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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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unfruchtbare Coujccturalpolitik herrscht in der Presse und aus leisen Andeutungen
baut man sich Verhältnisse und Systeme auf, zieht Hoffnungen oder Befürchtun¬
gen groß, je nach dem Standpunkt des Urtheilenden. Ihr Blatt greift die Ma߬
regeln des Ministeriums oft sehr entschieden an, gestatten Sie einem unabhängigen
Mann auch einige Bemerkungen für das Ministerium, welches doch einmal die be¬
deutendsten administrativen Kräfte des Kaiserstaats, -- mit sehr wenigen Ausnah¬
men -- an sich herangezogen hat.

Zunächst die Bemerkung, daß die Existenz und Dauerhaftigkeit des Ministe¬
riums hauptsächlich daher kommt, weil es an Kräften fehlt, welche ein anders
bilden könnten. Sehn Sie sich um in der ganzen Monarchie, Sie werden keine
Partei finden, welche im Staude ist, durch ihre Talente die Negieruugsbedürsnisse
zu befriedigen, weder die Aristokratie, noch die Czechen, noch die liberalen Deut¬
schen des Reichstags von ^8. Einzelne bedeutende Persönlichkeiten, welche im
Stande wären, sich zu Staatsmännern auszubilden, werden Sie bei allen finden,
keine aber ist stark genug ein ganzes Ministerium zu formiren, selbst wenn sie,
was nicht der Fall ist, das Vertrauen der Majorität der Volker für sich hätte.
Außerdem fehlen allen parlamentarischen Helden die Kenntnisse und die Er¬
fahrungen, welche nöthig siud, um in dieser gefährlichen Zeit das Steuer mit
Kraft zu führen. Die wenigen administrativen Talente, welche nicht mit dein Mi¬
nisterium verbunden siud, z, B. PillerSdorf, gehören kaum einer politischen Partei
an, und siud wieder so verschiede" gebildet, daß eine Combination derselben zu
einem Ministerium gar nicht möglich wäre. Es kommt hier nicht darauf an,
woher dieser Maugel an politischen Talenten in Oestreich stammt, wohl aber ist
es nöthig sich klar zu machen, daß er in der That vorhanden ist; denn wo die
Armuth nicht an Kapacitäten, sondern an technischer Sicherheit so groß ist wie bei
uns, gewinnt jedes Ministerium, welches im Stande ist, die Regierung zu führen,
eine relative Berechtigung. Schärfer, aber nicht weniger wahr, läßt sich das so
ausdrücken, daß auch dem edelsten Volk das Recht bestritten werden kaun, die
Staatsangelegenheiten nach der Majorität seiner Stimmungen und seines Willens
zu verwalten, so lauge es nicht im Stande ist, aus sich selbst heraus Charaktere
in genügender Anzahl zu schaffen, welche die Last ans ihre Schultern nehmen
können.

Und betrachten Sie unbefangen die Wünsche und Stimmungen der östreichi¬
schen Volker, die so weit divergiren, daß sie freigelassen den Staat noch jetzt
sprengen müßten; war es möglich aus ihnen eine Vcrwal'ung sür deu Gesammt-
staat zu schaffen? Hat nicht das jetzige Ministerium sich eine östreichische Partei
erst schaffen müssen? Cs ist wahr, es ist eine uuverznverl.ißige und deßhalb
schlechte Partei, sie hat keine Thatkraft, keinen eigene" Willen, aber sie ist doch
vorhanden n"d vorläufig eine Stütze für die Regierung, deren Thätigkeit den Un¬
thätigen imponirt und deren Herrschaft den Einzelnen erlaubt mit verhältuißmäßi-


unfruchtbare Coujccturalpolitik herrscht in der Presse und aus leisen Andeutungen
baut man sich Verhältnisse und Systeme auf, zieht Hoffnungen oder Befürchtun¬
gen groß, je nach dem Standpunkt des Urtheilenden. Ihr Blatt greift die Ma߬
regeln des Ministeriums oft sehr entschieden an, gestatten Sie einem unabhängigen
Mann auch einige Bemerkungen für das Ministerium, welches doch einmal die be¬
deutendsten administrativen Kräfte des Kaiserstaats, — mit sehr wenigen Ausnah¬
men — an sich herangezogen hat.

Zunächst die Bemerkung, daß die Existenz und Dauerhaftigkeit des Ministe¬
riums hauptsächlich daher kommt, weil es an Kräften fehlt, welche ein anders
bilden könnten. Sehn Sie sich um in der ganzen Monarchie, Sie werden keine
Partei finden, welche im Staude ist, durch ihre Talente die Negieruugsbedürsnisse
zu befriedigen, weder die Aristokratie, noch die Czechen, noch die liberalen Deut¬
schen des Reichstags von ^8. Einzelne bedeutende Persönlichkeiten, welche im
Stande wären, sich zu Staatsmännern auszubilden, werden Sie bei allen finden,
keine aber ist stark genug ein ganzes Ministerium zu formiren, selbst wenn sie,
was nicht der Fall ist, das Vertrauen der Majorität der Volker für sich hätte.
Außerdem fehlen allen parlamentarischen Helden die Kenntnisse und die Er¬
fahrungen, welche nöthig siud, um in dieser gefährlichen Zeit das Steuer mit
Kraft zu führen. Die wenigen administrativen Talente, welche nicht mit dein Mi¬
nisterium verbunden siud, z, B. PillerSdorf, gehören kaum einer politischen Partei
an, und siud wieder so verschiede» gebildet, daß eine Combination derselben zu
einem Ministerium gar nicht möglich wäre. Es kommt hier nicht darauf an,
woher dieser Maugel an politischen Talenten in Oestreich stammt, wohl aber ist
es nöthig sich klar zu machen, daß er in der That vorhanden ist; denn wo die
Armuth nicht an Kapacitäten, sondern an technischer Sicherheit so groß ist wie bei
uns, gewinnt jedes Ministerium, welches im Stande ist, die Regierung zu führen,
eine relative Berechtigung. Schärfer, aber nicht weniger wahr, läßt sich das so
ausdrücken, daß auch dem edelsten Volk das Recht bestritten werden kaun, die
Staatsangelegenheiten nach der Majorität seiner Stimmungen und seines Willens
zu verwalten, so lauge es nicht im Stande ist, aus sich selbst heraus Charaktere
in genügender Anzahl zu schaffen, welche die Last ans ihre Schultern nehmen
können.

Und betrachten Sie unbefangen die Wünsche und Stimmungen der östreichi¬
schen Volker, die so weit divergiren, daß sie freigelassen den Staat noch jetzt
sprengen müßten; war es möglich aus ihnen eine Vcrwal'ung sür deu Gesammt-
staat zu schaffen? Hat nicht das jetzige Ministerium sich eine östreichische Partei
erst schaffen müssen? Cs ist wahr, es ist eine uuverznverl.ißige und deßhalb
schlechte Partei, sie hat keine Thatkraft, keinen eigene» Willen, aber sie ist doch
vorhanden n»d vorläufig eine Stütze für die Regierung, deren Thätigkeit den Un¬
thätigen imponirt und deren Herrschaft den Einzelnen erlaubt mit verhältuißmäßi-


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[0037] unfruchtbare Coujccturalpolitik herrscht in der Presse und aus leisen Andeutungen baut man sich Verhältnisse und Systeme auf, zieht Hoffnungen oder Befürchtun¬ gen groß, je nach dem Standpunkt des Urtheilenden. Ihr Blatt greift die Ma߬ regeln des Ministeriums oft sehr entschieden an, gestatten Sie einem unabhängigen Mann auch einige Bemerkungen für das Ministerium, welches doch einmal die be¬ deutendsten administrativen Kräfte des Kaiserstaats, — mit sehr wenigen Ausnah¬ men — an sich herangezogen hat. Zunächst die Bemerkung, daß die Existenz und Dauerhaftigkeit des Ministe¬ riums hauptsächlich daher kommt, weil es an Kräften fehlt, welche ein anders bilden könnten. Sehn Sie sich um in der ganzen Monarchie, Sie werden keine Partei finden, welche im Staude ist, durch ihre Talente die Negieruugsbedürsnisse zu befriedigen, weder die Aristokratie, noch die Czechen, noch die liberalen Deut¬ schen des Reichstags von ^8. Einzelne bedeutende Persönlichkeiten, welche im Stande wären, sich zu Staatsmännern auszubilden, werden Sie bei allen finden, keine aber ist stark genug ein ganzes Ministerium zu formiren, selbst wenn sie, was nicht der Fall ist, das Vertrauen der Majorität der Volker für sich hätte. Außerdem fehlen allen parlamentarischen Helden die Kenntnisse und die Er¬ fahrungen, welche nöthig siud, um in dieser gefährlichen Zeit das Steuer mit Kraft zu führen. Die wenigen administrativen Talente, welche nicht mit dein Mi¬ nisterium verbunden siud, z, B. PillerSdorf, gehören kaum einer politischen Partei an, und siud wieder so verschiede» gebildet, daß eine Combination derselben zu einem Ministerium gar nicht möglich wäre. Es kommt hier nicht darauf an, woher dieser Maugel an politischen Talenten in Oestreich stammt, wohl aber ist es nöthig sich klar zu machen, daß er in der That vorhanden ist; denn wo die Armuth nicht an Kapacitäten, sondern an technischer Sicherheit so groß ist wie bei uns, gewinnt jedes Ministerium, welches im Stande ist, die Regierung zu führen, eine relative Berechtigung. Schärfer, aber nicht weniger wahr, läßt sich das so ausdrücken, daß auch dem edelsten Volk das Recht bestritten werden kaun, die Staatsangelegenheiten nach der Majorität seiner Stimmungen und seines Willens zu verwalten, so lauge es nicht im Stande ist, aus sich selbst heraus Charaktere in genügender Anzahl zu schaffen, welche die Last ans ihre Schultern nehmen können. Und betrachten Sie unbefangen die Wünsche und Stimmungen der östreichi¬ schen Volker, die so weit divergiren, daß sie freigelassen den Staat noch jetzt sprengen müßten; war es möglich aus ihnen eine Vcrwal'ung sür deu Gesammt- staat zu schaffen? Hat nicht das jetzige Ministerium sich eine östreichische Partei erst schaffen müssen? Cs ist wahr, es ist eine uuverznverl.ißige und deßhalb schlechte Partei, sie hat keine Thatkraft, keinen eigene» Willen, aber sie ist doch vorhanden n»d vorläufig eine Stütze für die Regierung, deren Thätigkeit den Un¬ thätigen imponirt und deren Herrschaft den Einzelnen erlaubt mit verhältuißmäßi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/37>, abgerufen am 01.07.2024.