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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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man mir den Ausdruck erlaubt. -- Der Prophet tritt im Namen Gottes auf,
der General im Namen seines Souveräns; der unabhängige Manu pocht auf
sein Recht. Diesem Hintergrund legt man alle die guten Eigenschaften bei, die
man in sich selber fühlt; man hat seine eigene Energie außer sich gesetzt, und
stützt sich auf sie, wie aus eiuen äußern Halt. Vincke hat es oft in dem Land¬
tag wiederholt, daß ihm das Recht über Alles gehe, daß schon seine Väter aus
dem Boden des Rechts geankert hätten. Schwerlich würde er aber den Grund-
satz der eigentlichen Rechts-Fanatiker: 1'me M^klein et poreat murinus, adoptirt
haben; der gesunde Menschenverstand sträubt sich auch gegen diese Sophistik. Das
Recht ist nur die selbstgesctzte Grenze, die jede weitere Reflexion und Ver¬
mittelung ausschließt; eine solche Grenze ist nothwendig für die Welt der That,
wenn man sich nicht wie ein Spielball allen Winden preisgeben will. Man bindet
sich an diese Grenze mit dem feinsten Nerv seiner Persönlichkeit, mit seiner Ehre.

In unserm t'aufmäunischeu Zeitalter ist dieser Begriff, so weit er in der
Politik lebendig werden will, in Mißcrcdit gekommen, wie im Zeitalter Macchia-
velli's der Begriff der öffentlichen Moral. Mau gibt es für eine staatsmännische
Weisheit aus, beharrlich seinem Zweck nachzugehn, und die Fußtritte, die man
unterwegs erhält, nicht zu achten. Eine kurzsichtige Weisheit, die, wie es aller
mikroskopischen Betrachtung ergeht, über dem Einzelnen die Totalität vergißt,
über dem Endlichen das Unendliche. Eine eitle Weisheit, die ein sittliches Ge¬
meinwesen gründen will, indem sie die Träger desselben entsittlicht. Indem man
die symlwlischcu, zeitlichen und von der Geschichte abhängiger Formen der Ehre
dialektisch auflöst, glaubt man die Idee der Ehre überwunden zu haben. Den
Adel treffen manche Vorwürfe, aber Vieles wird wieder gut gemacht, wenn wir über¬
legen, daß durch ihn in lebendiger Ueberlieferung die alten Begriffe der Ehre fort¬
gepflanzt sind. Der Stand, den man nicht ungestraft in seiner Person darf beleidigen
lassen, vertritt hier jenen objectiven Halt, den mau sonst im Rechte sucht. Dieser Cultus
der eigenen Persönlichkeit -- der freilich auch zu t'raukhafteu Uebertreibungen führen kaun,
wie alles Gute -- ist das nothwendige aristokratische Moment in dem neuen Gemein-
wesen, durch welches nur unsere demokratischen Institutionen ergänzen müssen,
wenn nicht der Verlust unseres eigenen Werths die Werthlosigkeit der Gesammt¬
heit uach sich zieheir soll.

Vincke'ö aristokratische Haltung darf uns also so wenig verletzen, wie sein
Eigeustuu, seine persönliche Reizbarkeit. Jede Bestimmtheit ist hart. Bei uns
Preußen wird die Persönlichkeit, wenn auch noch mangelhaft, theils aus den Uni¬
versitäten, theils im Dienst zur Geltung gebracht. Die Franzosen siud uus darin
noch voraus; wenn wir einmal von Preußen so werden sprechen können, wie unsere
überrheinischen Nachbarn vou der großen Nation, werden wir ihnen darin nichts
nachgeben; die Grundlage ist vorhanden, und'darf nicht aufgegeben werden, wenn
unser Staat seine geschichtliche Stellung einnehmen soll.


man mir den Ausdruck erlaubt. — Der Prophet tritt im Namen Gottes auf,
der General im Namen seines Souveräns; der unabhängige Manu pocht auf
sein Recht. Diesem Hintergrund legt man alle die guten Eigenschaften bei, die
man in sich selber fühlt; man hat seine eigene Energie außer sich gesetzt, und
stützt sich auf sie, wie aus eiuen äußern Halt. Vincke hat es oft in dem Land¬
tag wiederholt, daß ihm das Recht über Alles gehe, daß schon seine Väter aus
dem Boden des Rechts geankert hätten. Schwerlich würde er aber den Grund-
satz der eigentlichen Rechts-Fanatiker: 1'me M^klein et poreat murinus, adoptirt
haben; der gesunde Menschenverstand sträubt sich auch gegen diese Sophistik. Das
Recht ist nur die selbstgesctzte Grenze, die jede weitere Reflexion und Ver¬
mittelung ausschließt; eine solche Grenze ist nothwendig für die Welt der That,
wenn man sich nicht wie ein Spielball allen Winden preisgeben will. Man bindet
sich an diese Grenze mit dem feinsten Nerv seiner Persönlichkeit, mit seiner Ehre.

In unserm t'aufmäunischeu Zeitalter ist dieser Begriff, so weit er in der
Politik lebendig werden will, in Mißcrcdit gekommen, wie im Zeitalter Macchia-
velli's der Begriff der öffentlichen Moral. Mau gibt es für eine staatsmännische
Weisheit aus, beharrlich seinem Zweck nachzugehn, und die Fußtritte, die man
unterwegs erhält, nicht zu achten. Eine kurzsichtige Weisheit, die, wie es aller
mikroskopischen Betrachtung ergeht, über dem Einzelnen die Totalität vergißt,
über dem Endlichen das Unendliche. Eine eitle Weisheit, die ein sittliches Ge¬
meinwesen gründen will, indem sie die Träger desselben entsittlicht. Indem man
die symlwlischcu, zeitlichen und von der Geschichte abhängiger Formen der Ehre
dialektisch auflöst, glaubt man die Idee der Ehre überwunden zu haben. Den
Adel treffen manche Vorwürfe, aber Vieles wird wieder gut gemacht, wenn wir über¬
legen, daß durch ihn in lebendiger Ueberlieferung die alten Begriffe der Ehre fort¬
gepflanzt sind. Der Stand, den man nicht ungestraft in seiner Person darf beleidigen
lassen, vertritt hier jenen objectiven Halt, den mau sonst im Rechte sucht. Dieser Cultus
der eigenen Persönlichkeit — der freilich auch zu t'raukhafteu Uebertreibungen führen kaun,
wie alles Gute — ist das nothwendige aristokratische Moment in dem neuen Gemein-
wesen, durch welches nur unsere demokratischen Institutionen ergänzen müssen,
wenn nicht der Verlust unseres eigenen Werths die Werthlosigkeit der Gesammt¬
heit uach sich zieheir soll.

Vincke'ö aristokratische Haltung darf uns also so wenig verletzen, wie sein
Eigeustuu, seine persönliche Reizbarkeit. Jede Bestimmtheit ist hart. Bei uns
Preußen wird die Persönlichkeit, wenn auch noch mangelhaft, theils aus den Uni¬
versitäten, theils im Dienst zur Geltung gebracht. Die Franzosen siud uus darin
noch voraus; wenn wir einmal von Preußen so werden sprechen können, wie unsere
überrheinischen Nachbarn vou der großen Nation, werden wir ihnen darin nichts
nachgeben; die Grundlage ist vorhanden, und'darf nicht aufgegeben werden, wenn
unser Staat seine geschichtliche Stellung einnehmen soll.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/175>, abgerufen am 23.07.2024.