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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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In der Form finden wir in den philosophischen Lehranstalten der Protestanten,
so wenig als in den Gymnasien, etwas von den katholischen besonders Abweichen¬
des. Auch hier treffen wir zwei Jahrgänge, auch hier dieselben obligaten
Studien und gebotenen Semestralprnfnngen; das ,,Was" ist also dasselbe, nnr
macht das "Wie" einen bedeutenden Unterschied. Während bei den Katholiken
sanctionirte, vor einem halben Seculum oder doch vor mehreren Decennien verfer¬
tigte, und von dein jeweiligen Stand der Wissenschaft iiumer mehr zurückbleibende
Handbücher geboten sind, und der Professor ein horribles Gesicht schneidet, wenn
einer der Schüler in der Privatcensur oder öffentlichen Semestralprüfnng seine
von exotischen Pflanzen gesammelten Früchte der Wissenschaft auftischt, haben die
Protestanten nur wenige, in neuester Zeit bearbeitete und ans deu besten Quellen
geschöpfte Hilföbncher, oder, wie es meistens der Fall ist, der Professor dictirt,
nach dem Muster der deutschen Schulen, jedes Jahr ein neues mit den neuesten
Producten des menschlichen Geistes bereichertes Compendium, und in seinem
Studium ist der Hörer an gar kein Buch gebunden, sondern kann unter den
Ansichten über einen wissenschaftliche Gegenstand diejenige wählen, welche seiner
individuellen Meinung am "leisten zusagt, und diese sogar in der öffentlichen
Prüfung gegen seinen Docenten vertheidigen. -- Diese Ungebundenheit findet
schon in dem Umstände einen Grund, daß die verschiedenen Schulen der Prote¬
stanten, selbst einer und derselben Confession, unter sich kein prioilegirtcS philo¬
sophisches System oder nnr eine angenommene Lehrmethode anerkennen, und wie,
nach der alten Landesverfassung, der Unterthan sich mir von dem Ackerfelde seines
Grundherrn auf das benachbarte, einem andern Herrn gehörige, zu flüchten brauchte,
um alleu Verfolgungen zu entgehen, so brauchte der protestantische Philosoph
nur die Reise von einigen Meilen zu unternehmen, um sich den Tenfelsklanen
Hegel's oder Feuerbach'S zu entreißen, und in dem friedlichen Schatten Krug's
oder gar des alten Vater Leibnih auszuruhen.

Die Disciplinargesche sind ganz dem Alter und der Würde eines Zöglings
des höhern Unterrichts angemessen, das Betragen der Lehrer gegen ihre Schüler
ein höchst würdiges, aber auch stets freundschaftliches; von "Defensionen" und
andern dergleichen edelmännischen Unarten ist hier keine Spur, und die Natur-
wissenschaften, welche in den philosophischen als propedeutischcn Schulen für die
Universität die größte Beachtung finden sollten, und welche bei den Katholiken
eine wrru, me^inen, bleiben, werden von den Protestanten mit Fleiß und Eifer
gelehrt. So erfreute sich die Botanik, Zoologie und Physik einer warmen Theil¬
nahme in Preßburg nnter dem vor drei Jahren verstorbenen und allgemein
betrauerten Martin, in Papa unter Tarcry und in Ketschkemet unter Tatai,
welche lchteve ans dein Gebiete der Physik und Mathematik durch ihre populäre,
in magyarischer Sprache verfaßte Werke auch für den Volksunterricht Bedeutendes
geleistet haben.


In der Form finden wir in den philosophischen Lehranstalten der Protestanten,
so wenig als in den Gymnasien, etwas von den katholischen besonders Abweichen¬
des. Auch hier treffen wir zwei Jahrgänge, auch hier dieselben obligaten
Studien und gebotenen Semestralprnfnngen; das ,,Was" ist also dasselbe, nnr
macht das „Wie" einen bedeutenden Unterschied. Während bei den Katholiken
sanctionirte, vor einem halben Seculum oder doch vor mehreren Decennien verfer¬
tigte, und von dein jeweiligen Stand der Wissenschaft iiumer mehr zurückbleibende
Handbücher geboten sind, und der Professor ein horribles Gesicht schneidet, wenn
einer der Schüler in der Privatcensur oder öffentlichen Semestralprüfnng seine
von exotischen Pflanzen gesammelten Früchte der Wissenschaft auftischt, haben die
Protestanten nur wenige, in neuester Zeit bearbeitete und ans deu besten Quellen
geschöpfte Hilföbncher, oder, wie es meistens der Fall ist, der Professor dictirt,
nach dem Muster der deutschen Schulen, jedes Jahr ein neues mit den neuesten
Producten des menschlichen Geistes bereichertes Compendium, und in seinem
Studium ist der Hörer an gar kein Buch gebunden, sondern kann unter den
Ansichten über einen wissenschaftliche Gegenstand diejenige wählen, welche seiner
individuellen Meinung am »leisten zusagt, und diese sogar in der öffentlichen
Prüfung gegen seinen Docenten vertheidigen. — Diese Ungebundenheit findet
schon in dem Umstände einen Grund, daß die verschiedenen Schulen der Prote¬
stanten, selbst einer und derselben Confession, unter sich kein prioilegirtcS philo¬
sophisches System oder nnr eine angenommene Lehrmethode anerkennen, und wie,
nach der alten Landesverfassung, der Unterthan sich mir von dem Ackerfelde seines
Grundherrn auf das benachbarte, einem andern Herrn gehörige, zu flüchten brauchte,
um alleu Verfolgungen zu entgehen, so brauchte der protestantische Philosoph
nur die Reise von einigen Meilen zu unternehmen, um sich den Tenfelsklanen
Hegel's oder Feuerbach'S zu entreißen, und in dem friedlichen Schatten Krug's
oder gar des alten Vater Leibnih auszuruhen.

Die Disciplinargesche sind ganz dem Alter und der Würde eines Zöglings
des höhern Unterrichts angemessen, das Betragen der Lehrer gegen ihre Schüler
ein höchst würdiges, aber auch stets freundschaftliches; von „Defensionen" und
andern dergleichen edelmännischen Unarten ist hier keine Spur, und die Natur-
wissenschaften, welche in den philosophischen als propedeutischcn Schulen für die
Universität die größte Beachtung finden sollten, und welche bei den Katholiken
eine wrru, me^inen, bleiben, werden von den Protestanten mit Fleiß und Eifer
gelehrt. So erfreute sich die Botanik, Zoologie und Physik einer warmen Theil¬
nahme in Preßburg nnter dem vor drei Jahren verstorbenen und allgemein
betrauerten Martin, in Papa unter Tarcry und in Ketschkemet unter Tatai,
welche lchteve ans dein Gebiete der Physik und Mathematik durch ihre populäre,
in magyarischer Sprache verfaßte Werke auch für den Volksunterricht Bedeutendes
geleistet haben.


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[0429] In der Form finden wir in den philosophischen Lehranstalten der Protestanten, so wenig als in den Gymnasien, etwas von den katholischen besonders Abweichen¬ des. Auch hier treffen wir zwei Jahrgänge, auch hier dieselben obligaten Studien und gebotenen Semestralprnfnngen; das ,,Was" ist also dasselbe, nnr macht das „Wie" einen bedeutenden Unterschied. Während bei den Katholiken sanctionirte, vor einem halben Seculum oder doch vor mehreren Decennien verfer¬ tigte, und von dein jeweiligen Stand der Wissenschaft iiumer mehr zurückbleibende Handbücher geboten sind, und der Professor ein horribles Gesicht schneidet, wenn einer der Schüler in der Privatcensur oder öffentlichen Semestralprüfnng seine von exotischen Pflanzen gesammelten Früchte der Wissenschaft auftischt, haben die Protestanten nur wenige, in neuester Zeit bearbeitete und ans deu besten Quellen geschöpfte Hilföbncher, oder, wie es meistens der Fall ist, der Professor dictirt, nach dem Muster der deutschen Schulen, jedes Jahr ein neues mit den neuesten Producten des menschlichen Geistes bereichertes Compendium, und in seinem Studium ist der Hörer an gar kein Buch gebunden, sondern kann unter den Ansichten über einen wissenschaftliche Gegenstand diejenige wählen, welche seiner individuellen Meinung am »leisten zusagt, und diese sogar in der öffentlichen Prüfung gegen seinen Docenten vertheidigen. — Diese Ungebundenheit findet schon in dem Umstände einen Grund, daß die verschiedenen Schulen der Prote¬ stanten, selbst einer und derselben Confession, unter sich kein prioilegirtcS philo¬ sophisches System oder nnr eine angenommene Lehrmethode anerkennen, und wie, nach der alten Landesverfassung, der Unterthan sich mir von dem Ackerfelde seines Grundherrn auf das benachbarte, einem andern Herrn gehörige, zu flüchten brauchte, um alleu Verfolgungen zu entgehen, so brauchte der protestantische Philosoph nur die Reise von einigen Meilen zu unternehmen, um sich den Tenfelsklanen Hegel's oder Feuerbach'S zu entreißen, und in dem friedlichen Schatten Krug's oder gar des alten Vater Leibnih auszuruhen. Die Disciplinargesche sind ganz dem Alter und der Würde eines Zöglings des höhern Unterrichts angemessen, das Betragen der Lehrer gegen ihre Schüler ein höchst würdiges, aber auch stets freundschaftliches; von „Defensionen" und andern dergleichen edelmännischen Unarten ist hier keine Spur, und die Natur- wissenschaften, welche in den philosophischen als propedeutischcn Schulen für die Universität die größte Beachtung finden sollten, und welche bei den Katholiken eine wrru, me^inen, bleiben, werden von den Protestanten mit Fleiß und Eifer gelehrt. So erfreute sich die Botanik, Zoologie und Physik einer warmen Theil¬ nahme in Preßburg nnter dem vor drei Jahren verstorbenen und allgemein betrauerten Martin, in Papa unter Tarcry und in Ketschkemet unter Tatai, welche lchteve ans dein Gebiete der Physik und Mathematik durch ihre populäre, in magyarischer Sprache verfaßte Werke auch für den Volksunterricht Bedeutendes geleistet haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/429>, abgerufen am 22.07.2024.