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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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russischen Truppen nach Ungarn rief, war sein Unrecht, denn damals blieb
ihm nichts Anderes mehr übrig, sondern sein Unrecht war, daß er nicht
Geistesgröße und Weisheit genng besaß, um im Herbst 48, als er das Ministe¬
rium antrat, Ungarn durch Unterhandlungen zu pacificireu; sein Unrecht ist, daß
er zu klein war für die großen Verhältnisse, die er beherrschen sollte. Wie
auch die Kollegen des Fürsten über die jetzige Abhängigkeit der kaiserlichen Po-
litik vom Czaren denken mögen, sie betrachten dieselbe als eine Nothwendigkeit
für Oestreich, denn sie erkennen jeder in seinem Ressort mit banger Furcht, daß
der Staat vor Allem Ruhe braucht, um sich zu erhalten, und daß eine wachsame
und selbstständige Politik gegen den Osten einen größern Aufwand von Kraft und
Mitteln erfordern würde, als der Staat jetzt aufzuwenden im Stande ist.

Für die Reorganisation im Jnnern aber ist ihnen durch die Kriege des ver¬
gangenen Jahres das furchtbare Hinderniß der Generalcommandos und des militä¬
rischen Regiments aufgeschossen. Die wichtigsten Theile des Staates stehen unter
dem Militärgesetze, und was für die Minister eiupfiudlichcr wird, uuter der Herr¬
schaft von Generälen, von denen sie als Parvenus und Civilisten verachtet werden.
Dieser Hahnau, selbst der weniger gefährliche Melden, sind jetzt die größten Feinde
der Minister, denn täglich geben sie durch Brutalitäten und rohe Willkür der Re¬
gierung das größte Dementi. Als die Retter deö Thrones und die Helden'an
der Tafelrunde des jungen Kaisers benutzen sie ihren persönlichen und Familien-
eiufluß an der Stelle, von welcher keine Apcllation stattfindet, ihren Willen durch¬
zusetzen, und das Verständige, das die Minister beabsichtigen, dnrch höchst un¬
verständigen Zusatz zu verwirren. In letzter Zeit ist dieser Gegensatz zwischen den
herrschenden Generälen und den nicht regierenden Ministern endlich zu einer Höhe
gekommen und die gegenseitige Antipathie ist so hoch gestiegen, daß wir in den
nächsten Wochen die Anzeichen eines offenen Bruches erwarten müssen. Wer Oest¬
reich liebt, muß den Ministern den Sieg wünschen und in dem Kampfe ihre Partei
nehmen.

Und ihr Kampf geht nicht nur gegen die kriegerischen Neigungen des Kaisers
und dessen nächste persönliche Umgebung, nicht nur gegen die Tyrannei der Gene¬
räle, sondern auch gegen die Hochtorys der böhmischen, deutschen und ungarischen
Aristokratie, welche die Reformatoren im Ministerium hassen, weil diese auf dem
allerdings revolutionären AblösuugSpatent stehen bleiben müssen, und dieselben
verachten, weil sie Plebejer siud. Der altcouservatwe Graf sagt: Wer ist dieser
Bach, dieser Brück, daß sie mich als Werkzeug verwenden wollen sür ihre Neue-
rungen? ihre Väter und Großväter haben den meinen die Steigbügel gehalten;
gerade wie Feldmarschall Haynau eine ministerielle Verfügung unter den Tisch
wirst und wochenlang ungelesen im Staube liegen läßt, und wie der Kaiser selbst
einen Hofjunker oder vertrauten Kammerdiener abschickt, um an seiner Statt im
Ministerrathe zu Präsidiren. Es ist zu bewundern, mit welcher Geduld, Zähigkeit


russischen Truppen nach Ungarn rief, war sein Unrecht, denn damals blieb
ihm nichts Anderes mehr übrig, sondern sein Unrecht war, daß er nicht
Geistesgröße und Weisheit genng besaß, um im Herbst 48, als er das Ministe¬
rium antrat, Ungarn durch Unterhandlungen zu pacificireu; sein Unrecht ist, daß
er zu klein war für die großen Verhältnisse, die er beherrschen sollte. Wie
auch die Kollegen des Fürsten über die jetzige Abhängigkeit der kaiserlichen Po-
litik vom Czaren denken mögen, sie betrachten dieselbe als eine Nothwendigkeit
für Oestreich, denn sie erkennen jeder in seinem Ressort mit banger Furcht, daß
der Staat vor Allem Ruhe braucht, um sich zu erhalten, und daß eine wachsame
und selbstständige Politik gegen den Osten einen größern Aufwand von Kraft und
Mitteln erfordern würde, als der Staat jetzt aufzuwenden im Stande ist.

Für die Reorganisation im Jnnern aber ist ihnen durch die Kriege des ver¬
gangenen Jahres das furchtbare Hinderniß der Generalcommandos und des militä¬
rischen Regiments aufgeschossen. Die wichtigsten Theile des Staates stehen unter
dem Militärgesetze, und was für die Minister eiupfiudlichcr wird, uuter der Herr¬
schaft von Generälen, von denen sie als Parvenus und Civilisten verachtet werden.
Dieser Hahnau, selbst der weniger gefährliche Melden, sind jetzt die größten Feinde
der Minister, denn täglich geben sie durch Brutalitäten und rohe Willkür der Re¬
gierung das größte Dementi. Als die Retter deö Thrones und die Helden'an
der Tafelrunde des jungen Kaisers benutzen sie ihren persönlichen und Familien-
eiufluß an der Stelle, von welcher keine Apcllation stattfindet, ihren Willen durch¬
zusetzen, und das Verständige, das die Minister beabsichtigen, dnrch höchst un¬
verständigen Zusatz zu verwirren. In letzter Zeit ist dieser Gegensatz zwischen den
herrschenden Generälen und den nicht regierenden Ministern endlich zu einer Höhe
gekommen und die gegenseitige Antipathie ist so hoch gestiegen, daß wir in den
nächsten Wochen die Anzeichen eines offenen Bruches erwarten müssen. Wer Oest¬
reich liebt, muß den Ministern den Sieg wünschen und in dem Kampfe ihre Partei
nehmen.

Und ihr Kampf geht nicht nur gegen die kriegerischen Neigungen des Kaisers
und dessen nächste persönliche Umgebung, nicht nur gegen die Tyrannei der Gene¬
räle, sondern auch gegen die Hochtorys der böhmischen, deutschen und ungarischen
Aristokratie, welche die Reformatoren im Ministerium hassen, weil diese auf dem
allerdings revolutionären AblösuugSpatent stehen bleiben müssen, und dieselben
verachten, weil sie Plebejer siud. Der altcouservatwe Graf sagt: Wer ist dieser
Bach, dieser Brück, daß sie mich als Werkzeug verwenden wollen sür ihre Neue-
rungen? ihre Väter und Großväter haben den meinen die Steigbügel gehalten;
gerade wie Feldmarschall Haynau eine ministerielle Verfügung unter den Tisch
wirst und wochenlang ungelesen im Staube liegen läßt, und wie der Kaiser selbst
einen Hofjunker oder vertrauten Kammerdiener abschickt, um an seiner Statt im
Ministerrathe zu Präsidiren. Es ist zu bewundern, mit welcher Geduld, Zähigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/39>, abgerufen am 22.07.2024.