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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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nach Bestreitung dieser Ausgaben iuuuer noch einen hübschen Ueberschuß hat von
dem, was seine beiden Journale "la Presse" nud "l'Evenement" ihm einbringen.
Er soll einmal in der Kammer gesagt haben: "Man beschuldigt mich der Käuf¬
lichkeit, um mir die Sympathien des Volkes zu entfremden, obgleich die, welche
diese elenden Verleumdungen ausstreuen, eben so gut wissen, wie Sie alle, meine
Herren, daß in Frankreich Niemand reich genug ist, mich zu kaufen. Mein Ehr¬
geiz hat mit der Habsucht nichts gemein; ganz Frankreich hat mir keinen Posten
zu bieten, der mir nur die Hälfte meiner Einkünfte sicherte." Ich überlasse es
dem Gefühl eiues Jeden zu ermessen, wie viel Wahres in diesen Worten liegt.

Bei der Mehrzahl der Pariser Literaten steht Girardin in großem Ansehe";
seine Mitarbeiter nud alle bei dem Journal Angestellten vergöttern ihn; er hat
sie sämmtlich zu wohlhabenden, viele von ihnen zu reichen Leuten gemacht.

Doch ich habe bei dein Aufzeichnen all dieser Einzelheiten ganz vergessen,
Ihnen den Eindruck zu schildern, welchen mein erstes Zusammentreffen mit ihm
ans mich gemacht.

Girardin ist ein Manu vou mittlerem Alter und mittlerer Größe, vou fein
angelegtem Körperbau und nachlässiger Haltung. Das hinten sehr spärlich gesäete,
auf dem Vorderkopfe dichtere, enganliegende Haar, fällt in einem sorgfältig geglät¬
teten Büschel über die feine Stirn,' unter welcher ein paar kluge, aber un¬
sichere Augen hervorstechen. Das leise Schielen des einen Auges machte mir
einen unheimlichen Eindruck; noch unheimlicher aber und fast widrig erschien mir
die rauhe Stimme Girardin's, besonders wenn er laut und lebhaft sprach. Am
natürlichsten und angenehmsten erschien mir Girardin unter vier Angen; ans der
Tribüne macht er, durch die Kunstgriffe, welche er bei seinem Mangel an Rede¬
talent anwenden muß, oft den Eindruck eines Schauspielers.

"Ich habe durchaus keine vorgefaßte Meinung gegen Girardin" -- sagte
ein hochgestellter Mann in Paris zu mir, der ihm im öffentlichen Leben gegen¬
über steht; -- "er hat etwas Großartiges in seiner Anschauungsweise wie in
seinem Charakter; auch fehlt es ihm weder an Muth, noch an UueigennWgkeit;
aber außer Eugen Sue hat Niemand dem Laube durch seine schriftstellerische
Thätigkeit so viel Schaden beigefügt, als Emile von Girardin. Diese beiden
Männer, welche sich als Reformatoren der Neuzeit auswarfen, haben viel Unglück
über Frankreich gebracht. Sie sind die Urheber dieses grenzenlosen Luxus, dieser
unnatürlichen Ueberfeiueruug im Leben der Schriftsteller und der Literatur, wo¬
durch die Mehrzahl der Schriftsteller in's Elend gestürzt und die Literatur zu
eiuer reinen Speculation herabgewürdigt wird, aus Kosten der Bildung, der
Moral und des guten Geschmacks.




nach Bestreitung dieser Ausgaben iuuuer noch einen hübschen Ueberschuß hat von
dem, was seine beiden Journale „la Presse" nud „l'Evenement" ihm einbringen.
Er soll einmal in der Kammer gesagt haben: „Man beschuldigt mich der Käuf¬
lichkeit, um mir die Sympathien des Volkes zu entfremden, obgleich die, welche
diese elenden Verleumdungen ausstreuen, eben so gut wissen, wie Sie alle, meine
Herren, daß in Frankreich Niemand reich genug ist, mich zu kaufen. Mein Ehr¬
geiz hat mit der Habsucht nichts gemein; ganz Frankreich hat mir keinen Posten
zu bieten, der mir nur die Hälfte meiner Einkünfte sicherte." Ich überlasse es
dem Gefühl eiues Jeden zu ermessen, wie viel Wahres in diesen Worten liegt.

Bei der Mehrzahl der Pariser Literaten steht Girardin in großem Ansehe»;
seine Mitarbeiter nud alle bei dem Journal Angestellten vergöttern ihn; er hat
sie sämmtlich zu wohlhabenden, viele von ihnen zu reichen Leuten gemacht.

Doch ich habe bei dein Aufzeichnen all dieser Einzelheiten ganz vergessen,
Ihnen den Eindruck zu schildern, welchen mein erstes Zusammentreffen mit ihm
ans mich gemacht.

Girardin ist ein Manu vou mittlerem Alter und mittlerer Größe, vou fein
angelegtem Körperbau und nachlässiger Haltung. Das hinten sehr spärlich gesäete,
auf dem Vorderkopfe dichtere, enganliegende Haar, fällt in einem sorgfältig geglät¬
teten Büschel über die feine Stirn,' unter welcher ein paar kluge, aber un¬
sichere Augen hervorstechen. Das leise Schielen des einen Auges machte mir
einen unheimlichen Eindruck; noch unheimlicher aber und fast widrig erschien mir
die rauhe Stimme Girardin's, besonders wenn er laut und lebhaft sprach. Am
natürlichsten und angenehmsten erschien mir Girardin unter vier Angen; ans der
Tribüne macht er, durch die Kunstgriffe, welche er bei seinem Mangel an Rede¬
talent anwenden muß, oft den Eindruck eines Schauspielers.

„Ich habe durchaus keine vorgefaßte Meinung gegen Girardin" — sagte
ein hochgestellter Mann in Paris zu mir, der ihm im öffentlichen Leben gegen¬
über steht; — „er hat etwas Großartiges in seiner Anschauungsweise wie in
seinem Charakter; auch fehlt es ihm weder an Muth, noch an UueigennWgkeit;
aber außer Eugen Sue hat Niemand dem Laube durch seine schriftstellerische
Thätigkeit so viel Schaden beigefügt, als Emile von Girardin. Diese beiden
Männer, welche sich als Reformatoren der Neuzeit auswarfen, haben viel Unglück
über Frankreich gebracht. Sie sind die Urheber dieses grenzenlosen Luxus, dieser
unnatürlichen Ueberfeiueruug im Leben der Schriftsteller und der Literatur, wo¬
durch die Mehrzahl der Schriftsteller in's Elend gestürzt und die Literatur zu
eiuer reinen Speculation herabgewürdigt wird, aus Kosten der Bildung, der
Moral und des guten Geschmacks.




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[0226] nach Bestreitung dieser Ausgaben iuuuer noch einen hübschen Ueberschuß hat von dem, was seine beiden Journale „la Presse" nud „l'Evenement" ihm einbringen. Er soll einmal in der Kammer gesagt haben: „Man beschuldigt mich der Käuf¬ lichkeit, um mir die Sympathien des Volkes zu entfremden, obgleich die, welche diese elenden Verleumdungen ausstreuen, eben so gut wissen, wie Sie alle, meine Herren, daß in Frankreich Niemand reich genug ist, mich zu kaufen. Mein Ehr¬ geiz hat mit der Habsucht nichts gemein; ganz Frankreich hat mir keinen Posten zu bieten, der mir nur die Hälfte meiner Einkünfte sicherte." Ich überlasse es dem Gefühl eiues Jeden zu ermessen, wie viel Wahres in diesen Worten liegt. Bei der Mehrzahl der Pariser Literaten steht Girardin in großem Ansehe»; seine Mitarbeiter nud alle bei dem Journal Angestellten vergöttern ihn; er hat sie sämmtlich zu wohlhabenden, viele von ihnen zu reichen Leuten gemacht. Doch ich habe bei dein Aufzeichnen all dieser Einzelheiten ganz vergessen, Ihnen den Eindruck zu schildern, welchen mein erstes Zusammentreffen mit ihm ans mich gemacht. Girardin ist ein Manu vou mittlerem Alter und mittlerer Größe, vou fein angelegtem Körperbau und nachlässiger Haltung. Das hinten sehr spärlich gesäete, auf dem Vorderkopfe dichtere, enganliegende Haar, fällt in einem sorgfältig geglät¬ teten Büschel über die feine Stirn,' unter welcher ein paar kluge, aber un¬ sichere Augen hervorstechen. Das leise Schielen des einen Auges machte mir einen unheimlichen Eindruck; noch unheimlicher aber und fast widrig erschien mir die rauhe Stimme Girardin's, besonders wenn er laut und lebhaft sprach. Am natürlichsten und angenehmsten erschien mir Girardin unter vier Angen; ans der Tribüne macht er, durch die Kunstgriffe, welche er bei seinem Mangel an Rede¬ talent anwenden muß, oft den Eindruck eines Schauspielers. „Ich habe durchaus keine vorgefaßte Meinung gegen Girardin" — sagte ein hochgestellter Mann in Paris zu mir, der ihm im öffentlichen Leben gegen¬ über steht; — „er hat etwas Großartiges in seiner Anschauungsweise wie in seinem Charakter; auch fehlt es ihm weder an Muth, noch an UueigennWgkeit; aber außer Eugen Sue hat Niemand dem Laube durch seine schriftstellerische Thätigkeit so viel Schaden beigefügt, als Emile von Girardin. Diese beiden Männer, welche sich als Reformatoren der Neuzeit auswarfen, haben viel Unglück über Frankreich gebracht. Sie sind die Urheber dieses grenzenlosen Luxus, dieser unnatürlichen Ueberfeiueruug im Leben der Schriftsteller und der Literatur, wo¬ durch die Mehrzahl der Schriftsteller in's Elend gestürzt und die Literatur zu eiuer reinen Speculation herabgewürdigt wird, aus Kosten der Bildung, der Moral und des guten Geschmacks.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/226>, abgerufen am 22.07.2024.