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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ger Sicherheit den eigenen Kohl zu bauen. Es wird bei solchen Verhältnissen
dem verständigen Urtheil immer frei stehn müssen, jede einzelne Maßregel der Re¬
gierung für verderblich zu erklären, ja anch die Verhältnisse des Jahres 48., denen
das Ministerium seinen Ursprung verdankt, als die Folge von Fehlern und Sün¬
den der Regierenden, wie der Völker zu verdammen; aber kein Politiker von Er¬
fahrung wird das Ministerium deshalb prinzipiell angreifen, weil es seinen Ur¬
sprung einer unseligen Zeit verdankt, deren Schatten weit in die Zukunft des
Staates hineinreichen und das Licht verringern, in welchem das Ministerium nach
unsrer Ansicht vorwärts wandeln müßte.

In der That aber stellt sich die Frage so: dürfen wir die Männer, welche
das Ministerium Schwarzenberg bilden, deshalb verurtheilen, weil sie ihr Amt
unter Verhältnissen fortführen, welche ihnen nicht erlaube", in allen Punkten nach
ihrem besten Erkennen zu handeln? In jedem geordneten Staatsleben muß der
Mann von der öffentlichen Meinung verurtheilt werden, welcher als Mitglied ei¬
nes Ministeriums zugibt,, daß Verfügungen erlassen werden und Dinge geschehen,
welche mit seinen Ueberzeugungen in wesentlichem Conflict stehen; aber bei uns
steht die Sache doch anders. Es galt, die ungeheure Wucht der Völkermassen
Oestreichs, welche wie eine stürzende Lavine dem Abgrund zurollten, mit Anspan¬
nung aller Kräfte aufzuhalten. Riesengroß war die Gefahr, und das Verderben
drohte von alle" Seiten. Wer in solchem Fall zur Hülfe gerufen wird, und in-
stinctmäßig "ach dem ersten Mittel greift, welches sich ihm darbietet, der wird
selten die Möglichkeit haben, sich zu fragen, wie viel die Opfer kosten, im Ver¬
hältniß zu dein, was er retten will; und er wird das Recht haben, auch von sei¬
nen Feinden ein milderes Urtheil zu beauspruchen, wenn er Kostbares geopfert hat,
um Größeres zu erhalten. Und so wird die Frage nach der Berechtigung des
Ministeriums zuletzt darnach beantwortet werden müssen, wie hoch mau die Existenz
des Habsburgischen Staates anschlägt, und nur der wird das Recht haben, princi¬
piell das Ministerium zu verurtheilen, der den Wunsch hat, daß Oestreich sich
auflöse. Er verurtheilt daun aber nicht als ein nnparteischer und gerechter Mann,
sondern er haßt vom Standpunkt seiner Partei, von dem aus er jede mögliche
Berechtigung haben mag.

Bis jetzt hat das Ministerium überhaupt uoch wenig Gelegenheit gehabt,
seine Negicrungöprincipien frei zu äußern, denn bis zu diesem Augenbick sind die
activen Kräfte desselben: Schmerling, Bach und Brück, noch in einem Kampf be¬
griffen, den das Publikum zwar zuweilen merkt, dessen Peinlichkeit aber sie allein
durchzukosten haben. -- In der äußern Politik ist seit der russischem Intervention
leider für den Staat ein Weg vorgeschrieben, von welchem abzugehen vorläufig
höchst gefährlich, ja verderblich wäre. Mau hat deu Fürsten Schwarzenberg mit
Recht wegen des Bündnisses mit Nußland angeklagt, aber man hat den Punkt
nicht genau bezeichnet, wo er schuldig ist. Nicht daß er im Frühjahr 49 die


ger Sicherheit den eigenen Kohl zu bauen. Es wird bei solchen Verhältnissen
dem verständigen Urtheil immer frei stehn müssen, jede einzelne Maßregel der Re¬
gierung für verderblich zu erklären, ja anch die Verhältnisse des Jahres 48., denen
das Ministerium seinen Ursprung verdankt, als die Folge von Fehlern und Sün¬
den der Regierenden, wie der Völker zu verdammen; aber kein Politiker von Er¬
fahrung wird das Ministerium deshalb prinzipiell angreifen, weil es seinen Ur¬
sprung einer unseligen Zeit verdankt, deren Schatten weit in die Zukunft des
Staates hineinreichen und das Licht verringern, in welchem das Ministerium nach
unsrer Ansicht vorwärts wandeln müßte.

In der That aber stellt sich die Frage so: dürfen wir die Männer, welche
das Ministerium Schwarzenberg bilden, deshalb verurtheilen, weil sie ihr Amt
unter Verhältnissen fortführen, welche ihnen nicht erlaube», in allen Punkten nach
ihrem besten Erkennen zu handeln? In jedem geordneten Staatsleben muß der
Mann von der öffentlichen Meinung verurtheilt werden, welcher als Mitglied ei¬
nes Ministeriums zugibt,, daß Verfügungen erlassen werden und Dinge geschehen,
welche mit seinen Ueberzeugungen in wesentlichem Conflict stehen; aber bei uns
steht die Sache doch anders. Es galt, die ungeheure Wucht der Völkermassen
Oestreichs, welche wie eine stürzende Lavine dem Abgrund zurollten, mit Anspan¬
nung aller Kräfte aufzuhalten. Riesengroß war die Gefahr, und das Verderben
drohte von alle» Seiten. Wer in solchem Fall zur Hülfe gerufen wird, und in-
stinctmäßig »ach dem ersten Mittel greift, welches sich ihm darbietet, der wird
selten die Möglichkeit haben, sich zu fragen, wie viel die Opfer kosten, im Ver¬
hältniß zu dein, was er retten will; und er wird das Recht haben, auch von sei¬
nen Feinden ein milderes Urtheil zu beauspruchen, wenn er Kostbares geopfert hat,
um Größeres zu erhalten. Und so wird die Frage nach der Berechtigung des
Ministeriums zuletzt darnach beantwortet werden müssen, wie hoch mau die Existenz
des Habsburgischen Staates anschlägt, und nur der wird das Recht haben, princi¬
piell das Ministerium zu verurtheilen, der den Wunsch hat, daß Oestreich sich
auflöse. Er verurtheilt daun aber nicht als ein nnparteischer und gerechter Mann,
sondern er haßt vom Standpunkt seiner Partei, von dem aus er jede mögliche
Berechtigung haben mag.

Bis jetzt hat das Ministerium überhaupt uoch wenig Gelegenheit gehabt,
seine Negicrungöprincipien frei zu äußern, denn bis zu diesem Augenbick sind die
activen Kräfte desselben: Schmerling, Bach und Brück, noch in einem Kampf be¬
griffen, den das Publikum zwar zuweilen merkt, dessen Peinlichkeit aber sie allein
durchzukosten haben. — In der äußern Politik ist seit der russischem Intervention
leider für den Staat ein Weg vorgeschrieben, von welchem abzugehen vorläufig
höchst gefährlich, ja verderblich wäre. Mau hat deu Fürsten Schwarzenberg mit
Recht wegen des Bündnisses mit Nußland angeklagt, aber man hat den Punkt
nicht genau bezeichnet, wo er schuldig ist. Nicht daß er im Frühjahr 49 die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/38>, abgerufen am 03.07.2024.