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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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mals noch ein neues Hans. Wir sind zusammen alt geworden und werden viel¬
leicht mit einander untergehen. Es ist wohl die Trauer um deu Abschied von
Herd und Stadt, was mich so traurig macht; ich möchte weinen in meinen alten
Tagen, habe lange nicht mehr geweint."

"Hörst Du nichts, Mutter?" rief Ilona. Es klang dransicn wie Geschrei.
Sie horchten. Das Geräusch war verstummt.

"Die armen Soldaten, die im Felde ans Vorposten stehen," sprach Ocdön.
"Man sagt, die Ungarn kommen nicht her. Sie sind oben im Gebirg bei Bistritz.
Da mag manches junge Blut heute Nacht erstarren. Der Krieg kennt keine Jah¬
reszeit, kein Wetter, und Hunger und Durst sind ihm gleichgültig,-- ein erbar¬
mungsloser Gesell! Er wirft Städte und Völker nieder, und schont nicht des
Säuglings; er tödtet den Gerechten wie den Schurke", macht den Armen reich
und den Millionär zum Bettler. Seine Münze ist das kalte Eisen, das Bild
aus seiner Münze der Tod, und er zahlt wie ein Verschwender." --
' "Mutter, Oedön -- hört Ihr nicht? Die Sturmglocken heulen. -- Seht
Ihr den Feuerschein -- Gott im Himmel! Sie sind in der Stadt!" -

Sie waren in der Stadt. An sieben Orten hatten sie Feuer angelegt
und brausten nun wie das Unglück durch die Gassen. Eine dunkle, dichte, un¬
heilverkündende Masse wälzte sich durch die Stadt, überall waren sie, drohend,
mordlustig, voll der bösesten Mordgedanken, die einen mit stiller That, die An¬
dern schreiend. In den Häusern erwachten die Bürger, sahen entsetzt die Flam¬
men und hörten die Mörder und die zum Letztenmal, sast mit menschlicher Angst
Hülfe rufenden Kirchenglocken.

Ueberall in den Wohnungen Jammer und Verzweiflung, Entsetzen, Verwir¬
rung, Rathlosigkeit, -- leine Waffen, leine, und die Mörder vor der Thüre!

Zu dem Wärmen der Menschen und des Erzes gesellte sich nun auch das
entsetzliche Knattern der immer wachsenden Feuersbrunst, die von allen Seiten
heransloderte. Wessen Haus von ihr ergriffen war, der hatte die Wahl zwischen
zwei Todesarten: zu verbrennen, oder von Menschenhand zu sterben. -- Weil
man nun den Menschen doch mehr Erbarmen zutraute, oder die langsame Qual
des Verbrennens fürchtete, eilte man hinaus und machte den Plünderern und
Mordbrennern Platz, welche der Flamme ihren Raub in den Häusern streitig
machten. In den Gassen, in den Häusern und Gärten, überall zog der Mord,
die wilde Begier, die Raublust einher. Mau sah bei der hellen Beleuchtung
fliehende, halbnackte, barfüßige Männer, zarte Frauen und Kinder, hinter und
vor ihnen speerwerfende, feuernde, fluchende Verfolger. In den Häusern und
ans den Gassen wehrte sich die Schamhaftigkeit gegen brutale Lust, und der Geiz¬
hals bedeckte mit seinem Leibe den Mammon, bis ihn die Lanze oder die Kugel
niederstreckte. Die Mutter lag auf den Knieen und bat um Barmherzigkeit für
die hilflosen unschuldigen Würmer. "Ju's Feuer mit ihnen, die Nacht ist kalt!" --


mals noch ein neues Hans. Wir sind zusammen alt geworden und werden viel¬
leicht mit einander untergehen. Es ist wohl die Trauer um deu Abschied von
Herd und Stadt, was mich so traurig macht; ich möchte weinen in meinen alten
Tagen, habe lange nicht mehr geweint."

„Hörst Du nichts, Mutter?" rief Ilona. Es klang dransicn wie Geschrei.
Sie horchten. Das Geräusch war verstummt.

„Die armen Soldaten, die im Felde ans Vorposten stehen," sprach Ocdön.
„Man sagt, die Ungarn kommen nicht her. Sie sind oben im Gebirg bei Bistritz.
Da mag manches junge Blut heute Nacht erstarren. Der Krieg kennt keine Jah¬
reszeit, kein Wetter, und Hunger und Durst sind ihm gleichgültig,— ein erbar¬
mungsloser Gesell! Er wirft Städte und Völker nieder, und schont nicht des
Säuglings; er tödtet den Gerechten wie den Schurke», macht den Armen reich
und den Millionär zum Bettler. Seine Münze ist das kalte Eisen, das Bild
aus seiner Münze der Tod, und er zahlt wie ein Verschwender." —
' „Mutter, Oedön — hört Ihr nicht? Die Sturmglocken heulen. — Seht
Ihr den Feuerschein — Gott im Himmel! Sie sind in der Stadt!" -

Sie waren in der Stadt. An sieben Orten hatten sie Feuer angelegt
und brausten nun wie das Unglück durch die Gassen. Eine dunkle, dichte, un¬
heilverkündende Masse wälzte sich durch die Stadt, überall waren sie, drohend,
mordlustig, voll der bösesten Mordgedanken, die einen mit stiller That, die An¬
dern schreiend. In den Häusern erwachten die Bürger, sahen entsetzt die Flam¬
men und hörten die Mörder und die zum Letztenmal, sast mit menschlicher Angst
Hülfe rufenden Kirchenglocken.

Ueberall in den Wohnungen Jammer und Verzweiflung, Entsetzen, Verwir¬
rung, Rathlosigkeit, — leine Waffen, leine, und die Mörder vor der Thüre!

Zu dem Wärmen der Menschen und des Erzes gesellte sich nun auch das
entsetzliche Knattern der immer wachsenden Feuersbrunst, die von allen Seiten
heransloderte. Wessen Haus von ihr ergriffen war, der hatte die Wahl zwischen
zwei Todesarten: zu verbrennen, oder von Menschenhand zu sterben. — Weil
man nun den Menschen doch mehr Erbarmen zutraute, oder die langsame Qual
des Verbrennens fürchtete, eilte man hinaus und machte den Plünderern und
Mordbrennern Platz, welche der Flamme ihren Raub in den Häusern streitig
machten. In den Gassen, in den Häusern und Gärten, überall zog der Mord,
die wilde Begier, die Raublust einher. Mau sah bei der hellen Beleuchtung
fliehende, halbnackte, barfüßige Männer, zarte Frauen und Kinder, hinter und
vor ihnen speerwerfende, feuernde, fluchende Verfolger. In den Häusern und
ans den Gassen wehrte sich die Schamhaftigkeit gegen brutale Lust, und der Geiz¬
hals bedeckte mit seinem Leibe den Mammon, bis ihn die Lanze oder die Kugel
niederstreckte. Die Mutter lag auf den Knieen und bat um Barmherzigkeit für
die hilflosen unschuldigen Würmer. „Ju's Feuer mit ihnen, die Nacht ist kalt!" —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/342>, abgerufen am 22.07.2024.