Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

essantesten, ja oft pikanten Abenteuern bilden, braucht kaum erwähnt zu werden.
Der Herr Richter hat ein blutjunges roseuwaugigeö Töchterchen, der Notar ein
etwas blasses, aber sehr gefühlvolles und dem logatus wegen seiner Beschei¬
denheit besouders gewogenes Weibchen; auch die Schwester der Frau Pastorin,
ein sehr belesenes, schlankes Mädchen vou 25 Jahren, wird von den National-
melodien, die der junge Candidat besouders in der Gartenlaube n>it einer gewissen
Herzlichkeit vorzutragen und mit der Guitarre vortrefflich zu accompagniren
weiß, oft bis zu Seufzern hingerissen, und die Base der gnädigen Frau, ein
sehr tugendhaftes, den Leidenschaften der tosenden Jugend durchaus fremdes
Fräulein aus einem altadeligen, aber durch viele Unglücksfälle herabgekommenen
Geschlechte, hat bei der Tasel, wo sie dem artigen Jüngling vis it öl" zu sitzen
kam, die Bemerkungen desselben stets und einem zustimmenden Kopfnicken und ermun-
ternden Lächeln begleitet u. s. w. Mit einem Wort, der Jo^us ist ein überall gern
gesehener und oft sehr in Anspruch genommener Gast, und eS darf uns
nicht wundern, wenn seine Predigt nicht so glänzend ausfällt, als wir bei den
Proben vor seinen Collegen ans der Schule zu hoffen berechtigt waren, und wenn
manchmal bei dem Gebete der seelenvolle Blick nach oben durch eiuen nach einer
andern Seite der Kirche gerichteten unterbrochen wird.

Der leibhafte Antipode des "to^Un"" ist der cleäk. Die Ranzen hatten
bis jetzt, einige sehr schwache Gymnasien zu Neusatz und Bcrschetz ausgenommen,
gar keine Schulen sür den hohem Unterricht. Die zahlreichen wohlhabenden
raitzischcn Kaufleute schickten also ihre Söhne ans magyarische, und weil sie dem
römischen Katholicismus am meisten abgeneigt waren, meist protestantische Lehr¬
anstalten, und man traf in Debrezin, SzaovaS, Körös und Kecskemvt immer
eine bedeutende Anzahl derselben. Diese jungen Slaven zeichneten sich dnrch ihr
wildes, oft sehr ausschweifendes Leben, durch völlige Bemachlässignug der Stu¬
dien, durch Schulden- und Exccssemachen von allen übrigen Studenten aus. Der
junge Naitze kam immer zu Anfang des Semesters in einem eleganten Anzug,
mit einer reichen Garderobe und einer wohlgefüllten Börse in der Schnlstadt an,
und bildete den Elegant in den Kaffee- und Schauspielhäusern. Besuchte mau
ihn nach einem Monate in seiner Wohnung, so fand mau ihn um 11 Uhr
Morgens in den Kleidern über dem Bette hingeworfen schnarchend, in dem ur¬
sprünglich schon meublirten Zimmer herrscht die größte Unordnung, die Meubles
sind zerrissen und mit Koth und Staub bedeckt, der Koffer ist leer, aus einem
Nagel an der Wand hängt eine zerrissene, kolbige Hose, aus die der Jude nichts
borgen wollte; der Anzug des schnarchenden ist ein verlumpter, sein Gesicht
verstört, und hat man ihn durch langes Rütteln zum Erwachen gebracht, so ist
sei" erstes Wort: "Freund, hast Dn keinen Zwanziger? Die verfluchten Kerle
haben mich heute Nacht fürchterlich genippt, mein ganzes Geld, meine Uhr und
mein Ring, Alles ist dahin, ich habe keinen Groschen heute ein Mittagsbrod zu


Gre"zbotcn II. I8S". 5-4

essantesten, ja oft pikanten Abenteuern bilden, braucht kaum erwähnt zu werden.
Der Herr Richter hat ein blutjunges roseuwaugigeö Töchterchen, der Notar ein
etwas blasses, aber sehr gefühlvolles und dem logatus wegen seiner Beschei¬
denheit besouders gewogenes Weibchen; auch die Schwester der Frau Pastorin,
ein sehr belesenes, schlankes Mädchen vou 25 Jahren, wird von den National-
melodien, die der junge Candidat besouders in der Gartenlaube n>it einer gewissen
Herzlichkeit vorzutragen und mit der Guitarre vortrefflich zu accompagniren
weiß, oft bis zu Seufzern hingerissen, und die Base der gnädigen Frau, ein
sehr tugendhaftes, den Leidenschaften der tosenden Jugend durchaus fremdes
Fräulein aus einem altadeligen, aber durch viele Unglücksfälle herabgekommenen
Geschlechte, hat bei der Tasel, wo sie dem artigen Jüngling vis it öl» zu sitzen
kam, die Bemerkungen desselben stets und einem zustimmenden Kopfnicken und ermun-
ternden Lächeln begleitet u. s. w. Mit einem Wort, der Jo^us ist ein überall gern
gesehener und oft sehr in Anspruch genommener Gast, und eS darf uns
nicht wundern, wenn seine Predigt nicht so glänzend ausfällt, als wir bei den
Proben vor seinen Collegen ans der Schule zu hoffen berechtigt waren, und wenn
manchmal bei dem Gebete der seelenvolle Blick nach oben durch eiuen nach einer
andern Seite der Kirche gerichteten unterbrochen wird.

Der leibhafte Antipode des „to^Un«" ist der cleäk. Die Ranzen hatten
bis jetzt, einige sehr schwache Gymnasien zu Neusatz und Bcrschetz ausgenommen,
gar keine Schulen sür den hohem Unterricht. Die zahlreichen wohlhabenden
raitzischcn Kaufleute schickten also ihre Söhne ans magyarische, und weil sie dem
römischen Katholicismus am meisten abgeneigt waren, meist protestantische Lehr¬
anstalten, und man traf in Debrezin, SzaovaS, Körös und Kecskemvt immer
eine bedeutende Anzahl derselben. Diese jungen Slaven zeichneten sich dnrch ihr
wildes, oft sehr ausschweifendes Leben, durch völlige Bemachlässignug der Stu¬
dien, durch Schulden- und Exccssemachen von allen übrigen Studenten aus. Der
junge Naitze kam immer zu Anfang des Semesters in einem eleganten Anzug,
mit einer reichen Garderobe und einer wohlgefüllten Börse in der Schnlstadt an,
und bildete den Elegant in den Kaffee- und Schauspielhäusern. Besuchte mau
ihn nach einem Monate in seiner Wohnung, so fand mau ihn um 11 Uhr
Morgens in den Kleidern über dem Bette hingeworfen schnarchend, in dem ur¬
sprünglich schon meublirten Zimmer herrscht die größte Unordnung, die Meubles
sind zerrissen und mit Koth und Staub bedeckt, der Koffer ist leer, aus einem
Nagel an der Wand hängt eine zerrissene, kolbige Hose, aus die der Jude nichts
borgen wollte; der Anzug des schnarchenden ist ein verlumpter, sein Gesicht
verstört, und hat man ihn durch langes Rütteln zum Erwachen gebracht, so ist
sei» erstes Wort: „Freund, hast Dn keinen Zwanziger? Die verfluchten Kerle
haben mich heute Nacht fürchterlich genippt, mein ganzes Geld, meine Uhr und
mein Ring, Alles ist dahin, ich habe keinen Groschen heute ein Mittagsbrod zu


Gre»zbotcn II. I8S». 5-4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185770"/>
            <p xml:id="ID_1662" prev="#ID_1661"> essantesten, ja oft pikanten Abenteuern bilden, braucht kaum erwähnt zu werden.<lb/>
Der Herr Richter hat ein blutjunges roseuwaugigeö Töchterchen, der Notar ein<lb/>
etwas blasses, aber sehr gefühlvolles und dem logatus wegen seiner Beschei¬<lb/>
denheit besouders gewogenes Weibchen; auch die Schwester der Frau Pastorin,<lb/>
ein sehr belesenes, schlankes Mädchen vou 25 Jahren, wird von den National-<lb/>
melodien, die der junge Candidat besouders in der Gartenlaube n&gt;it einer gewissen<lb/>
Herzlichkeit vorzutragen und mit der Guitarre vortrefflich zu accompagniren<lb/>
weiß, oft bis zu Seufzern hingerissen, und die Base der gnädigen Frau, ein<lb/>
sehr tugendhaftes, den Leidenschaften der tosenden Jugend durchaus fremdes<lb/>
Fräulein aus einem altadeligen, aber durch viele Unglücksfälle herabgekommenen<lb/>
Geschlechte, hat bei der Tasel, wo sie dem artigen Jüngling vis it öl» zu sitzen<lb/>
kam, die Bemerkungen desselben stets und einem zustimmenden Kopfnicken und ermun-<lb/>
ternden Lächeln begleitet u. s. w. Mit einem Wort, der Jo^us ist ein überall gern<lb/>
gesehener und oft sehr in Anspruch genommener Gast, und eS darf uns<lb/>
nicht wundern, wenn seine Predigt nicht so glänzend ausfällt, als wir bei den<lb/>
Proben vor seinen Collegen ans der Schule zu hoffen berechtigt waren, und wenn<lb/>
manchmal bei dem Gebete der seelenvolle Blick nach oben durch eiuen nach einer<lb/>
andern Seite der Kirche gerichteten unterbrochen wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1663" next="#ID_1664"> Der leibhafte Antipode des &#x201E;to^Un«" ist der cleäk. Die Ranzen hatten<lb/>
bis jetzt, einige sehr schwache Gymnasien zu Neusatz und Bcrschetz ausgenommen,<lb/>
gar keine Schulen sür den hohem Unterricht. Die zahlreichen wohlhabenden<lb/>
raitzischcn Kaufleute schickten also ihre Söhne ans magyarische, und weil sie dem<lb/>
römischen Katholicismus am meisten abgeneigt waren, meist protestantische Lehr¬<lb/>
anstalten, und man traf in Debrezin, SzaovaS, Körös und Kecskemvt immer<lb/>
eine bedeutende Anzahl derselben. Diese jungen Slaven zeichneten sich dnrch ihr<lb/>
wildes, oft sehr ausschweifendes Leben, durch völlige Bemachlässignug der Stu¬<lb/>
dien, durch Schulden- und Exccssemachen von allen übrigen Studenten aus. Der<lb/>
junge Naitze kam immer zu Anfang des Semesters in einem eleganten Anzug,<lb/>
mit einer reichen Garderobe und einer wohlgefüllten Börse in der Schnlstadt an,<lb/>
und bildete den Elegant in den Kaffee- und Schauspielhäusern. Besuchte mau<lb/>
ihn nach einem Monate in seiner Wohnung, so fand mau ihn um 11 Uhr<lb/>
Morgens in den Kleidern über dem Bette hingeworfen schnarchend, in dem ur¬<lb/>
sprünglich schon meublirten Zimmer herrscht die größte Unordnung, die Meubles<lb/>
sind zerrissen und mit Koth und Staub bedeckt, der Koffer ist leer, aus einem<lb/>
Nagel an der Wand hängt eine zerrissene, kolbige Hose, aus die der Jude nichts<lb/>
borgen wollte; der Anzug des schnarchenden ist ein verlumpter, sein Gesicht<lb/>
verstört, und hat man ihn durch langes Rütteln zum Erwachen gebracht, so ist<lb/>
sei» erstes Wort: &#x201E;Freund, hast Dn keinen Zwanziger? Die verfluchten Kerle<lb/>
haben mich heute Nacht fürchterlich genippt, mein ganzes Geld, meine Uhr und<lb/>
mein Ring, Alles ist dahin, ich habe keinen Groschen heute ein Mittagsbrod zu</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Gre»zbotcn II. I8S». 5-4</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] essantesten, ja oft pikanten Abenteuern bilden, braucht kaum erwähnt zu werden. Der Herr Richter hat ein blutjunges roseuwaugigeö Töchterchen, der Notar ein etwas blasses, aber sehr gefühlvolles und dem logatus wegen seiner Beschei¬ denheit besouders gewogenes Weibchen; auch die Schwester der Frau Pastorin, ein sehr belesenes, schlankes Mädchen vou 25 Jahren, wird von den National- melodien, die der junge Candidat besouders in der Gartenlaube n>it einer gewissen Herzlichkeit vorzutragen und mit der Guitarre vortrefflich zu accompagniren weiß, oft bis zu Seufzern hingerissen, und die Base der gnädigen Frau, ein sehr tugendhaftes, den Leidenschaften der tosenden Jugend durchaus fremdes Fräulein aus einem altadeligen, aber durch viele Unglücksfälle herabgekommenen Geschlechte, hat bei der Tasel, wo sie dem artigen Jüngling vis it öl» zu sitzen kam, die Bemerkungen desselben stets und einem zustimmenden Kopfnicken und ermun- ternden Lächeln begleitet u. s. w. Mit einem Wort, der Jo^us ist ein überall gern gesehener und oft sehr in Anspruch genommener Gast, und eS darf uns nicht wundern, wenn seine Predigt nicht so glänzend ausfällt, als wir bei den Proben vor seinen Collegen ans der Schule zu hoffen berechtigt waren, und wenn manchmal bei dem Gebete der seelenvolle Blick nach oben durch eiuen nach einer andern Seite der Kirche gerichteten unterbrochen wird. Der leibhafte Antipode des „to^Un«" ist der cleäk. Die Ranzen hatten bis jetzt, einige sehr schwache Gymnasien zu Neusatz und Bcrschetz ausgenommen, gar keine Schulen sür den hohem Unterricht. Die zahlreichen wohlhabenden raitzischcn Kaufleute schickten also ihre Söhne ans magyarische, und weil sie dem römischen Katholicismus am meisten abgeneigt waren, meist protestantische Lehr¬ anstalten, und man traf in Debrezin, SzaovaS, Körös und Kecskemvt immer eine bedeutende Anzahl derselben. Diese jungen Slaven zeichneten sich dnrch ihr wildes, oft sehr ausschweifendes Leben, durch völlige Bemachlässignug der Stu¬ dien, durch Schulden- und Exccssemachen von allen übrigen Studenten aus. Der junge Naitze kam immer zu Anfang des Semesters in einem eleganten Anzug, mit einer reichen Garderobe und einer wohlgefüllten Börse in der Schnlstadt an, und bildete den Elegant in den Kaffee- und Schauspielhäusern. Besuchte mau ihn nach einem Monate in seiner Wohnung, so fand mau ihn um 11 Uhr Morgens in den Kleidern über dem Bette hingeworfen schnarchend, in dem ur¬ sprünglich schon meublirten Zimmer herrscht die größte Unordnung, die Meubles sind zerrissen und mit Koth und Staub bedeckt, der Koffer ist leer, aus einem Nagel an der Wand hängt eine zerrissene, kolbige Hose, aus die der Jude nichts borgen wollte; der Anzug des schnarchenden ist ein verlumpter, sein Gesicht verstört, und hat man ihn durch langes Rütteln zum Erwachen gebracht, so ist sei» erstes Wort: „Freund, hast Dn keinen Zwanziger? Die verfluchten Kerle haben mich heute Nacht fürchterlich genippt, mein ganzes Geld, meine Uhr und mein Ring, Alles ist dahin, ich habe keinen Groschen heute ein Mittagsbrod zu Gre»zbotcn II. I8S». 5-4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/433>, abgerufen am 03.07.2024.