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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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eine germanische Colonie zurückgelassen, die so eben ein Jnveutarüun ihrer (Erobe¬
rungen angefertigt hat (Bunsen n. s. w.). -- Sollen wir Franzosen nicht auch
unsere Ansprüche aus Rom erheben, das u"s einmal gehört hat! -- Wir haben
Ordnung und System hineinzubringen."

Um dieser Ordnung willen unterscheidet er in der Geschichte der römischen
Civilisation drei Zeitalter: das italienische oder nationale, welches mit dem ältern
Cato endet; das griechische, welches, begonnen unter dem Einstust der Scipioueu,
in den Zeitaltern des August und des Hadrian seine Frucht trägt; endlich das
orientalische, dessen Fortschritte langsamer siud. Cybele wird schon im zweiten
punischen Kriege nach Rom gebracht, aber erst nach vier Jahrhunderten, nnter
den syrischen Kaisern, wird der orientalische Cultus gleichsam Modesache, und es
bedarf noch eines Jahrhunderts, bis im Christenthum d"' orientalische Geist über
Rom siegt. -- Die Stufen der politischen Entwickelung stellt er mit diesen Fort¬
schritten der Civilisation in Parallele.

Das erste Buch, das bis zur gallischen Eroberung geht, läßt vou der
eigentlichen Geschichte noch viel weniger bestehen als Niebuhr selbst. Mit der leicht¬
sinnigen Grazie, die den Franzose" eigen ist, auch wo sie gelehrt sind, werden
die Kuriositäten, die eine ziemlich reichhaltige Lectüre aufgespeichert hat, durch-
einandergeworfen, combinirt "ud in el" zierliches System gebracht. Niebuhr
gibt sich bei jedem einzelnen P"ukt unendliche Mühe, den historischen Kern heraus¬
zufinden, und wo er geradezu negirt, der Quelle der Eutstelünig nachzugehen.
Darauf kommt es Michelet nicht an, es schickt sich bei ihm Alles; er sprudelt
von geistreichen und pikanten Einfällen, und findet in der historischen Basis, die
er verarbeitet, anch eben weiter nichts, als eine Reihe geistreicher und pikanter
Einfalle. Da er die eigentlichen Schwierigkeiten umgeht und mit der französischen
Fähigkeit, schnell zu construiren, eine elegante und zuweilen glänzende Darstel¬
lung verbindet, da er rechts uach Indien, links nach der nordischen Mythologie
hinsieht, und in geschäftiger Eile bald von der einen bald von der ander" Seite
seine Analogie" holt, da es ihm gar nicht darauf ankommt, was ihm gerade
nicht paßt, ohne Weiteres als griechische Fictionen bei Seite zu werfe", so fallt
man aus einer Ueberraschung in die andere, man ist "icht im Stande, seine De¬
duktionen ruhig zu prüfe", da sie sich der Prüfung jeden Augenblick entziehe",
und man gewinnt erst Ruhe, we"" man fertig ist und zu dem Resultat kommt,
daß von der Fülle geistreicher Anschauungen nicht viel haften geblieben ist. --
Der zweite Band geht bis zur Zerstörung voll Nnmancia. Da i" diesem Zeitraum
das Thatsächliche hi"la"glich constatirt ist, so begttügt er sich, durch eigenthümliche,
unerwartete Gesichtspunkte dem Bekannten den Anstrich der Neuheit zu geben. Das
gelingt ihm vortrefflich, und z. B. seine Gegenüberstellung der Punier und der
Römer, seine Charakteristik Hannibal's, namentlich aber die Darstellung, wie sich
allmälig die griechische Cultur in Rom ausbreitete, werden von jede": Gebildeten


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eine germanische Colonie zurückgelassen, die so eben ein Jnveutarüun ihrer (Erobe¬
rungen angefertigt hat (Bunsen n. s. w.). — Sollen wir Franzosen nicht auch
unsere Ansprüche aus Rom erheben, das u»s einmal gehört hat! — Wir haben
Ordnung und System hineinzubringen."

Um dieser Ordnung willen unterscheidet er in der Geschichte der römischen
Civilisation drei Zeitalter: das italienische oder nationale, welches mit dem ältern
Cato endet; das griechische, welches, begonnen unter dem Einstust der Scipioueu,
in den Zeitaltern des August und des Hadrian seine Frucht trägt; endlich das
orientalische, dessen Fortschritte langsamer siud. Cybele wird schon im zweiten
punischen Kriege nach Rom gebracht, aber erst nach vier Jahrhunderten, nnter
den syrischen Kaisern, wird der orientalische Cultus gleichsam Modesache, und es
bedarf noch eines Jahrhunderts, bis im Christenthum d"' orientalische Geist über
Rom siegt. — Die Stufen der politischen Entwickelung stellt er mit diesen Fort¬
schritten der Civilisation in Parallele.

Das erste Buch, das bis zur gallischen Eroberung geht, läßt vou der
eigentlichen Geschichte noch viel weniger bestehen als Niebuhr selbst. Mit der leicht¬
sinnigen Grazie, die den Franzose» eigen ist, auch wo sie gelehrt sind, werden
die Kuriositäten, die eine ziemlich reichhaltige Lectüre aufgespeichert hat, durch-
einandergeworfen, combinirt »ud in el» zierliches System gebracht. Niebuhr
gibt sich bei jedem einzelnen P»ukt unendliche Mühe, den historischen Kern heraus¬
zufinden, und wo er geradezu negirt, der Quelle der Eutstelünig nachzugehen.
Darauf kommt es Michelet nicht an, es schickt sich bei ihm Alles; er sprudelt
von geistreichen und pikanten Einfällen, und findet in der historischen Basis, die
er verarbeitet, anch eben weiter nichts, als eine Reihe geistreicher und pikanter
Einfalle. Da er die eigentlichen Schwierigkeiten umgeht und mit der französischen
Fähigkeit, schnell zu construiren, eine elegante und zuweilen glänzende Darstel¬
lung verbindet, da er rechts uach Indien, links nach der nordischen Mythologie
hinsieht, und in geschäftiger Eile bald von der einen bald von der ander» Seite
seine Analogie» holt, da es ihm gar nicht darauf ankommt, was ihm gerade
nicht paßt, ohne Weiteres als griechische Fictionen bei Seite zu werfe», so fallt
man aus einer Ueberraschung in die andere, man ist »icht im Stande, seine De¬
duktionen ruhig zu prüfe», da sie sich der Prüfung jeden Augenblick entziehe»,
und man gewinnt erst Ruhe, we»» man fertig ist und zu dem Resultat kommt,
daß von der Fülle geistreicher Anschauungen nicht viel haften geblieben ist. —
Der zweite Band geht bis zur Zerstörung voll Nnmancia. Da i» diesem Zeitraum
das Thatsächliche hi»la»glich constatirt ist, so begttügt er sich, durch eigenthümliche,
unerwartete Gesichtspunkte dem Bekannten den Anstrich der Neuheit zu geben. Das
gelingt ihm vortrefflich, und z. B. seine Gegenüberstellung der Punier und der
Römer, seine Charakteristik Hannibal's, namentlich aber die Darstellung, wie sich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/307>, abgerufen am 22.07.2024.