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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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März. Wir stehen noch mitten in den Ereignissen, die damals unser Gemüth
bewegten, und jeder Versuch, uns darüber zu erheben, wird illusorisch sei".

Einen historischen Rückblick auf unsere jüngste Vergangenheit kann ich mir
vorläufig nur unter der Form einer Parteischrist denken. Wer in dieser Zeit nicht
zu irgend einer Partei gestanden, hat kein Recht, ihre Geschichte zu schreibe",
denn er hat, was die Hauptsache ist, die Empfindungen nicht mit durchgemacht,
aus denen jene Ereignisse hervorgingen, nud mit denen wir sie begleiteten. Wie
Wallensteins Offiziere zu Questenberg, werden wir zu ihm sagen tonnen: Er¬
sparen Sie sichs, uns aus Zeitungsnachrichten zu erzählen, was wir schaudernd
selbst erlebt.

Prutz hat sich einer solchen gesinnungslosen Neutralität uicht schuldig gemacht.
Er hat in Versen und in Prosa, so lauge er überhaupt schreibt, stets für die
gute Sache der Freiheit gestritten. Sein Standpunkt ist der liberale, mit ge¬
mäßigt demokratischen Anstrich; ein klein wenig rechts von der Nationalzeituug.
-- Allem es fehlt dieser Parteisarbe die bestimmtere Nuance. Vor dem März
war es schwer, zwischen Liberalen und Radicalen genau zu unterscheiden. Einmal
hat sich Prutz gegen seinen bisherigen Freund Arnold Ruge des concreten Patrio¬
tismus gegen die abstracten FreiheitSteudeuzeu angenommen; er hat ein sehr ver¬
nünftiges Princip mit sehr schlechten Gründen vertheidigt, und Ruge ist sür sein
schlechtes Princip mit erträglichen Witzen eingetreten. Nach dem März war Prutz
Mitglied, ich glaube sogar eine Zeitlang Präsident des constitutionellen Clubs
in Berlin, eines Instituts, welches sich wie fast alle der Art, einer sehr bedenk¬
lichen Halbheit erfreute, und statt die Regierung energisch zu unterstützen, eine
neutrale Stellung zwischen der Regierung und den Demokraten behauptete. Mit
Ausnahme dieser nicht sehr bedeutende" Thätigkeit hat Prutz zu einer unmittelbaren
Theilnahme an der Politik der letzten Jahre leine Gelegenheit gehabt.

So ist es zu erklären, daß seine Schrift kein Ausdruck einer Partei geworden
ist. Sie hat das offenbare Bestreben, objectiv und gerecht gegen alle Parteien zu
sein: eine Unparteilichkeit, der man das Gezwungene ansieht. Prutz bemüht sich
gerade bei Persönlichkeiten, deren Richtung ihm über Alles verhaßt sein muß, die
guten Seiten herauszufinden, und es begegnet ihm zuweilen, daß er aus Gerech-
tigkeitsliebe etwas Unrechtes an ihnen lobt. Als Beispiel führe ich den gegen¬
wärtigen König voll Preußen an, der überhaupt wohl deu Mittelpunkt der ganzen
Darstellung bilden wird. Die Geschichte wird einmal die Bestrebungen dieses
Königs würdigen, sobald die Zeit kommen wird, daß die politische Richtung, ans
welcher dieselben hervorgegangen sind, keine Gefahr mehr hat. Es wird eine Zeit
kommen, wo die principielle Reaction gegen den Geist des 18. Jahrhunderts im
Staat und-in der Kirche, eine Reaction, die wir nach einer einzelnen Seite der¬
selben gewöhnlich als die romantische bezeichnen, als ein wesentliches Moment in
dem dialektischen Proceß unserer modernen Entwicklung begriffen werden wird.


März. Wir stehen noch mitten in den Ereignissen, die damals unser Gemüth
bewegten, und jeder Versuch, uns darüber zu erheben, wird illusorisch sei».

Einen historischen Rückblick auf unsere jüngste Vergangenheit kann ich mir
vorläufig nur unter der Form einer Parteischrist denken. Wer in dieser Zeit nicht
zu irgend einer Partei gestanden, hat kein Recht, ihre Geschichte zu schreibe»,
denn er hat, was die Hauptsache ist, die Empfindungen nicht mit durchgemacht,
aus denen jene Ereignisse hervorgingen, nud mit denen wir sie begleiteten. Wie
Wallensteins Offiziere zu Questenberg, werden wir zu ihm sagen tonnen: Er¬
sparen Sie sichs, uns aus Zeitungsnachrichten zu erzählen, was wir schaudernd
selbst erlebt.

Prutz hat sich einer solchen gesinnungslosen Neutralität uicht schuldig gemacht.
Er hat in Versen und in Prosa, so lauge er überhaupt schreibt, stets für die
gute Sache der Freiheit gestritten. Sein Standpunkt ist der liberale, mit ge¬
mäßigt demokratischen Anstrich; ein klein wenig rechts von der Nationalzeituug.
— Allem es fehlt dieser Parteisarbe die bestimmtere Nuance. Vor dem März
war es schwer, zwischen Liberalen und Radicalen genau zu unterscheiden. Einmal
hat sich Prutz gegen seinen bisherigen Freund Arnold Ruge des concreten Patrio¬
tismus gegen die abstracten FreiheitSteudeuzeu angenommen; er hat ein sehr ver¬
nünftiges Princip mit sehr schlechten Gründen vertheidigt, und Ruge ist sür sein
schlechtes Princip mit erträglichen Witzen eingetreten. Nach dem März war Prutz
Mitglied, ich glaube sogar eine Zeitlang Präsident des constitutionellen Clubs
in Berlin, eines Instituts, welches sich wie fast alle der Art, einer sehr bedenk¬
lichen Halbheit erfreute, und statt die Regierung energisch zu unterstützen, eine
neutrale Stellung zwischen der Regierung und den Demokraten behauptete. Mit
Ausnahme dieser nicht sehr bedeutende» Thätigkeit hat Prutz zu einer unmittelbaren
Theilnahme an der Politik der letzten Jahre leine Gelegenheit gehabt.

So ist es zu erklären, daß seine Schrift kein Ausdruck einer Partei geworden
ist. Sie hat das offenbare Bestreben, objectiv und gerecht gegen alle Parteien zu
sein: eine Unparteilichkeit, der man das Gezwungene ansieht. Prutz bemüht sich
gerade bei Persönlichkeiten, deren Richtung ihm über Alles verhaßt sein muß, die
guten Seiten herauszufinden, und es begegnet ihm zuweilen, daß er aus Gerech-
tigkeitsliebe etwas Unrechtes an ihnen lobt. Als Beispiel führe ich den gegen¬
wärtigen König voll Preußen an, der überhaupt wohl deu Mittelpunkt der ganzen
Darstellung bilden wird. Die Geschichte wird einmal die Bestrebungen dieses
Königs würdigen, sobald die Zeit kommen wird, daß die politische Richtung, ans
welcher dieselben hervorgegangen sind, keine Gefahr mehr hat. Es wird eine Zeit
kommen, wo die principielle Reaction gegen den Geist des 18. Jahrhunderts im
Staat und-in der Kirche, eine Reaction, die wir nach einer einzelnen Seite der¬
selben gewöhnlich als die romantische bezeichnen, als ein wesentliches Moment in
dem dialektischen Proceß unserer modernen Entwicklung begriffen werden wird.


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[0440] März. Wir stehen noch mitten in den Ereignissen, die damals unser Gemüth bewegten, und jeder Versuch, uns darüber zu erheben, wird illusorisch sei». Einen historischen Rückblick auf unsere jüngste Vergangenheit kann ich mir vorläufig nur unter der Form einer Parteischrist denken. Wer in dieser Zeit nicht zu irgend einer Partei gestanden, hat kein Recht, ihre Geschichte zu schreibe», denn er hat, was die Hauptsache ist, die Empfindungen nicht mit durchgemacht, aus denen jene Ereignisse hervorgingen, nud mit denen wir sie begleiteten. Wie Wallensteins Offiziere zu Questenberg, werden wir zu ihm sagen tonnen: Er¬ sparen Sie sichs, uns aus Zeitungsnachrichten zu erzählen, was wir schaudernd selbst erlebt. Prutz hat sich einer solchen gesinnungslosen Neutralität uicht schuldig gemacht. Er hat in Versen und in Prosa, so lauge er überhaupt schreibt, stets für die gute Sache der Freiheit gestritten. Sein Standpunkt ist der liberale, mit ge¬ mäßigt demokratischen Anstrich; ein klein wenig rechts von der Nationalzeituug. — Allem es fehlt dieser Parteisarbe die bestimmtere Nuance. Vor dem März war es schwer, zwischen Liberalen und Radicalen genau zu unterscheiden. Einmal hat sich Prutz gegen seinen bisherigen Freund Arnold Ruge des concreten Patrio¬ tismus gegen die abstracten FreiheitSteudeuzeu angenommen; er hat ein sehr ver¬ nünftiges Princip mit sehr schlechten Gründen vertheidigt, und Ruge ist sür sein schlechtes Princip mit erträglichen Witzen eingetreten. Nach dem März war Prutz Mitglied, ich glaube sogar eine Zeitlang Präsident des constitutionellen Clubs in Berlin, eines Instituts, welches sich wie fast alle der Art, einer sehr bedenk¬ lichen Halbheit erfreute, und statt die Regierung energisch zu unterstützen, eine neutrale Stellung zwischen der Regierung und den Demokraten behauptete. Mit Ausnahme dieser nicht sehr bedeutende» Thätigkeit hat Prutz zu einer unmittelbaren Theilnahme an der Politik der letzten Jahre leine Gelegenheit gehabt. So ist es zu erklären, daß seine Schrift kein Ausdruck einer Partei geworden ist. Sie hat das offenbare Bestreben, objectiv und gerecht gegen alle Parteien zu sein: eine Unparteilichkeit, der man das Gezwungene ansieht. Prutz bemüht sich gerade bei Persönlichkeiten, deren Richtung ihm über Alles verhaßt sein muß, die guten Seiten herauszufinden, und es begegnet ihm zuweilen, daß er aus Gerech- tigkeitsliebe etwas Unrechtes an ihnen lobt. Als Beispiel führe ich den gegen¬ wärtigen König voll Preußen an, der überhaupt wohl deu Mittelpunkt der ganzen Darstellung bilden wird. Die Geschichte wird einmal die Bestrebungen dieses Königs würdigen, sobald die Zeit kommen wird, daß die politische Richtung, ans welcher dieselben hervorgegangen sind, keine Gefahr mehr hat. Es wird eine Zeit kommen, wo die principielle Reaction gegen den Geist des 18. Jahrhunderts im Staat und-in der Kirche, eine Reaction, die wir nach einer einzelnen Seite der¬ selben gewöhnlich als die romantische bezeichnen, als ein wesentliches Moment in dem dialektischen Proceß unserer modernen Entwicklung begriffen werden wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/440>, abgerufen am 01.07.2024.