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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Die Weltgeschichte, so wie die vaterländische, werden hier mit einer freien
Kritik, und, selbst vom protestantischen Gesichtspunkte aus betrachtet, mit ziemlicher
Unparteilichkeit vorgetragen, und obwohl in neuerer Zeit der spätere Cultusminister
unter der revolutionären Regierung, Michael Horvath, Bischof von Csauäd"), mit
seiner Geschichte vou Ungarn alle frühern Leistungen aus diesem Gebiete über¬
traf, so haben doch die Protestantischen Professoren Schröer (bekannt unter dem
literarischen Namen Oeser) in Preßburg, Pöereli in Debrezin, Karika in Ketsch-
kemet und Vajda in Szarvaö durch deu lebendigen, von den Fesseln der Censur
unbeengten Vortrag und kleinere Werke bedeutend mehr geleistet; und haben diese
Vortrage, die immer viele Zuhörer und emsige Nachschreiber fanden, das Meiste
beigetragen, um die Ideen der Neuzeit bei den Magyaren zu assimiliren.

Die magyarische Sprache fand in den protestantischen Lehrern ihre sorgsamsten
Pfleger, die Literatur ihre eifrigsten Förderer.

Aber trotz dieser Symptome vou Gesundheit und Lebenskraft siechten doch
die protestantischen Kollegien und Lyceen an einem schwer heilbaren Nervenübel
und zwar des norvus rerum g'l-rlzneku'mu. Die katholischen Schulen wurden,
von dein Staat erhalten, und zwar von den Steuern, welche der Protestant und
der Jude mit dem Katholiken in gleicher Nepartitiou zahlte, aber ihre eigenen
Schulen mußten erstere aus eigenen Mitteln versorgen. Ja die östreichische Re¬
gierung ging so weit, den Protestanten an der Universität zu Pesth nicht nur den.
Zutritt zu deu außereonfessionellen Lehrstühlen, als Medizin, Ins und Philoso¬
phie, zu verweigern, sondern verhinderte auch noch, daß an dieser Hochschule für
die mehr als vier Millionen Protestanten, welche in Ungarn wohnen, eine theolo¬
gische Facultät errichtet werde. Die Lyceen und Kollegien waren also nicht bloß
Schulen des sogenannten philosophischen Kursus, sondern es wurde auch Ins ")
und protestantische Theologie in ihnen gelehrt, und da die schwachen Hilfsmittel der
ohnehin für den allgemeinen Staats- (das heißt katholischen) Unterricht besteuerten
Gläubigen nicht hinreichten, ein größeres Lehrerpersonal anständig zu besolden,
lind außerdem die nöthigen Utensilien einer jeden höhern Lehranstalt, als Leih¬
bibliotheken, Natur- und Kunstsammlungen, chemische und physikalische Laboratorien,
in gutem Stande zu erhalten, so mußten immer das eine oder das andere, oder
beide zugleich, leiden, und ein Professor mußte 2--4 ganz heterogene Wissen¬
schaften vortragen, während in der Physik und Chemie jedes Erperiment an der
Unbrauchbarkeit einer alten, aus der Sammlung irgend eines Gönners herbeige¬
schafften, fehlerhafte" Maschine scheiterte.




^) Ich l'ne in den Stand gesetzt, Diejenige", welche sich für die Ereignisse in Ungarn
während der letzten Jahre näher interessiren, zu versichern, daß wir in Bälde einem großern,
durch die Persönlichkeit des Ncrsassn'ö wichtigen und einen wahrhaft historischen Ueverblick
gewährenden Werke des gelehrten Eruiinistcrö über die ungarische Revolution entgegen sehen
An in. des Eins. dürfen.
^) Die protestantischen mußten sämmtlich Mia absolvirt haben.

Die Weltgeschichte, so wie die vaterländische, werden hier mit einer freien
Kritik, und, selbst vom protestantischen Gesichtspunkte aus betrachtet, mit ziemlicher
Unparteilichkeit vorgetragen, und obwohl in neuerer Zeit der spätere Cultusminister
unter der revolutionären Regierung, Michael Horvath, Bischof von Csauäd"), mit
seiner Geschichte vou Ungarn alle frühern Leistungen aus diesem Gebiete über¬
traf, so haben doch die Protestantischen Professoren Schröer (bekannt unter dem
literarischen Namen Oeser) in Preßburg, Pöereli in Debrezin, Karika in Ketsch-
kemet und Vajda in Szarvaö durch deu lebendigen, von den Fesseln der Censur
unbeengten Vortrag und kleinere Werke bedeutend mehr geleistet; und haben diese
Vortrage, die immer viele Zuhörer und emsige Nachschreiber fanden, das Meiste
beigetragen, um die Ideen der Neuzeit bei den Magyaren zu assimiliren.

Die magyarische Sprache fand in den protestantischen Lehrern ihre sorgsamsten
Pfleger, die Literatur ihre eifrigsten Förderer.

Aber trotz dieser Symptome vou Gesundheit und Lebenskraft siechten doch
die protestantischen Kollegien und Lyceen an einem schwer heilbaren Nervenübel
und zwar des norvus rerum g'l-rlzneku'mu. Die katholischen Schulen wurden,
von dein Staat erhalten, und zwar von den Steuern, welche der Protestant und
der Jude mit dem Katholiken in gleicher Nepartitiou zahlte, aber ihre eigenen
Schulen mußten erstere aus eigenen Mitteln versorgen. Ja die östreichische Re¬
gierung ging so weit, den Protestanten an der Universität zu Pesth nicht nur den.
Zutritt zu deu außereonfessionellen Lehrstühlen, als Medizin, Ins und Philoso¬
phie, zu verweigern, sondern verhinderte auch noch, daß an dieser Hochschule für
die mehr als vier Millionen Protestanten, welche in Ungarn wohnen, eine theolo¬
gische Facultät errichtet werde. Die Lyceen und Kollegien waren also nicht bloß
Schulen des sogenannten philosophischen Kursus, sondern es wurde auch Ins ")
und protestantische Theologie in ihnen gelehrt, und da die schwachen Hilfsmittel der
ohnehin für den allgemeinen Staats- (das heißt katholischen) Unterricht besteuerten
Gläubigen nicht hinreichten, ein größeres Lehrerpersonal anständig zu besolden,
lind außerdem die nöthigen Utensilien einer jeden höhern Lehranstalt, als Leih¬
bibliotheken, Natur- und Kunstsammlungen, chemische und physikalische Laboratorien,
in gutem Stande zu erhalten, so mußten immer das eine oder das andere, oder
beide zugleich, leiden, und ein Professor mußte 2—4 ganz heterogene Wissen¬
schaften vortragen, während in der Physik und Chemie jedes Erperiment an der
Unbrauchbarkeit einer alten, aus der Sammlung irgend eines Gönners herbeige¬
schafften, fehlerhafte» Maschine scheiterte.




^) Ich l'ne in den Stand gesetzt, Diejenige», welche sich für die Ereignisse in Ungarn
während der letzten Jahre näher interessiren, zu versichern, daß wir in Bälde einem großern,
durch die Persönlichkeit des Ncrsassn'ö wichtigen und einen wahrhaft historischen Ueverblick
gewährenden Werke des gelehrten Eruiinistcrö über die ungarische Revolution entgegen sehen
An in. des Eins. dürfen.
^) Die protestantischen mußten sämmtlich Mia absolvirt haben.
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[0430] Die Weltgeschichte, so wie die vaterländische, werden hier mit einer freien Kritik, und, selbst vom protestantischen Gesichtspunkte aus betrachtet, mit ziemlicher Unparteilichkeit vorgetragen, und obwohl in neuerer Zeit der spätere Cultusminister unter der revolutionären Regierung, Michael Horvath, Bischof von Csauäd"), mit seiner Geschichte vou Ungarn alle frühern Leistungen aus diesem Gebiete über¬ traf, so haben doch die Protestantischen Professoren Schröer (bekannt unter dem literarischen Namen Oeser) in Preßburg, Pöereli in Debrezin, Karika in Ketsch- kemet und Vajda in Szarvaö durch deu lebendigen, von den Fesseln der Censur unbeengten Vortrag und kleinere Werke bedeutend mehr geleistet; und haben diese Vortrage, die immer viele Zuhörer und emsige Nachschreiber fanden, das Meiste beigetragen, um die Ideen der Neuzeit bei den Magyaren zu assimiliren. Die magyarische Sprache fand in den protestantischen Lehrern ihre sorgsamsten Pfleger, die Literatur ihre eifrigsten Förderer. Aber trotz dieser Symptome vou Gesundheit und Lebenskraft siechten doch die protestantischen Kollegien und Lyceen an einem schwer heilbaren Nervenübel und zwar des norvus rerum g'l-rlzneku'mu. Die katholischen Schulen wurden, von dein Staat erhalten, und zwar von den Steuern, welche der Protestant und der Jude mit dem Katholiken in gleicher Nepartitiou zahlte, aber ihre eigenen Schulen mußten erstere aus eigenen Mitteln versorgen. Ja die östreichische Re¬ gierung ging so weit, den Protestanten an der Universität zu Pesth nicht nur den. Zutritt zu deu außereonfessionellen Lehrstühlen, als Medizin, Ins und Philoso¬ phie, zu verweigern, sondern verhinderte auch noch, daß an dieser Hochschule für die mehr als vier Millionen Protestanten, welche in Ungarn wohnen, eine theolo¬ gische Facultät errichtet werde. Die Lyceen und Kollegien waren also nicht bloß Schulen des sogenannten philosophischen Kursus, sondern es wurde auch Ins ") und protestantische Theologie in ihnen gelehrt, und da die schwachen Hilfsmittel der ohnehin für den allgemeinen Staats- (das heißt katholischen) Unterricht besteuerten Gläubigen nicht hinreichten, ein größeres Lehrerpersonal anständig zu besolden, lind außerdem die nöthigen Utensilien einer jeden höhern Lehranstalt, als Leih¬ bibliotheken, Natur- und Kunstsammlungen, chemische und physikalische Laboratorien, in gutem Stande zu erhalten, so mußten immer das eine oder das andere, oder beide zugleich, leiden, und ein Professor mußte 2—4 ganz heterogene Wissen¬ schaften vortragen, während in der Physik und Chemie jedes Erperiment an der Unbrauchbarkeit einer alten, aus der Sammlung irgend eines Gönners herbeige¬ schafften, fehlerhafte» Maschine scheiterte. ^) Ich l'ne in den Stand gesetzt, Diejenige», welche sich für die Ereignisse in Ungarn während der letzten Jahre näher interessiren, zu versichern, daß wir in Bälde einem großern, durch die Persönlichkeit des Ncrsassn'ö wichtigen und einen wahrhaft historischen Ueverblick gewährenden Werke des gelehrten Eruiinistcrö über die ungarische Revolution entgegen sehen An in. des Eins. dürfen. ^) Die protestantischen mußten sämmtlich Mia absolvirt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/430>, abgerufen am 22.07.2024.