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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Preußen ist seiner Anlage und seiner Geschichte nach ein kriegerischer Staat,
und was damit unmittelbar zusammenhängt, die Preußen sind geborene Royalisten.
Aber es liegt in unserem Verhältniß zum Königthum etwas Freies; es ist sittlicher
als das französische unter Ludwig XIV., denn es ist nicht durch die Hofluft so
corrumpirt. Die Geschichte deö großen Friedrichs, auch die des vorigen Königs,
ist reich an Züge", die mit einer gewissen mythischen Sinnigkeit dies Verhältniß
ausdrücken. -- Vincke ist durch und dnrch Royalist; seine Protestationen, daß er
nur darum die Krone bekämpfe, um ihren Glanz zu erhöhen, waren sehr ernsthaft
gemeint. Der gemeine, kriechende Servilismus, der steh jetzt in der sogenannten
specifisch preußischen Partei geltend macht, ist dem eigentlichen Preußenthum fremd.
Als Vincke sich auf dem Landtag mit sehr persönlichen, beißenden Ausfällen an
die allerhöchste Person wagte, glaubten die Demokraten einen der ihrigen in ihm
zu finden. Sie täuschten sich. Eigentliche Treue wird man nnr da finden, wo
ein freies menschliches Verhältniß obwaltet; aus der hündischen Ergebenheit der
Sklaven, die mau uns heutzutage als unsere Pflicht predigen will, wird unter
Umständen die boshafteste Feindseligkeit.

Noch in einem anderen Punkte ist Vincke falsch aufgefaßt worden, namentlich
von deu Süddeutschen, die immer ein volles Pathos verlangen und keinen Spaß
verstehen. Sie haben in dem zersetzenden Witz, den er sehr wohl zu handhaben
weiß und den er mit besonderem Behagen Heranskehrt, jene Berliner Frivolität
finden wollen, der es mit nichts Ernst ist, die keine Liebe und Begeisterung er¬
zeugt, weil sie keinen Glanben hat; man hat den tiefen sittlichen Ernst übersehen,
der um so gewaltiger wirken kann, je weniger er sich in larmoyanten Wendungen
ausgibt.

Auf dem Landtag freilich war die kritische Seite seiner Wirksamkeit die Haupt¬
sache. Etwas Positives zu erreichen, war diesen Resten der alten Feudalität nicht
möglich. Es kam daraus an, dem regierenden Mysticismus zu zeigen, daß mau
ihn nicht nur bekämpfe, daß man ihn übersehe, daß man im Stande sei, ihn aus-
zulachen. Heute ist mau geneigt, das Verdienst vou Männern wie Vincke, Han-
semann, Camphausen u. s. w. gering anzuschlagen, weil in der schnellen Ent-
wickelung der letzten Jahre, was damals parador war, heute trivial erscheint. Aber
es ist mit diesen Trivialitäten wie mit dem El des Columbus; das Verdienst
dessen, der sie zuerst ausspricht, wird nicht vermindert, wenn man sie ihm nachsagt.

Das zweite Verdienst Vincke's war es, daß er es im entscheidenden Augen¬
blick zum Bruch kommen ließ. Die Mehrzahl der liberalen Partei gab sich dazu
ber, denselben zu bemänteln; sie glaubte klug zu handeln, als sie den Schein der
Einheit bestehen ließ, um weiterer Verständigung nicht vorzugreifen; sie übersah
dabei, daß factisch der Gegensatz doch vorhanden war, denn die Stände hatten
alle Anträge der Regierung verworfen; und daß man der Macht nur baun Zu¬
geständnisse abnöthigt, wenn man ihr Achtung abnöthigt.


Preußen ist seiner Anlage und seiner Geschichte nach ein kriegerischer Staat,
und was damit unmittelbar zusammenhängt, die Preußen sind geborene Royalisten.
Aber es liegt in unserem Verhältniß zum Königthum etwas Freies; es ist sittlicher
als das französische unter Ludwig XIV., denn es ist nicht durch die Hofluft so
corrumpirt. Die Geschichte deö großen Friedrichs, auch die des vorigen Königs,
ist reich an Züge», die mit einer gewissen mythischen Sinnigkeit dies Verhältniß
ausdrücken. — Vincke ist durch und dnrch Royalist; seine Protestationen, daß er
nur darum die Krone bekämpfe, um ihren Glanz zu erhöhen, waren sehr ernsthaft
gemeint. Der gemeine, kriechende Servilismus, der steh jetzt in der sogenannten
specifisch preußischen Partei geltend macht, ist dem eigentlichen Preußenthum fremd.
Als Vincke sich auf dem Landtag mit sehr persönlichen, beißenden Ausfällen an
die allerhöchste Person wagte, glaubten die Demokraten einen der ihrigen in ihm
zu finden. Sie täuschten sich. Eigentliche Treue wird man nnr da finden, wo
ein freies menschliches Verhältniß obwaltet; aus der hündischen Ergebenheit der
Sklaven, die mau uns heutzutage als unsere Pflicht predigen will, wird unter
Umständen die boshafteste Feindseligkeit.

Noch in einem anderen Punkte ist Vincke falsch aufgefaßt worden, namentlich
von deu Süddeutschen, die immer ein volles Pathos verlangen und keinen Spaß
verstehen. Sie haben in dem zersetzenden Witz, den er sehr wohl zu handhaben
weiß und den er mit besonderem Behagen Heranskehrt, jene Berliner Frivolität
finden wollen, der es mit nichts Ernst ist, die keine Liebe und Begeisterung er¬
zeugt, weil sie keinen Glanben hat; man hat den tiefen sittlichen Ernst übersehen,
der um so gewaltiger wirken kann, je weniger er sich in larmoyanten Wendungen
ausgibt.

Auf dem Landtag freilich war die kritische Seite seiner Wirksamkeit die Haupt¬
sache. Etwas Positives zu erreichen, war diesen Resten der alten Feudalität nicht
möglich. Es kam daraus an, dem regierenden Mysticismus zu zeigen, daß mau
ihn nicht nur bekämpfe, daß man ihn übersehe, daß man im Stande sei, ihn aus-
zulachen. Heute ist mau geneigt, das Verdienst vou Männern wie Vincke, Han-
semann, Camphausen u. s. w. gering anzuschlagen, weil in der schnellen Ent-
wickelung der letzten Jahre, was damals parador war, heute trivial erscheint. Aber
es ist mit diesen Trivialitäten wie mit dem El des Columbus; das Verdienst
dessen, der sie zuerst ausspricht, wird nicht vermindert, wenn man sie ihm nachsagt.

Das zweite Verdienst Vincke's war es, daß er es im entscheidenden Augen¬
blick zum Bruch kommen ließ. Die Mehrzahl der liberalen Partei gab sich dazu
ber, denselben zu bemänteln; sie glaubte klug zu handeln, als sie den Schein der
Einheit bestehen ließ, um weiterer Verständigung nicht vorzugreifen; sie übersah
dabei, daß factisch der Gegensatz doch vorhanden war, denn die Stände hatten
alle Anträge der Regierung verworfen; und daß man der Macht nur baun Zu¬
geständnisse abnöthigt, wenn man ihr Achtung abnöthigt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/176>, abgerufen am 25.08.2024.