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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Gegen diese falsche und nicht streng genug zu verdammende Richtung hat
sich eine Reihe "populärer" Schriftsteller erhoben, unter denen Prutz vielleicht der
fruchtbarste ist. Sie gehen von dein ganz richtigen Grundsatz aus, daß, was
verdient gesagt zu werden, auch so gesagt werden kann, daß man es versteht.
Aber sie suchen die Verständlichkeit und die Popularität aus einem unrichtigen Wege.

Es gibt eine doppelte Art der Popularität: Popularität für das Volk und
Popularität für deu Pöbel. Diese letztere, demagogische Popularität besteht darin,
daß man sich zu der Gemeinheit herabläßt, und ihr dadurch imponirt, daß man
sie uoch überbietet; die Popularität eines Kleou, eines Krakehlcrö, einer Kreuz-
zeitung. Um mit Erfolg darauf auszugehen, muß man von Natur gemein sein,
denn der nobel merkt es sehr bald heraus, wenn man sich verstellt.

Beim Volk dagegen wird mau uur dadurch populär, daß mau es erhebt.
Dies geschieht durch Ernst und durch Energie. Ein saloppes Wesen, wo man
trotz der schlechte" Form eine tüchtige Natur herausfühlt, verstimmt mit Recht.
Die Grenzboten haben einmal im Scherz den liberalen Ministern angerathen, wenn
sie eine Deputation annehmen, sich erst rasch in einen schmutzigen Schlafrock zu
werfen, und eine Pfeife in den Mund zu stecken. Prutz macht eS in der That
so -- freilich uicht immer, und dadurch wird der unangenehme Eindruck uur uoch
verschärft. Mau liest eine Reihe von Seite", die aus einem ernsten, gründlichen
Denken hervorgegangen sind, und dau" kommt wieder eine Reihe, wo er hin-
plaudert, was ihm gerade i" de" Sinn kommt.

Möge er bei der Fortsetzung seines Werkes strenger sein gegen sich selbst.
Wer dnrch seine Bildung und den Ernst seines Studiums befähigt ist, ein Werk
zu schaffen, welches über den Augenblick hinausgeht, soll nicht bloß an den Augen¬
blick denken. Kein Werk aber ist von Dauer, in welchem die Form dem Inhalt
nicht entspricht.




Ca anderes Wort über Phrenologie.
Von "r. Scheve.

Unter allen Naturwissenschaften gewährt wohl die Phrenologie ihres höchst
interessanten Gegenstandes wegen für das Studium das größte Vergnügen; doch
dieses wird ihren Vertretern mit dadurch verbittert, daß die Lehre von so Vielen
als irrig bekämpft wird, die nicht einmal ihre Literatur keimen, wodurch es ge¬
schieht, daß dieselben Angriffe, die schon hundertmal gründlich abgewiesen sind,
auch zum hundert und erstenmale wieder vorgebracht werden. Der Vers, deö
kleinen Aufsatzes gegen die Phrenologie im vorigen Hefte glaubt ohne Zweifel
etwas Neues gegeben zu haben: und doch sind feine WidcrlegungSgrüude schon
zur Ermüdung oft besprochen und als nichtig nachgewiesen.


Gegen diese falsche und nicht streng genug zu verdammende Richtung hat
sich eine Reihe „populärer" Schriftsteller erhoben, unter denen Prutz vielleicht der
fruchtbarste ist. Sie gehen von dein ganz richtigen Grundsatz aus, daß, was
verdient gesagt zu werden, auch so gesagt werden kann, daß man es versteht.
Aber sie suchen die Verständlichkeit und die Popularität aus einem unrichtigen Wege.

Es gibt eine doppelte Art der Popularität: Popularität für das Volk und
Popularität für deu Pöbel. Diese letztere, demagogische Popularität besteht darin,
daß man sich zu der Gemeinheit herabläßt, und ihr dadurch imponirt, daß man
sie uoch überbietet; die Popularität eines Kleou, eines Krakehlcrö, einer Kreuz-
zeitung. Um mit Erfolg darauf auszugehen, muß man von Natur gemein sein,
denn der nobel merkt es sehr bald heraus, wenn man sich verstellt.

Beim Volk dagegen wird mau uur dadurch populär, daß mau es erhebt.
Dies geschieht durch Ernst und durch Energie. Ein saloppes Wesen, wo man
trotz der schlechte» Form eine tüchtige Natur herausfühlt, verstimmt mit Recht.
Die Grenzboten haben einmal im Scherz den liberalen Ministern angerathen, wenn
sie eine Deputation annehmen, sich erst rasch in einen schmutzigen Schlafrock zu
werfen, und eine Pfeife in den Mund zu stecken. Prutz macht eS in der That
so — freilich uicht immer, und dadurch wird der unangenehme Eindruck uur uoch
verschärft. Mau liest eine Reihe von Seite», die aus einem ernsten, gründlichen
Denken hervorgegangen sind, und dau» kommt wieder eine Reihe, wo er hin-
plaudert, was ihm gerade i» de» Sinn kommt.

Möge er bei der Fortsetzung seines Werkes strenger sein gegen sich selbst.
Wer dnrch seine Bildung und den Ernst seines Studiums befähigt ist, ein Werk
zu schaffen, welches über den Augenblick hinausgeht, soll nicht bloß an den Augen¬
blick denken. Kein Werk aber ist von Dauer, in welchem die Form dem Inhalt
nicht entspricht.




Ca anderes Wort über Phrenologie.
Von »r. Scheve.

Unter allen Naturwissenschaften gewährt wohl die Phrenologie ihres höchst
interessanten Gegenstandes wegen für das Studium das größte Vergnügen; doch
dieses wird ihren Vertretern mit dadurch verbittert, daß die Lehre von so Vielen
als irrig bekämpft wird, die nicht einmal ihre Literatur keimen, wodurch es ge¬
schieht, daß dieselben Angriffe, die schon hundertmal gründlich abgewiesen sind,
auch zum hundert und erstenmale wieder vorgebracht werden. Der Vers, deö
kleinen Aufsatzes gegen die Phrenologie im vorigen Hefte glaubt ohne Zweifel
etwas Neues gegeben zu haben: und doch sind feine WidcrlegungSgrüude schon
zur Ermüdung oft besprochen und als nichtig nachgewiesen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/442>, abgerufen am 03.07.2024.