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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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und schließt mit einem Compliment an den Herzog von Orleans, den Soldaten
der dreifarbigen Fahne. -- Man sieht, das sind einfache Gegensätze: "Sonne
der Freiheit oder Nacht des Grabes!" ein klares, suchendes Pathos, das sich
in ven Bayouuetten concentrirt, mehr ein ausgeführtes Hurrah! als eine künstliche
Reflexion über die Natur der Begeisterung, in die mau sich zu stürzen beabsichtigt;
ganz wie es für ein nationales Lied sich paßt, welches den Inhalt des National-
gefühls nicht hervorrufen, sondern ausdrücken soll; ein ungezwungener, natürlicher
Rhytmus, wie bei Bvranger oder.Körner, eine verständliche Folge der Bilder
und Stimmungen, die deu Gesaug tragt, nicht stört; von deu zierlichen Arabesken
der "Orientalen" oder der süßen Schwärmerei der "Harmonien" keine Spur.
Freilich etwas Epigonenhaftes, wenn man es mit dem stolzen Schlachtruf der
Marseillaise vergleicht, wie es bei der Julirevolution nicht anders sein konnte.

Die politische Poesie ist gerade in diesen Tagen stark in Mißcredit gekommen.
Herr von Montalembert hat ans offener Tribune unserm Freunde Victor Hugo
sein poetisch-politisches Sündenregister vorgehalten, und den Wechsel seiner Ein¬
fälle als politische Apostatie gebrandmarkt. Mit Unrecht, wenn man bloß an den
Dichter denkt. Der lyrische Poet ist das Echo der öffentlichen Stimmung, sobald
er aus seiner individuellen Empfindung heraustritt; er schafft nicht die Sehnsucht
der Menge, er gibt ihr nur eine Stimme. Warum soll er nicht die Lilie lieben?
sie ist so romantisch! Warum nicht die Trikolore? sie hat Helden geführt! Warum
nicht die Sonne von Austerlitz! Die Loyalität des Thrones! Den Todesmuth der
Republikaner! Das Alles hat seiue poetischen Seiten. -- Freilich wird der
Dichter, wenn er seiue Visionen für swatSmännische Belehrungen ausgeben null,
sich der politischen Kritik nicht entziehen können, nud wenn er namentlich, wie
Victor Hugo, Lamartine, Engen Tue, Felir Pyat n. s. w. Gelegenheit hat,
unter den gesetzlichen Vertretern für diese oder jene Staatsform zu wirken, so
muß er eS sich gefallen lassen, wenn man seine Antecedentien in Erwägung zieht,
um daraus ans seine sittliche und intellectuelle Fähigkeit zu einem Urtheil in po¬
litischen Dingen zu schließen.

Delavigne hat in seinen Meinungen nicht gewechselt. Er war immer gemäßigt
liberal mit stark Napoleonistischcm Anstrich. Die classische Schule ist darin schon
durch ihre Natur begünstigt. Ihre Gesichtspunkte sind weniger complicirt, ihr
Geschmack weniger durch die Reflexion verwirrt, ihre Farben weniger schillernd.
Es ist bei uns ähnlich. Theodor Körner hätte noch lange fortdichten können, er
hätte seinen Standpunkt nicht wesentlich geändert; Stollberg dagegen, der sich
zuerst im Tyranncnblnt baden wollte, konnte nachher kaum mehr Worte finden,
seinen Haß gegen die Freiheit zu erschöpfen. Die romantische Phantasie ist hitzi¬
ger als die classische.

Delavigne hat in seiner Jugend eine Ode auf die Geburt des Königs von
Rom gedichtet, mit der Begeisterung, die der damalige Ton mit sich brachte.


und schließt mit einem Compliment an den Herzog von Orleans, den Soldaten
der dreifarbigen Fahne. — Man sieht, das sind einfache Gegensätze: „Sonne
der Freiheit oder Nacht des Grabes!" ein klares, suchendes Pathos, das sich
in ven Bayouuetten concentrirt, mehr ein ausgeführtes Hurrah! als eine künstliche
Reflexion über die Natur der Begeisterung, in die mau sich zu stürzen beabsichtigt;
ganz wie es für ein nationales Lied sich paßt, welches den Inhalt des National-
gefühls nicht hervorrufen, sondern ausdrücken soll; ein ungezwungener, natürlicher
Rhytmus, wie bei Bvranger oder.Körner, eine verständliche Folge der Bilder
und Stimmungen, die deu Gesaug tragt, nicht stört; von deu zierlichen Arabesken
der „Orientalen" oder der süßen Schwärmerei der „Harmonien" keine Spur.
Freilich etwas Epigonenhaftes, wenn man es mit dem stolzen Schlachtruf der
Marseillaise vergleicht, wie es bei der Julirevolution nicht anders sein konnte.

Die politische Poesie ist gerade in diesen Tagen stark in Mißcredit gekommen.
Herr von Montalembert hat ans offener Tribune unserm Freunde Victor Hugo
sein poetisch-politisches Sündenregister vorgehalten, und den Wechsel seiner Ein¬
fälle als politische Apostatie gebrandmarkt. Mit Unrecht, wenn man bloß an den
Dichter denkt. Der lyrische Poet ist das Echo der öffentlichen Stimmung, sobald
er aus seiner individuellen Empfindung heraustritt; er schafft nicht die Sehnsucht
der Menge, er gibt ihr nur eine Stimme. Warum soll er nicht die Lilie lieben?
sie ist so romantisch! Warum nicht die Trikolore? sie hat Helden geführt! Warum
nicht die Sonne von Austerlitz! Die Loyalität des Thrones! Den Todesmuth der
Republikaner! Das Alles hat seiue poetischen Seiten. — Freilich wird der
Dichter, wenn er seiue Visionen für swatSmännische Belehrungen ausgeben null,
sich der politischen Kritik nicht entziehen können, nud wenn er namentlich, wie
Victor Hugo, Lamartine, Engen Tue, Felir Pyat n. s. w. Gelegenheit hat,
unter den gesetzlichen Vertretern für diese oder jene Staatsform zu wirken, so
muß er eS sich gefallen lassen, wenn man seine Antecedentien in Erwägung zieht,
um daraus ans seine sittliche und intellectuelle Fähigkeit zu einem Urtheil in po¬
litischen Dingen zu schließen.

Delavigne hat in seinen Meinungen nicht gewechselt. Er war immer gemäßigt
liberal mit stark Napoleonistischcm Anstrich. Die classische Schule ist darin schon
durch ihre Natur begünstigt. Ihre Gesichtspunkte sind weniger complicirt, ihr
Geschmack weniger durch die Reflexion verwirrt, ihre Farben weniger schillernd.
Es ist bei uns ähnlich. Theodor Körner hätte noch lange fortdichten können, er
hätte seinen Standpunkt nicht wesentlich geändert; Stollberg dagegen, der sich
zuerst im Tyranncnblnt baden wollte, konnte nachher kaum mehr Worte finden,
seinen Haß gegen die Freiheit zu erschöpfen. Die romantische Phantasie ist hitzi¬
ger als die classische.

Delavigne hat in seiner Jugend eine Ode auf die Geburt des Königs von
Rom gedichtet, mit der Begeisterung, die der damalige Ton mit sich brachte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/382>, abgerufen am 03.07.2024.