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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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und da seine Aufsätze Glück machten und ihm besonders Credit in der Handels¬
welt verschafften, so gründete er ein eigenes Journal: die schon oben erwähnte
"Press" ü dten an'eil"," welche im Laufe der Jahre eine so ungeheure Verbrei¬
tung fand, daß sie in ihrer Blüthezeit 80,000 Abonnenten zählte, eine Zahl, welche
seit der Republik auf 40,000 herabgesunken ist.

Girardin nimmt unter den Repräsentanten der Tagespresse eine scharf ab¬
gegrenzte Ausnahmsstellung ein. Er hat seinen Ruf nicht, wie andere berühmte
Publicisten, der konsequenten Durchführung einer bestimmten Politik, dem männ-
lichen Einstehen sür ein großes Princip, souderu hauptsächlich dem merkwürdigen
Prophetenblick zu verdanken, womit er die kommenden Ereignisse vvrhcrsieht und
Nutzen daraus zieht. Er ist die politische Wetterfahne Frankreichs. Hierin, und
in dem großen Einflusse, der es ihm möglich macht, die kommenden Ereignisse,
welche nach den Worten des Dichters eampbc-II: enuüriA evonts ^>,Le tour sda-
clttxvs Kekore, ihren Schatten vorherwerfen, selbst mit herbeiführen zu helfen, liegt
seine europäische Bedeutung.

Seine Devise ist der vou ihm etwas freisinnig ansgebcntetc Witz Lamennais':
"Ooux, qu aimoacenl. 1"ni.ouale, in prvtvNKlOll ä'öl.1'0 oval'iulilks, <i"l üisent:
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Er wechselt mit der Zeit; seine Politik richtet sich nach den Umständen; er
gehört nicht zu jenen zähen Charakteren, die ihre Ehre darin finden, einen ein¬
mal eingeschlagenen Weg unwandelbar zu verfolgen -- aber trotz diesem Farben¬
wechsel seiner Gesinnungen, trotz diesem Wetterleuchten seines Geistes liegt in
seiner Handlungsweise, Alles in Allem genommen, eine unverkennbare Consequenz
-- die Konsequenz des Ehrgeizes. Er weiß, daß er ein großes Organisationö-
nnd Administrationstalent besitzt, und er setzt Alles daran, diesem Talente die
größtmöglichste Wirksamkeit zu verschaffen. Die Politik ist ihm nnr Mittel zum
Zweck, die Regierungsform ist ihm vollständig Nebensache, vorausgesetzt, daß die
Freiheit der Presse gewahrt wird.

Uuter der Julircgierung focht er ans der Rechten; nnter der Republik focht
er auf der Linken. Er hat alle politischen Phasen durchlaufen; aus einem eifrigen
Monarchisten ist er ein eben so eifriger Republikaner geworden; und weil er auf
keine Weise seinen Zweck erreichte, so schloß er sich der Bastiat'schen Schule an
und wurde Freihändler; in der neuesten Zeit, um seine Wahl durchzusetzen, er¬
klärte er sich bekanntlich für einen Socialisten, was in der modernen Bedeutung
dieses Wortes identisch ist mit einem Antipoden der Freihandelslehre, wie Adam
Smith sie begriff Und Bastiat und Cobden sie predigen.

Mit derselben Entschiedenheit, mit welcher er früher für Molo in die Schranken
getreten war, kämpfte er später für das Ministerium Guizot, angeblich, um die
Stelle eines GcucralpostdirectorS von Frankreich zu erzielen. Da ihm diese Hoff-


und da seine Aufsätze Glück machten und ihm besonders Credit in der Handels¬
welt verschafften, so gründete er ein eigenes Journal: die schon oben erwähnte
„Press» ü dten an'eil«," welche im Laufe der Jahre eine so ungeheure Verbrei¬
tung fand, daß sie in ihrer Blüthezeit 80,000 Abonnenten zählte, eine Zahl, welche
seit der Republik auf 40,000 herabgesunken ist.

Girardin nimmt unter den Repräsentanten der Tagespresse eine scharf ab¬
gegrenzte Ausnahmsstellung ein. Er hat seinen Ruf nicht, wie andere berühmte
Publicisten, der konsequenten Durchführung einer bestimmten Politik, dem männ-
lichen Einstehen sür ein großes Princip, souderu hauptsächlich dem merkwürdigen
Prophetenblick zu verdanken, womit er die kommenden Ereignisse vvrhcrsieht und
Nutzen daraus zieht. Er ist die politische Wetterfahne Frankreichs. Hierin, und
in dem großen Einflusse, der es ihm möglich macht, die kommenden Ereignisse,
welche nach den Worten des Dichters eampbc-II: enuüriA evonts ^>,Le tour sda-
clttxvs Kekore, ihren Schatten vorherwerfen, selbst mit herbeiführen zu helfen, liegt
seine europäische Bedeutung.

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„Ooux, qu aimoacenl. 1«ni.ouale, in prvtvNKlOll ä'öl.1'0 oval'iulilks, <i»l üisent:
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Er wechselt mit der Zeit; seine Politik richtet sich nach den Umständen; er
gehört nicht zu jenen zähen Charakteren, die ihre Ehre darin finden, einen ein¬
mal eingeschlagenen Weg unwandelbar zu verfolgen — aber trotz diesem Farben¬
wechsel seiner Gesinnungen, trotz diesem Wetterleuchten seines Geistes liegt in
seiner Handlungsweise, Alles in Allem genommen, eine unverkennbare Consequenz
— die Konsequenz des Ehrgeizes. Er weiß, daß er ein großes Organisationö-
nnd Administrationstalent besitzt, und er setzt Alles daran, diesem Talente die
größtmöglichste Wirksamkeit zu verschaffen. Die Politik ist ihm nnr Mittel zum
Zweck, die Regierungsform ist ihm vollständig Nebensache, vorausgesetzt, daß die
Freiheit der Presse gewahrt wird.

Uuter der Julircgierung focht er ans der Rechten; nnter der Republik focht
er auf der Linken. Er hat alle politischen Phasen durchlaufen; aus einem eifrigen
Monarchisten ist er ein eben so eifriger Republikaner geworden; und weil er auf
keine Weise seinen Zweck erreichte, so schloß er sich der Bastiat'schen Schule an
und wurde Freihändler; in der neuesten Zeit, um seine Wahl durchzusetzen, er¬
klärte er sich bekanntlich für einen Socialisten, was in der modernen Bedeutung
dieses Wortes identisch ist mit einem Antipoden der Freihandelslehre, wie Adam
Smith sie begriff Und Bastiat und Cobden sie predigen.

Mit derselben Entschiedenheit, mit welcher er früher für Molo in die Schranken
getreten war, kämpfte er später für das Ministerium Guizot, angeblich, um die
Stelle eines GcucralpostdirectorS von Frankreich zu erzielen. Da ihm diese Hoff-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/224>, abgerufen am 25.08.2024.