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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Diese Zeit ist "och nicht gekommen. Wenn wir jetzt Napoleon's welthistorische
Bedeutung, mich in seinein Einfluß auf Deutschland, zu würdigen verstehn, so
wäre eine solche Philosophie in den Jahren 12 und Z3 geradezu Verrath gewesen.
Wir werden den Geist der Reaction künftig um so vollständiger in seiner relativen
Berechtigung auert'enner, je gründlicher wir ihn jetzt bekämpfen. Mit einem
^Mieton "rinui8, wie geistvoll, gemüthvoll, phantasiereich u. s. w>, den Träger
dieser Richtung abzufertigen, ist eine Ungerechtigkeit gegen uns und gegen ihn
selber. Das Prineip wird besser gewürdigt, wenn man ihm ernstlich zu Leibe
geht; wobei man durchaus nicht nöthig hat, die schuldige Rücksicht gegen die
Heiligkeit der Majestät aus den Angen zu setzen.

Dies bei Seite gesetzt, läßt sich an dem Buche Vieles loben. Prutz ist in
all seineu Arbeiten fleißig, gründlich und gewissenhaft. Er hat nichts bei Seite
gelassen, was auf seineu Gegenstand ein neues Licht werfen kann. Auch wer sich
tief eingelebt hat in unser politisches Treiben, wird ans dieser Arbeit Viel lernen
können.

Dies allgemein gehaltene Lob soll nur ein vorläufiges sein. Ich komme auf
den Inhalt dieses Bandes -- der nnr anderthalb Jahre umfaßt -- noch einmal
zurück. Die Zeit verdient, daß mau sie von verschiedenen Punkten sehr genau
in Erwägung zieht. -- Ich stelle das Lob hier nur darum voran, um deu Tadel,
den ich aussprechen muß, zu modificiren.

Der Tadel bezieht sich aus die Form. Prutz ist bereits von verschiedenen
Seiten darauf aufmerksam gemacht, daß er sich nachgerade in einen Styl hinein¬
schreibt, der nicht mehr der Literatur angehört. sein Fleiß ist rühmlich im Sam¬
meln des Materials, in der Ausbreitung; aber zum Zusammenpressen des Stoffes,
ohne welches sich a"S der Wissenschaft wie ans der Kunst jeder Ernst und jede
Tiefe verliert, hat er keine Energie. Prutz muß von seinen Freunden um so mehr
darauf aufmerksam gemachr werdet!, da sein Fehler uicht ein Fehler der Anlage,
sondern ein Fehler der Methode ist. Die Breite seiner Darstellung ist eine be¬
wußte Reaction gegen eine schlechte Richtung unserer Literatur, aber uach einer
falschen Seite hin.

Bekanntlich schreiben nur Deutschen unter allen Völkern am schlechtesten.
Unser Styl schmeckt nach unserer Kleinstaaterei, wie unsere Politik, wie unser
geselliges Leben. Nur bei nus Flachscufingern war es möglich, daß ein wüster
Jargon, wie der Jean Paul's, als ein Muster schöner Darstellung aufgestellt
werden konnte. Bei uns hat jeder Schriftsteller seinen eignen Horizont, jeder
schreibt nur für Eingeweihte.

Durch die Romantiker, die philosophische" Schulen nud die Jungdeutschen
ist in diese babylonische Sprachverwirrung eine gewisse Methode gebracht worden.
Ans der naiven Barbarei ward eine reflectirte. Um als geistreich zu gelten, mußte
man sich barock geberden; um Tiefe zu zeigen, sich unklar ausdrücken.


Grenzboten. II. IL50. 55

Diese Zeit ist »och nicht gekommen. Wenn wir jetzt Napoleon's welthistorische
Bedeutung, mich in seinein Einfluß auf Deutschland, zu würdigen verstehn, so
wäre eine solche Philosophie in den Jahren 12 und Z3 geradezu Verrath gewesen.
Wir werden den Geist der Reaction künftig um so vollständiger in seiner relativen
Berechtigung auert'enner, je gründlicher wir ihn jetzt bekämpfen. Mit einem
^Mieton »rinui8, wie geistvoll, gemüthvoll, phantasiereich u. s. w>, den Träger
dieser Richtung abzufertigen, ist eine Ungerechtigkeit gegen uns und gegen ihn
selber. Das Prineip wird besser gewürdigt, wenn man ihm ernstlich zu Leibe
geht; wobei man durchaus nicht nöthig hat, die schuldige Rücksicht gegen die
Heiligkeit der Majestät aus den Angen zu setzen.

Dies bei Seite gesetzt, läßt sich an dem Buche Vieles loben. Prutz ist in
all seineu Arbeiten fleißig, gründlich und gewissenhaft. Er hat nichts bei Seite
gelassen, was auf seineu Gegenstand ein neues Licht werfen kann. Auch wer sich
tief eingelebt hat in unser politisches Treiben, wird ans dieser Arbeit Viel lernen
können.

Dies allgemein gehaltene Lob soll nur ein vorläufiges sein. Ich komme auf
den Inhalt dieses Bandes — der nnr anderthalb Jahre umfaßt — noch einmal
zurück. Die Zeit verdient, daß mau sie von verschiedenen Punkten sehr genau
in Erwägung zieht. — Ich stelle das Lob hier nur darum voran, um deu Tadel,
den ich aussprechen muß, zu modificiren.

Der Tadel bezieht sich aus die Form. Prutz ist bereits von verschiedenen
Seiten darauf aufmerksam gemacht, daß er sich nachgerade in einen Styl hinein¬
schreibt, der nicht mehr der Literatur angehört. sein Fleiß ist rühmlich im Sam¬
meln des Materials, in der Ausbreitung; aber zum Zusammenpressen des Stoffes,
ohne welches sich a»S der Wissenschaft wie ans der Kunst jeder Ernst und jede
Tiefe verliert, hat er keine Energie. Prutz muß von seinen Freunden um so mehr
darauf aufmerksam gemachr werdet!, da sein Fehler uicht ein Fehler der Anlage,
sondern ein Fehler der Methode ist. Die Breite seiner Darstellung ist eine be¬
wußte Reaction gegen eine schlechte Richtung unserer Literatur, aber uach einer
falschen Seite hin.

Bekanntlich schreiben nur Deutschen unter allen Völkern am schlechtesten.
Unser Styl schmeckt nach unserer Kleinstaaterei, wie unsere Politik, wie unser
geselliges Leben. Nur bei nus Flachscufingern war es möglich, daß ein wüster
Jargon, wie der Jean Paul's, als ein Muster schöner Darstellung aufgestellt
werden konnte. Bei uns hat jeder Schriftsteller seinen eignen Horizont, jeder
schreibt nur für Eingeweihte.

Durch die Romantiker, die philosophische» Schulen nud die Jungdeutschen
ist in diese babylonische Sprachverwirrung eine gewisse Methode gebracht worden.
Ans der naiven Barbarei ward eine reflectirte. Um als geistreich zu gelten, mußte
man sich barock geberden; um Tiefe zu zeigen, sich unklar ausdrücken.


Grenzboten. II. IL50. 55
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[0441] Diese Zeit ist »och nicht gekommen. Wenn wir jetzt Napoleon's welthistorische Bedeutung, mich in seinein Einfluß auf Deutschland, zu würdigen verstehn, so wäre eine solche Philosophie in den Jahren 12 und Z3 geradezu Verrath gewesen. Wir werden den Geist der Reaction künftig um so vollständiger in seiner relativen Berechtigung auert'enner, je gründlicher wir ihn jetzt bekämpfen. Mit einem ^Mieton »rinui8, wie geistvoll, gemüthvoll, phantasiereich u. s. w>, den Träger dieser Richtung abzufertigen, ist eine Ungerechtigkeit gegen uns und gegen ihn selber. Das Prineip wird besser gewürdigt, wenn man ihm ernstlich zu Leibe geht; wobei man durchaus nicht nöthig hat, die schuldige Rücksicht gegen die Heiligkeit der Majestät aus den Angen zu setzen. Dies bei Seite gesetzt, läßt sich an dem Buche Vieles loben. Prutz ist in all seineu Arbeiten fleißig, gründlich und gewissenhaft. Er hat nichts bei Seite gelassen, was auf seineu Gegenstand ein neues Licht werfen kann. Auch wer sich tief eingelebt hat in unser politisches Treiben, wird ans dieser Arbeit Viel lernen können. Dies allgemein gehaltene Lob soll nur ein vorläufiges sein. Ich komme auf den Inhalt dieses Bandes — der nnr anderthalb Jahre umfaßt — noch einmal zurück. Die Zeit verdient, daß mau sie von verschiedenen Punkten sehr genau in Erwägung zieht. — Ich stelle das Lob hier nur darum voran, um deu Tadel, den ich aussprechen muß, zu modificiren. Der Tadel bezieht sich aus die Form. Prutz ist bereits von verschiedenen Seiten darauf aufmerksam gemacht, daß er sich nachgerade in einen Styl hinein¬ schreibt, der nicht mehr der Literatur angehört. sein Fleiß ist rühmlich im Sam¬ meln des Materials, in der Ausbreitung; aber zum Zusammenpressen des Stoffes, ohne welches sich a»S der Wissenschaft wie ans der Kunst jeder Ernst und jede Tiefe verliert, hat er keine Energie. Prutz muß von seinen Freunden um so mehr darauf aufmerksam gemachr werdet!, da sein Fehler uicht ein Fehler der Anlage, sondern ein Fehler der Methode ist. Die Breite seiner Darstellung ist eine be¬ wußte Reaction gegen eine schlechte Richtung unserer Literatur, aber uach einer falschen Seite hin. Bekanntlich schreiben nur Deutschen unter allen Völkern am schlechtesten. Unser Styl schmeckt nach unserer Kleinstaaterei, wie unsere Politik, wie unser geselliges Leben. Nur bei nus Flachscufingern war es möglich, daß ein wüster Jargon, wie der Jean Paul's, als ein Muster schöner Darstellung aufgestellt werden konnte. Bei uns hat jeder Schriftsteller seinen eignen Horizont, jeder schreibt nur für Eingeweihte. Durch die Romantiker, die philosophische» Schulen nud die Jungdeutschen ist in diese babylonische Sprachverwirrung eine gewisse Methode gebracht worden. Ans der naiven Barbarei ward eine reflectirte. Um als geistreich zu gelten, mußte man sich barock geberden; um Tiefe zu zeigen, sich unklar ausdrücken. Grenzboten. II. IL50. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/441>, abgerufen am 03.07.2024.