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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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mung fehlschlug, so ging er im Jahre 1847 zur Opposition über, und stellte sich
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cvnservativcn, sogenannt im Gegensatz zu den eonsei'v-Uein'-z bornes, oder den
Stockconservativeu.

Die Zeit Vom Untergang des Julithroneö bis zum Sturze der provisorischen
Regierung bildet die Glanzepoche seines schriftstellerischen Lebens. Nicht daß er
damals eine feste Richtung eingeschlagen hätte; nein, er blieb was er gewesen;
beständig aber ein Unbeständiger -- aber sein fruchtbares, elastisches Talent zeigte
sich damals in seiner ganzen Biegsamkeit und Fülle; der geniale Schwung seiner
Feder riß selbst seine Feinde zur Bewunderung hin, obgleich er vor aller Welt
täglich die seltsamsten politischen Schwankungen machte. Man wußte nicht, worüber
mau mehr staunen sollte, ob über die Gewandtheit, mit welcher er täglich in eine
neue Bahn eiulcukte, oder über die Kraft und Energie, welche er dabei entwickelte.
Erst kämpfte er in der Februarrevolution wieder für Mol6 ("w ministere als I'am-
nigtio"), dann war er für die Regentschaft, darauf schwärmte er für die Republik;
endlich lehnte er sich mit all seiner Wucht gegen die provisorische Regierung auf,
weil ihm selbst kein Platz darin beschieden war; und denselben gewaltigen Einfluß
den er ausübte, um ihren Sturz zu beschleunigen, entwickelte er später zu Gunsten
der Wahl Louis Napoleon's, theils aus Rache gegen Cavaignac, besonders aber
wohl, weil er glaubte, daß die Zeit seiner eigenen Machterlangnug gekommen sei.

Er erkannte seineu Irrthum und wechselte folgerecht seine Meinung über den
Präsidenten. Pries er früher Louis Napoleon als den Retter Frankreichs, als
den Mann der Zukunft -- so will er heute in ihm nichts mehr sehen, als einen
Crvtin, als einen nagenden Wurm an Baume der Wohlfahrt des Landes.

Bei allen Gelegenheiten aber offenbart er einen ungewöhnlichen Muth. Er
war nach der Februarrevolution der Erste, der in Opposition gegen die proviso¬
rische Regierung zu sagen wagte: 1<z i-uis zur rLiiLtiormiro! Mau weiß, welche
Gefahren ihm dieses verhängnißvolle Wort bereitete. Aber er fand immer Mittel
nud Wege, um das Volk, welches zu wiederholten Malen vor seinem Hanse er¬
schien, um die Pressen zu zerschlagen, zufrieden zu stellen, und zu entfernen. Be¬
kannt ist ferner sein muthiges Auftreten in deu Berwickeluugen, welche ihm der
Juniaufstaud bereitete. ...

Doch schou diese wenigen, leicht zu vermehrenden Züge aus Girardin's Leben
und Wirken werden genügen, um darzuthun, zu welch einem verworrenen Knäuel
die Fäden seiner Thätigkeit sich verschlinge".

Es kann unter solchen Umständen kaum auffallend erscheinen, daß man seinen
politischen Schwankungen von. vielen Seiten die uulantersten Motive unterlegte/
So wird ihm z. B. hauptsächlich der Vorwurf der Bestechlichkeit gemacht, obgleich
die Wenigsten sich wohl so klar veranschaulicht haben, was es heißt, eiuen Mann
zu bestechen, der jährlich etwa 100,000 Fras. für seinen Hausstand braucht, und


Grcnzvotcn. II. I3S0. Z8

mung fehlschlug, so ging er im Jahre 1847 zur Opposition über, und stellte sich
an die Spitze der sogenannten <xm8<zi'val,om'K vrag-rksswtss oder der Fortschritts-
cvnservativcn, sogenannt im Gegensatz zu den eonsei'v-Uein'-z bornes, oder den
Stockconservativeu.

Die Zeit Vom Untergang des Julithroneö bis zum Sturze der provisorischen
Regierung bildet die Glanzepoche seines schriftstellerischen Lebens. Nicht daß er
damals eine feste Richtung eingeschlagen hätte; nein, er blieb was er gewesen;
beständig aber ein Unbeständiger — aber sein fruchtbares, elastisches Talent zeigte
sich damals in seiner ganzen Biegsamkeit und Fülle; der geniale Schwung seiner
Feder riß selbst seine Feinde zur Bewunderung hin, obgleich er vor aller Welt
täglich die seltsamsten politischen Schwankungen machte. Man wußte nicht, worüber
mau mehr staunen sollte, ob über die Gewandtheit, mit welcher er täglich in eine
neue Bahn eiulcukte, oder über die Kraft und Energie, welche er dabei entwickelte.
Erst kämpfte er in der Februarrevolution wieder für Mol6 („w ministere als I'am-
nigtio"), dann war er für die Regentschaft, darauf schwärmte er für die Republik;
endlich lehnte er sich mit all seiner Wucht gegen die provisorische Regierung auf,
weil ihm selbst kein Platz darin beschieden war; und denselben gewaltigen Einfluß
den er ausübte, um ihren Sturz zu beschleunigen, entwickelte er später zu Gunsten
der Wahl Louis Napoleon's, theils aus Rache gegen Cavaignac, besonders aber
wohl, weil er glaubte, daß die Zeit seiner eigenen Machterlangnug gekommen sei.

Er erkannte seineu Irrthum und wechselte folgerecht seine Meinung über den
Präsidenten. Pries er früher Louis Napoleon als den Retter Frankreichs, als
den Mann der Zukunft — so will er heute in ihm nichts mehr sehen, als einen
Crvtin, als einen nagenden Wurm an Baume der Wohlfahrt des Landes.

Bei allen Gelegenheiten aber offenbart er einen ungewöhnlichen Muth. Er
war nach der Februarrevolution der Erste, der in Opposition gegen die proviso¬
rische Regierung zu sagen wagte: 1<z i-uis zur rLiiLtiormiro! Mau weiß, welche
Gefahren ihm dieses verhängnißvolle Wort bereitete. Aber er fand immer Mittel
nud Wege, um das Volk, welches zu wiederholten Malen vor seinem Hanse er¬
schien, um die Pressen zu zerschlagen, zufrieden zu stellen, und zu entfernen. Be¬
kannt ist ferner sein muthiges Auftreten in deu Berwickeluugen, welche ihm der
Juniaufstaud bereitete. ...

Doch schou diese wenigen, leicht zu vermehrenden Züge aus Girardin's Leben
und Wirken werden genügen, um darzuthun, zu welch einem verworrenen Knäuel
die Fäden seiner Thätigkeit sich verschlinge«.

Es kann unter solchen Umständen kaum auffallend erscheinen, daß man seinen
politischen Schwankungen von. vielen Seiten die uulantersten Motive unterlegte/
So wird ihm z. B. hauptsächlich der Vorwurf der Bestechlichkeit gemacht, obgleich
die Wenigsten sich wohl so klar veranschaulicht haben, was es heißt, eiuen Mann
zu bestechen, der jährlich etwa 100,000 Fras. für seinen Hausstand braucht, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/225>, abgerufen am 23.07.2024.