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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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seinen Tabaksbeutel die Nasenprobe passiren ließen, über die Echtheit seiner
Auöschußblätter legitimiren mußte; in Ungarn fiel in zehn Jahren nur einmal
eine Neknitirung, die von den 2W jungen Burschen eines Dorfes kaum 5 -- 8
zum Opfer verlangte, während die unheilvolle Conscription jedes Jahr an
der Thüre des östreichischen Bauers pochte, und einen, zwei, ja oft drei seiner
Söhne an die verhaften Weißröckler auslieferte; der Ungar aß weißes Brod,
trank guten Wein und zahlte wenig Steuer, während die arbeitende Classe der
übrigen Länder sich kaum an Kartoffeln satt essen und an Weißbier oder schlechten
Branntwein betrinken dürfte, und seine mühsam zusammengebrachte Ersparnisse
aufs Kreisamt tragen mußte n. s. w. Diese Umstände haben ein gewisses stolzes
Selbstgefühl bei dein ungarische" Bauer erweckt, und er blickte immer mit einen:
demüthigenden Mitleid aus seinen östreichischen StandeSgefahrten. Nun aber
hatte er nnter Joseph II. bei der anbefohlenen Numerirung der Häuser und
Volkszählung, die er für nichts andres als Vorboten zur Conscription und Mili-
täraushcbuug betrachtete, ferner bei dem angeordneten Schulzwang für seine Kin¬
der und den eingeführten KreiSämteru, ebensoviele Vorgefühle jeuer verhaßten
Maßregeln empfunden, welche ihm sein Leben zu verbittern drohten, und diese
wurden allesammt von "deutschen Herren" bei ihm eingeschmuggelt, und da es
nicht die Sache eines ungarischen Bauern ist, überhaupt zu distiuguircu, so faßte die
Meinung "vom D en thes en ko um en a l l e Plagen" bald die tiefsten Wurzeln
in seinem Gemüthe. Aber selbst nach der Rücknahme der Josephiuschen Maßregeln
fand er überall einen deutscheu Amtsrock und ein schuurbartloses Gesicht, wo eS
galt, seine innigsten Gefühle, oder seine ihm von dem Edelmanne gelassene Frei¬
heit zu verletzen. So wurde die Recrutirung, welche vor dem Jahre 1840 in
Ungarn mit dem Strick vollführt wurde"), durch deutsche Offiziere und
deutsche Assentirungöärzte vollzogen, während der ungarische Stuhlrichter, der
zugegen war, eine mehr Vermittelnde Rolle spielte, und selbst manchen schönen
Burschen, wenn die Umstände für ihn sprachen, zu seinen jammernden Eltern zu¬
rückführte. Wollte er Tabak oder Speck nach Oestreich schmuggeln, so war es ein
deutscher Grenzanfseher, der ihm das Bayouuett entgegenstemmte; reiste er
über die Grenze, so war es wieder ein Deutscher der ihm einen Paß abfor¬
derte, ein Ding, das er zu Hause vielleicht nie nennen hörte. Nur eines sei¬
ner Bedürfnisse mußte er in seinem "von Honig und Milch fließenden Lande"
theuer bezahlen, nämlich das Salz, und dies wurde ihm von einem Deutschen




Der nach seinem gewöhnliche" Ausdruck "gewiß mehr ist als celle deutschen Grafen
und Fürsten zusammengenommen."
Man hat nämlich, sobald ein zu Stellendes Contingent von dem Landtage bewilligt
war, in jedem Comuate einen Tag bestimmt, an den, die Militäreommission nächtlichenvcisc
in die Dörfer einfiel, alle vorfindliche" jungen Leute znsammcnfing und die tauglichsten unter
ihnen bis zur bestimmten Zahl herausnahm.

seinen Tabaksbeutel die Nasenprobe passiren ließen, über die Echtheit seiner
Auöschußblätter legitimiren mußte; in Ungarn fiel in zehn Jahren nur einmal
eine Neknitirung, die von den 2W jungen Burschen eines Dorfes kaum 5 — 8
zum Opfer verlangte, während die unheilvolle Conscription jedes Jahr an
der Thüre des östreichischen Bauers pochte, und einen, zwei, ja oft drei seiner
Söhne an die verhaften Weißröckler auslieferte; der Ungar aß weißes Brod,
trank guten Wein und zahlte wenig Steuer, während die arbeitende Classe der
übrigen Länder sich kaum an Kartoffeln satt essen und an Weißbier oder schlechten
Branntwein betrinken dürfte, und seine mühsam zusammengebrachte Ersparnisse
aufs Kreisamt tragen mußte n. s. w. Diese Umstände haben ein gewisses stolzes
Selbstgefühl bei dein ungarische» Bauer erweckt, und er blickte immer mit einen:
demüthigenden Mitleid aus seinen östreichischen StandeSgefahrten. Nun aber
hatte er nnter Joseph II. bei der anbefohlenen Numerirung der Häuser und
Volkszählung, die er für nichts andres als Vorboten zur Conscription und Mili-
täraushcbuug betrachtete, ferner bei dem angeordneten Schulzwang für seine Kin¬
der und den eingeführten KreiSämteru, ebensoviele Vorgefühle jeuer verhaßten
Maßregeln empfunden, welche ihm sein Leben zu verbittern drohten, und diese
wurden allesammt von „deutschen Herren" bei ihm eingeschmuggelt, und da es
nicht die Sache eines ungarischen Bauern ist, überhaupt zu distiuguircu, so faßte die
Meinung „vom D en thes en ko um en a l l e Plagen" bald die tiefsten Wurzeln
in seinem Gemüthe. Aber selbst nach der Rücknahme der Josephiuschen Maßregeln
fand er überall einen deutscheu Amtsrock und ein schuurbartloses Gesicht, wo eS
galt, seine innigsten Gefühle, oder seine ihm von dem Edelmanne gelassene Frei¬
heit zu verletzen. So wurde die Recrutirung, welche vor dem Jahre 1840 in
Ungarn mit dem Strick vollführt wurde"), durch deutsche Offiziere und
deutsche Assentirungöärzte vollzogen, während der ungarische Stuhlrichter, der
zugegen war, eine mehr Vermittelnde Rolle spielte, und selbst manchen schönen
Burschen, wenn die Umstände für ihn sprachen, zu seinen jammernden Eltern zu¬
rückführte. Wollte er Tabak oder Speck nach Oestreich schmuggeln, so war es ein
deutscher Grenzanfseher, der ihm das Bayouuett entgegenstemmte; reiste er
über die Grenze, so war es wieder ein Deutscher der ihm einen Paß abfor¬
derte, ein Ding, das er zu Hause vielleicht nie nennen hörte. Nur eines sei¬
ner Bedürfnisse mußte er in seinem „von Honig und Milch fließenden Lande"
theuer bezahlen, nämlich das Salz, und dies wurde ihm von einem Deutschen




Der nach seinem gewöhnliche» Ausdruck „gewiß mehr ist als celle deutschen Grafen
und Fürsten zusammengenommen."
Man hat nämlich, sobald ein zu Stellendes Contingent von dem Landtage bewilligt
war, in jedem Comuate einen Tag bestimmt, an den, die Militäreommission nächtlichenvcisc
in die Dörfer einfiel, alle vorfindliche» jungen Leute znsammcnfing und die tauglichsten unter
ihnen bis zur bestimmten Zahl herausnahm.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/398>, abgerufen am 22.07.2024.