps des
Klapka, welches in der größten Unordnung retirirte. ES war nicht möglich sie
aufzuhalten, wir machten also Front gegen den verfolgenden Jellachich; Görgey
gab nur das Commando des linken Flügels, er selbst ließ am rechten Flügel ein
Bataillon mit dein Bayonnet eine Brücke erstürmen, die uns von den Oestrei¬
chern trennte, und meine Division entschied nun das Gefecht. Bei Jsaszeg holten
wir den retirirenden Feind ein, hier kam es auf dem Wege nach Gödöllö zwischen
einer Abtheilung des Schul'schen Corps und meiner Brigade, d. i. zwei Ba¬
taillon vom Regiment Waza und der polnischem Legion, zu einem blutigen Kampfe,
in welchem uns der Feind sehr überlegen war, der sich aber, nachdem uns die
Brigade Leiningen zu Hilfe kam, endlich auch das Unlieb'sche Armeecorps, für
rief günstig entschied. Auf dem linken Flügel siegte Klapka durch wiederholte
energische Angrisse. Der Feind zog sich über Gödöllö nach Pesth zurück, nud wir


gehorchen — man ging aus einer Compagnie nach Belieben in eine andere.
Wer am meisten schrie und sich wichtig machte, avancirte am meisten; viele gin-
gen in ungarische Regimenter, wo sie gleich Offiziere wurden.

Ein anderes Motiv der Krankheit der polnischen Legion war die häusliche
und geistige Bildung unserer polnischen Jngend, die zum Militair ganz und gar
nicht eignete. Die merkwürdige Verwirrung der Ideen bei Anwendung erhabener
socialer Grundsätze ans den abnormen Kriegszustand und die unglückliche Lage
des Polen, als besiegter Unterthan fremder Regierungen, macht, daß er jedes
Widersetzen gegen die Befehle der Obrigkeit als Tugend und
Heroismus, und immerwährende Verschwörungen zum Umsturz
der bestehenden Gewalt als das tägliche Brod des wahren Pa¬
trioten betrachtet, und deu Umsturz der bestehenden Gewalt als
das erhabene Ziel aller Gedanken, Wünsche und Bestrebungen.

Seit der Solnokcr Schlacht schien ein neuer Geist die Ungarn zu beseelen,
besonders die Infanterie und Artillerie zeichneten sich aus und wetteiferten mit
uns. Ich hatte das Commando einer Infanteriedivision des Damianiez, an welche
sich immer die polnische Legion anschloß, und wir concentrirten uns unter Görgey
nach schweren Märschen durch tiefen Koch bei GyöngyöS, den 2. April kam ich
bei Halwan dem General Gaspari, den Schul angriff, zu Hilfe und wir dräng¬
ten die Oestreicher zurück. Wir erhielten den Befehl nach Joös-Bereny zu
marschiren und nachdem wir im großen Regen und fürchterlichen Koth 5 Meilen
marschirt nud einige Ordres und Contreordrcs erhalten hatten, ertheilte uns ein
junger Stabsoffizier den Befehl, noch bis zum nächsten Dorfe zu gehen, ohne
dessen Namen oder Entfernung anzugeben. Der zum Tode ermüdete Soldat
wollte nicht weiter gehen, einige warfen die Gewehre weg und gingen in die
Bauerhäuser. Ich konnte mich nicht enthalten, dem Görgey', der sichs im Gast¬
hause mit den andern Führern gut schmecken ließ, bittere Vorwürfe zu machen.

Als wir von hier uach Tapio Biezkv marschirten, trafen wir das Corps des
Klapka, welches in der größten Unordnung retirirte. ES war nicht möglich sie
aufzuhalten, wir machten also Front gegen den verfolgenden Jellachich; Görgey
gab nur das Commando des linken Flügels, er selbst ließ am rechten Flügel ein
Bataillon mit dein Bayonnet eine Brücke erstürmen, die uns von den Oestrei¬
chern trennte, und meine Division entschied nun das Gefecht. Bei Jsaszeg holten
wir den retirirenden Feind ein, hier kam es auf dem Wege nach Gödöllö zwischen
einer Abtheilung des Schul'schen Corps und meiner Brigade, d. i. zwei Ba¬
taillon vom Regiment Waza und der polnischem Legion, zu einem blutigen Kampfe,
in welchem uns der Feind sehr überlegen war, der sich aber, nachdem uns die
Brigade Leiningen zu Hilfe kam, endlich auch das Unlieb'sche Armeecorps, für
rief günstig entschied. Auf dem linken Flügel siegte Klapka durch wiederholte
energische Angrisse. Der Feind zog sich über Gödöllö nach Pesth zurück, nud wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185861"/>
            <p xml:id="ID_2054" prev="#ID_2053"> gehorchen &#x2014; man ging aus einer Compagnie nach Belieben in eine andere.<lb/>
Wer am meisten schrie und sich wichtig machte, avancirte am meisten; viele gin-<lb/>
gen in ungarische Regimenter, wo sie gleich Offiziere wurden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2055"> Ein anderes Motiv der Krankheit der polnischen Legion war die häusliche<lb/>
und geistige Bildung unserer polnischen Jngend, die zum Militair ganz und gar<lb/>
nicht eignete. Die merkwürdige Verwirrung der Ideen bei Anwendung erhabener<lb/>
socialer Grundsätze ans den abnormen Kriegszustand und die unglückliche Lage<lb/>
des Polen, als besiegter Unterthan fremder Regierungen, macht, daß er jedes<lb/>
Widersetzen gegen die Befehle der Obrigkeit als Tugend und<lb/>
Heroismus, und immerwährende Verschwörungen zum Umsturz<lb/>
der bestehenden Gewalt als das tägliche Brod des wahren Pa¬<lb/>
trioten betrachtet, und deu Umsturz der bestehenden Gewalt als<lb/>
das erhabene Ziel aller Gedanken, Wünsche und Bestrebungen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2056"> Seit der Solnokcr Schlacht schien ein neuer Geist die Ungarn zu beseelen,<lb/>
besonders die Infanterie und Artillerie zeichneten sich aus und wetteiferten mit<lb/>
uns. Ich hatte das Commando einer Infanteriedivision des Damianiez, an welche<lb/>
sich immer die polnische Legion anschloß, und wir concentrirten uns unter Görgey<lb/>
nach schweren Märschen durch tiefen Koch bei GyöngyöS, den 2. April kam ich<lb/>
bei Halwan dem General Gaspari, den Schul angriff, zu Hilfe und wir dräng¬<lb/>
ten die Oestreicher zurück. Wir erhielten den Befehl nach Joös-Bereny zu<lb/>
marschiren und nachdem wir im großen Regen und fürchterlichen Koth 5 Meilen<lb/>
marschirt nud einige Ordres und Contreordrcs erhalten hatten, ertheilte uns ein<lb/>
junger Stabsoffizier den Befehl, noch bis zum nächsten Dorfe zu gehen, ohne<lb/>
dessen Namen oder Entfernung anzugeben. Der zum Tode ermüdete Soldat<lb/>
wollte nicht weiter gehen, einige warfen die Gewehre weg und gingen in die<lb/>
Bauerhäuser. Ich konnte mich nicht enthalten, dem Görgey', der sichs im Gast¬<lb/>
hause mit den andern Führern gut schmecken ließ, bittere Vorwürfe zu machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2057" next="#ID_2058"> Als wir von hier uach Tapio Biezkv marschirten, trafen wir das Corps des<lb/>
Klapka, welches in der größten Unordnung retirirte. ES war nicht möglich sie<lb/>
aufzuhalten, wir machten also Front gegen den verfolgenden Jellachich; Görgey<lb/>
gab nur das Commando des linken Flügels, er selbst ließ am rechten Flügel ein<lb/>
Bataillon mit dein Bayonnet eine Brücke erstürmen, die uns von den Oestrei¬<lb/>
chern trennte, und meine Division entschied nun das Gefecht. Bei Jsaszeg holten<lb/>
wir den retirirenden Feind ein, hier kam es auf dem Wege nach Gödöllö zwischen<lb/>
einer Abtheilung des Schul'schen Corps und meiner Brigade, d. i. zwei Ba¬<lb/>
taillon vom Regiment Waza und der polnischem Legion, zu einem blutigen Kampfe,<lb/>
in welchem uns der Feind sehr überlegen war, der sich aber, nachdem uns die<lb/>
Brigade Leiningen zu Hilfe kam, endlich auch das Unlieb'sche Armeecorps, für<lb/>
rief günstig entschied. Auf dem linken Flügel siegte Klapka durch wiederholte<lb/>
energische Angrisse. Der Feind zog sich über Gödöllö nach Pesth zurück, nud wir</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] gehorchen — man ging aus einer Compagnie nach Belieben in eine andere. Wer am meisten schrie und sich wichtig machte, avancirte am meisten; viele gin- gen in ungarische Regimenter, wo sie gleich Offiziere wurden. Ein anderes Motiv der Krankheit der polnischen Legion war die häusliche und geistige Bildung unserer polnischen Jngend, die zum Militair ganz und gar nicht eignete. Die merkwürdige Verwirrung der Ideen bei Anwendung erhabener socialer Grundsätze ans den abnormen Kriegszustand und die unglückliche Lage des Polen, als besiegter Unterthan fremder Regierungen, macht, daß er jedes Widersetzen gegen die Befehle der Obrigkeit als Tugend und Heroismus, und immerwährende Verschwörungen zum Umsturz der bestehenden Gewalt als das tägliche Brod des wahren Pa¬ trioten betrachtet, und deu Umsturz der bestehenden Gewalt als das erhabene Ziel aller Gedanken, Wünsche und Bestrebungen. Seit der Solnokcr Schlacht schien ein neuer Geist die Ungarn zu beseelen, besonders die Infanterie und Artillerie zeichneten sich aus und wetteiferten mit uns. Ich hatte das Commando einer Infanteriedivision des Damianiez, an welche sich immer die polnische Legion anschloß, und wir concentrirten uns unter Görgey nach schweren Märschen durch tiefen Koch bei GyöngyöS, den 2. April kam ich bei Halwan dem General Gaspari, den Schul angriff, zu Hilfe und wir dräng¬ ten die Oestreicher zurück. Wir erhielten den Befehl nach Joös-Bereny zu marschiren und nachdem wir im großen Regen und fürchterlichen Koth 5 Meilen marschirt nud einige Ordres und Contreordrcs erhalten hatten, ertheilte uns ein junger Stabsoffizier den Befehl, noch bis zum nächsten Dorfe zu gehen, ohne dessen Namen oder Entfernung anzugeben. Der zum Tode ermüdete Soldat wollte nicht weiter gehen, einige warfen die Gewehre weg und gingen in die Bauerhäuser. Ich konnte mich nicht enthalten, dem Görgey', der sichs im Gast¬ hause mit den andern Führern gut schmecken ließ, bittere Vorwürfe zu machen. Als wir von hier uach Tapio Biezkv marschirten, trafen wir das Corps des Klapka, welches in der größten Unordnung retirirte. ES war nicht möglich sie aufzuhalten, wir machten also Front gegen den verfolgenden Jellachich; Görgey gab nur das Commando des linken Flügels, er selbst ließ am rechten Flügel ein Bataillon mit dein Bayonnet eine Brücke erstürmen, die uns von den Oestrei¬ chern trennte, und meine Division entschied nun das Gefecht. Bei Jsaszeg holten wir den retirirenden Feind ein, hier kam es auf dem Wege nach Gödöllö zwischen einer Abtheilung des Schul'schen Corps und meiner Brigade, d. i. zwei Ba¬ taillon vom Regiment Waza und der polnischem Legion, zu einem blutigen Kampfe, in welchem uns der Feind sehr überlegen war, der sich aber, nachdem uns die Brigade Leiningen zu Hilfe kam, endlich auch das Unlieb'sche Armeecorps, für rief günstig entschied. Auf dem linken Flügel siegte Klapka durch wiederholte energische Angrisse. Der Feind zog sich über Gödöllö nach Pesth zurück, nud wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/524>, abgerufen am 03.07.2024.