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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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den abstracten Gedanken nicht anders ausdrücken, als indem sie ihm einen Eigen¬
namen, eine Persönlichkeit gab. Dieser mythische Mensch, das Product des volks-
thümlichen Denkens, war zugleich der Ausdruck sür das Volk und für die Idee
des Botts. -- So geht die Menschheit in der Geschichte, im Recht, in der Re¬
ligion vom Symbol aus. Aber von dieser verkörperte", individualisirten Idee
schreitet sie zur reinen, allgemeinen Idee fort. In der unbeweglichen Chrvsalide
des Symbols vollführt sich das Mysterium der Wiedergeburt des Geistes: dieser
dehut sich aus, so lange es geht, dann sprengt er seine Hülle, und als seelenlose
Schaale fällt sie zu Boden.

Indem Michelet dies Princip anerkennt und zur Anwendung zu bringen
sucht, unterscheidet er sich wesentlich von seinem Freunde Quiuet, mit dein er sonst,
wahrscheinlich in Folge ihres gemeinsamen Kampfes gegen die Jesuiten, versichert,
Ein Herz und Eine Seele zu sein. Wir haben den Kampf desselben gegen die
deutsche Kritik (Wolf, Niebuhr, Strauß) und seine Rettungen der historischen
Individualitäten in einem frühern Aufsah dargestellt.

Michelet geht jetzt aus Niebuhr über. Ich lasse ihn selber sprechen, um ein
Bild seiner belletristischen Sprache zu geben.

"Durch den Einfall der nordischen Barbaren wurde Nom wiedergeboren;
einem nordischen Barbaren verdankt ebenso die römische Geschichte ihre Wieder¬
geburt. -- Sobald die östreichischen Waffen Italien den Deutschen wieder eröffnet
hatten, zog Niebuhr zu Felde. sein erster Sieg war bei Beroua, wie der
Theoderich des Große". In der Bibliothek dieser Stadt eroberte er das Manu-
script des Gajus, das seit Jahre" dort schlummerte, ohne daß mau etwas davo"
wußte. Voll da draug er siegreich bis Rom vor, führte als Beute deu kostbare"
Palüupsest mit sich und trotzte dem Abbü Mai i" seinem Baticau. -- Ohne
Zweifel hatte der barbarische Eroberer ein Anrecht auf eine Stadt, der er die
alte" Gesetze in der Reinheit ihres ursprünglichen Textes wiederbrachte. Er trat
in deu Besitz Rom's durch das Recht der Eroberung, ^umMun w i-vui mMu5,
und schlug aus dem Theater des Marcellus sein Prätorium auf. Bon da ans
drang er vier Jahre hindurch ungescheut in alle Theile der alten Stadt, und
theilte sie als Herr unter die Stämme, welche sie gegründet hatte", indem er sie
bald de" Etruskern, bald den Latinern zusprach. Er wühlte deu Staub der
Könige auf und streute ihre Asche in die Wiude. Italien, seufzte darüber, aber
wie zu deu Zeiten des Alarich, sollte sich erfüllen, was geschrieben steht: klärt-i-
MX Ann! emervi,... VÜ8K Ouil'lui, not'^i- Vlcklirv! "lissiMkil. insttlvndi. -- Er hat
zerstört, aber auch wieder aufgebaut; sein Buch ist wie das l^ormn Wal'imo mit
der Fülle seiner wohl oder übel wiederaufgerichteten Monumente. Mau fühlt
die gothische Hand, aber es ist ein Wunder, mit welcher Kraft dieser Barbar
die gewaltigen Trümmer aufhebt. Niebuhr begreift um so besser das alte
lateinische Rom, da er etwas davon an sich hat n. s. w. -- Er hat in Nom


den abstracten Gedanken nicht anders ausdrücken, als indem sie ihm einen Eigen¬
namen, eine Persönlichkeit gab. Dieser mythische Mensch, das Product des volks-
thümlichen Denkens, war zugleich der Ausdruck sür das Volk und für die Idee
des Botts. — So geht die Menschheit in der Geschichte, im Recht, in der Re¬
ligion vom Symbol aus. Aber von dieser verkörperte», individualisirten Idee
schreitet sie zur reinen, allgemeinen Idee fort. In der unbeweglichen Chrvsalide
des Symbols vollführt sich das Mysterium der Wiedergeburt des Geistes: dieser
dehut sich aus, so lange es geht, dann sprengt er seine Hülle, und als seelenlose
Schaale fällt sie zu Boden.

Indem Michelet dies Princip anerkennt und zur Anwendung zu bringen
sucht, unterscheidet er sich wesentlich von seinem Freunde Quiuet, mit dein er sonst,
wahrscheinlich in Folge ihres gemeinsamen Kampfes gegen die Jesuiten, versichert,
Ein Herz und Eine Seele zu sein. Wir haben den Kampf desselben gegen die
deutsche Kritik (Wolf, Niebuhr, Strauß) und seine Rettungen der historischen
Individualitäten in einem frühern Aufsah dargestellt.

Michelet geht jetzt aus Niebuhr über. Ich lasse ihn selber sprechen, um ein
Bild seiner belletristischen Sprache zu geben.

„Durch den Einfall der nordischen Barbaren wurde Nom wiedergeboren;
einem nordischen Barbaren verdankt ebenso die römische Geschichte ihre Wieder¬
geburt. — Sobald die östreichischen Waffen Italien den Deutschen wieder eröffnet
hatten, zog Niebuhr zu Felde. sein erster Sieg war bei Beroua, wie der
Theoderich des Große». In der Bibliothek dieser Stadt eroberte er das Manu-
script des Gajus, das seit Jahre» dort schlummerte, ohne daß mau etwas davo»
wußte. Voll da draug er siegreich bis Rom vor, führte als Beute deu kostbare»
Palüupsest mit sich und trotzte dem Abbü Mai i» seinem Baticau. — Ohne
Zweifel hatte der barbarische Eroberer ein Anrecht auf eine Stadt, der er die
alte» Gesetze in der Reinheit ihres ursprünglichen Textes wiederbrachte. Er trat
in deu Besitz Rom's durch das Recht der Eroberung, ^umMun w i-vui mMu5,
und schlug aus dem Theater des Marcellus sein Prätorium auf. Bon da ans
drang er vier Jahre hindurch ungescheut in alle Theile der alten Stadt, und
theilte sie als Herr unter die Stämme, welche sie gegründet hatte», indem er sie
bald de» Etruskern, bald den Latinern zusprach. Er wühlte deu Staub der
Könige auf und streute ihre Asche in die Wiude. Italien, seufzte darüber, aber
wie zu deu Zeiten des Alarich, sollte sich erfüllen, was geschrieben steht: klärt-i-
MX Ann! emervi,... VÜ8K Ouil'lui, not'^i- Vlcklirv! «lissiMkil. insttlvndi. — Er hat
zerstört, aber auch wieder aufgebaut; sein Buch ist wie das l^ormn Wal'imo mit
der Fülle seiner wohl oder übel wiederaufgerichteten Monumente. Mau fühlt
die gothische Hand, aber es ist ein Wunder, mit welcher Kraft dieser Barbar
die gewaltigen Trümmer aufhebt. Niebuhr begreift um so besser das alte
lateinische Rom, da er etwas davon an sich hat n. s. w. — Er hat in Nom


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[0306] den abstracten Gedanken nicht anders ausdrücken, als indem sie ihm einen Eigen¬ namen, eine Persönlichkeit gab. Dieser mythische Mensch, das Product des volks- thümlichen Denkens, war zugleich der Ausdruck sür das Volk und für die Idee des Botts. — So geht die Menschheit in der Geschichte, im Recht, in der Re¬ ligion vom Symbol aus. Aber von dieser verkörperte», individualisirten Idee schreitet sie zur reinen, allgemeinen Idee fort. In der unbeweglichen Chrvsalide des Symbols vollführt sich das Mysterium der Wiedergeburt des Geistes: dieser dehut sich aus, so lange es geht, dann sprengt er seine Hülle, und als seelenlose Schaale fällt sie zu Boden. Indem Michelet dies Princip anerkennt und zur Anwendung zu bringen sucht, unterscheidet er sich wesentlich von seinem Freunde Quiuet, mit dein er sonst, wahrscheinlich in Folge ihres gemeinsamen Kampfes gegen die Jesuiten, versichert, Ein Herz und Eine Seele zu sein. Wir haben den Kampf desselben gegen die deutsche Kritik (Wolf, Niebuhr, Strauß) und seine Rettungen der historischen Individualitäten in einem frühern Aufsah dargestellt. Michelet geht jetzt aus Niebuhr über. Ich lasse ihn selber sprechen, um ein Bild seiner belletristischen Sprache zu geben. „Durch den Einfall der nordischen Barbaren wurde Nom wiedergeboren; einem nordischen Barbaren verdankt ebenso die römische Geschichte ihre Wieder¬ geburt. — Sobald die östreichischen Waffen Italien den Deutschen wieder eröffnet hatten, zog Niebuhr zu Felde. sein erster Sieg war bei Beroua, wie der Theoderich des Große». In der Bibliothek dieser Stadt eroberte er das Manu- script des Gajus, das seit Jahre» dort schlummerte, ohne daß mau etwas davo» wußte. Voll da draug er siegreich bis Rom vor, führte als Beute deu kostbare» Palüupsest mit sich und trotzte dem Abbü Mai i» seinem Baticau. — Ohne Zweifel hatte der barbarische Eroberer ein Anrecht auf eine Stadt, der er die alte» Gesetze in der Reinheit ihres ursprünglichen Textes wiederbrachte. Er trat in deu Besitz Rom's durch das Recht der Eroberung, ^umMun w i-vui mMu5, und schlug aus dem Theater des Marcellus sein Prätorium auf. Bon da ans drang er vier Jahre hindurch ungescheut in alle Theile der alten Stadt, und theilte sie als Herr unter die Stämme, welche sie gegründet hatte», indem er sie bald de» Etruskern, bald den Latinern zusprach. Er wühlte deu Staub der Könige auf und streute ihre Asche in die Wiude. Italien, seufzte darüber, aber wie zu deu Zeiten des Alarich, sollte sich erfüllen, was geschrieben steht: klärt-i- MX Ann! emervi,... VÜ8K Ouil'lui, not'^i- Vlcklirv! «lissiMkil. insttlvndi. — Er hat zerstört, aber auch wieder aufgebaut; sein Buch ist wie das l^ormn Wal'imo mit der Fülle seiner wohl oder übel wiederaufgerichteten Monumente. Mau fühlt die gothische Hand, aber es ist ein Wunder, mit welcher Kraft dieser Barbar die gewaltigen Trümmer aufhebt. Niebuhr begreift um so besser das alte lateinische Rom, da er etwas davon an sich hat n. s. w. — Er hat in Nom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/306>, abgerufen am 22.07.2024.